Dehn, Ulrich: Religionen in Ostasien und christliche Begegnungen

Ulrich Dehn

Religionen in Ostasien und christliche Begegnungen

Verlag Otto Lembeck, Frankfurt am Main 2006
224 Seiten, 16,00 €
ISBN-10: 3-87476-503-2
ISBN-13: 978-3-87476-503-9

Eine Rezension von Maren von der Heyde, Hamburg

Für diejenigen, die der Deutschen Ostasienmission nahe stehen, ist Ulrich Dehn schon über viele Jahre hin ein wichtiger Vermittler der ostasiatischen Theologie. Mit seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Mission, Ökumene und Religionswissenschaften an der Universität Hamburg verspricht dies noch intensiver zu werden. Vor seiner Berufung nach Hamburg war Prof. Dehn Referent bei der Evangelischen Zentrale für Weltanschauungsfragen der EKD in Berlin und davor für das EMS beim Tomisaka Christian Center in Tokyo. Aus dieser Zeit rühren die Anfänge einer intensiven Auseinandersetzung mit den ostasiatischen Religionen und ihrer theologischen Rezeption durch christliche Theologinnen und Theologen in Japan, Korea und China, die den Dialog mit dem religiösen Leben ihrer Familien und der sie umgebenden Nachbarschaft suchen und deren Leben und Wirken in diesem Buch auf bemerkenswert dichte Weise zusammengefasst werden. Das Buch fasst nicht nur zusammen, sondern führt auch einen Dialog weiter, der so schon vor langer Zeit aufgenommen wurde.

Wer versucht ist, das Buch in einem Ganzen zu lesen, um rasch einen Überblick über das Thema zu bekommen, gerät schnell an die Grenzen des individuellen Fassungsvermögens. So schmal es mit seinen 224 Seiten ist, so anspruchsvoll ist es zugleich. Wahrscheinlich sind viele Kürzungsbemühungen nötig gewesen, um allein für den längsten Teil, der sich mit China beschäftigt, Konfuzianismus, Daoismus, chinesischen Buddhismus und das Christentum auf knapp 80 Seiten zusammenzufassen und darüber hinaus auch noch ins Gespräch miteinander zu bringen. Das gleiche gilt für den Schamanismus Koreas und die rund um Shintô angelegten unterschiedlichen Schrein-Aktivitäten in Japan, den japanischen Buddhismus bis hin zu den neuen religiösen Bewegungen, der spezifisch koreanischen bzw. japanischen Kirchengeschichte und der darin gefundenen Formen eines geprägten ostasiatischen Christ-Seins. Für Korea und Japan ist sogar nur noch die Hälfte an Seiten da.

Das Buch zeigt Verbindungen auf und zeichnet sogar auch noch ansatzweise die Forschungsgeschichte nach. Es beruht auf Vorlesungen, die von Ulrich Dehn vor bald drei Jahren in Berlin und darauf folgend auch in Hamburg gehalten wurden. Ein hartes Stück Arbeit. Das war sicher auch für die Studentinnen und Studenten ungewohnt dichter Stoff.

Über die vielen Detailkenntnisse und die prägnante Diskussion der Ansätze auf knappsten Raum hinaus fasziniert das Buch vor allem mit dem Anspruch, den außerchristlichen religiösen Kontext nicht nur in seiner dialogischen Spiegelung durch uns wahrzunehmen, sondern dessen eigene Sprache und Schönheit nachzuzeichnen. Tatsächlich kann ja erst dann der Umgang der chinesischen, koreanischen und japanischen christlichen Theologen mit dem nicht christlichen religiösen Leben, das sie umgibt und geprägt hat, angemessen gewürdigt werden.

In allem steckt eine unglaubliche Sorgfalt. Trotzdem wäre den Texten und diesem Anspruch, uns zum Dialog mit den Christen in Ostasien fähiger zu machen, mehr Seiten und auch mehr Vorbereitungszeit zu gönnen gewesen. Es bleibt der Wunsch, dass der hier begonnene Dialog der christlichen Theologie aus den unterschiedlichen Kontexten mit sich selber weiter entfaltet wird und eine zweite Auflage erfährt. Dann könnten mehr Originaltexte hinein genommen werden, die den Stoff leichter verdaulich machen. Dann könnte vielleicht auch die sich hinter den Texten verbergende theologische Auseinandersetzung des Autors stärker hervortreten und diskutiert werden. Die vorsichtige Kritik wird wahrscheinlich nur Kennern und Kennerinnen deutlich. Die leisen Hinweise des Autors könnten deutlicher werden und manches könnte noch vertieft werden. Insbesondere in Bezug auf das Glaubensleben der chinesischen Christen wäre es gut, die wachsende Vielfalt des pulsierenden Glaubenslebens in der Volksrepublik aufzunehmen. Das ist dem Buch, vor allem aber denen zu wünschen, die den lebendigen Austausch mit den Christen in Ostasien suchen. Das Buch macht Lust mehr, davon zu lesen.
Maren von der Heyde
Hamburg, den 26.02.07
Als pdf-Datei hier
Maren von der Heyde, Jahrgang 1958, hat in Hamburg, Jerusalem und in Kiel studiert. Sie ist Pastorin der Nordelbischen Evangelischen Kirche, war acht Jahre lang Gemeindepastorin, von 1996 - 1998 Ostasienreferentin im Nordelbischen Missionszentrum und seit 1999 bis zum Frühjahr 2007 Referentin beim Dachverband EMW (Evangelisches Missionswerk in Deutschland) zunächst für Ostasien und den Pazifik, seit 2002 für Asien und den Mittleren Osten. In dieser Funktion war sie acht Jahre lang Vorsitzende des Beirates der China InfoStelle. Anfang Mai 2007 übernimmt sie in ihrer Landeskirche die Stelle der Diakoniepastorin, zunächst im Kirchenkreis Pinneberg und darüber hinaus für die bis zum Mai 2009 im Hamburger Westen fusionierenden Kirchenkreise.

 

Aus der Einleitung

Zur Kontextualität von Religionen

Religionen in Ostasien bieten ein höchst buntes und vielschichtiges Bild. Sie werden zwar zumeist mit den Stichworten Buddhismus, Daoismus, Konfuzianismus, koreanischer Schamanismus und japanischer Shintô benannt. In der Regel jedoch haben wir es mit unzähligen lokalen Ausprägungen von volksreligiösen Kulten zu tun, die wiederum ineinanderfließen und sich gegenseitig beeinflussen. Davon oftmals fast unabhängig sind die religionsphilophischen Systeme, die in großen bedeutenden Tempeln und an Universitäten gepflegt werden und den Hintergrund dessen darstellen, was im Westen unter dem Terminus "östliche Religionen" gefasst wird. Religiosität in Ostasien ist, abgesehen von neuen religiösen Bewegungen, keine Bekenntnis- und keine Korporationsreligiosität, immer schon sind die Grenzen offener und zensurärmer gewesen als in den definierbaren Konfessionssystemen der semitischen Religionen. Das erschwert den religionswissenschaftlichen Zugang - im Grunde ließe eine Religionsgeographie dem Gegenstand mehr Gerechtigkeit angedeihen als mein Vorhaben einer aufgrund des knappen Raumes überwiegend systematischen Darstellung. Dies muss also immer mitbedacht sein, wenn von der ursprünglichen Lehre des Buddhismus, von den großen Zügen des Reinen-Land-Buddhismus, von der Philosophie des Dao oder von anderen religionsgeschichtlichen Linien die Rede ist.

Die Geschichte des Christentums in Asien ist wie die Geschichte der anderen Glaubensformen und Religionswelten auch eine Geschichte der jahrhundertelangen Entfaltung von Kontextualisierungsprozessen. Vorgänge von Einheimischwerdung, Übernahme von vorhandenen Glaubensformen, Riten und Geschichten und ihre christliche Regenerierung sind Bestandteil dieser Dynamik gewesen. Anders konnte das Christentum sich nicht ausbreiten, und überall, wo es sich diesem Prozess verweigert hat, fiel sein Samen auf steinigen Boden. Diese Interaktion und ihre Risiken und geschichtlichen Nebenwirkungen hat ein dringlich der japanische katholische Schriftsteller Endo Shusaku in mehreren Romanen beschrieben. Das bedeutet umgekehrt, dass viele Entwürfe asiatischer christlicher Theologie erst dann in ihren Akzenten verständlich werden, wenn man sich mit den außerchristlichen religiösen Traditionen befasst, mit denen sie in Interaktion stehen. Jedoch trifft der Eindruck nicht zu, asiatische Theologie, oder in unserem Falle ostasiatische Theologie sei in diesem Sinne überwiegend "synkretistisch". Die Herausforderungen des außerchristlichen Umfeldes und der vielfältigen kulturellen Schattierungen sind nicht überall aufgenommen worden, und ein großer Teil des Theologietreibens und der theologischen Ausbildung in Ostasien reproduziert genau die theologischen Denkfiguren und Systeme, die wir aus dem theologischen "Westen" kennen: In Anbetracht der Globalisierung von Informationen und Kommunikationssystemen ist dies auch nicht weiter verwunderlich; hinzu kommt, dass die theologischen Ausbildungsstätten außerhalb der "christlichen Stammländer" zumeist von Missionaren aus Europa oder den USA installiert und unter ihren Einflüssen geprägt wurden. Uns interessieren jedoch in diesem Buch die, die in Tuchfühlung mit der sie umgebenden Religiosität stehen, und wir gehen den umgekehrten Weg und wenden uns zunächst jeweils in Länderstudien dieser Religiosität zu, um dann zu fragen, wie die sich damit auseinandersetzenden theologischen Entwürfe aussehen. Allerdings werden die religionsgeschichtlichen Profile der einzelnen Ländern grundlegender und ausführlicher dargestellt, als es in Anbetracht der dann darzustellenden theologischen Entwürfe notwendig wäre. Somit ist dieses Buch auch als allgemeine Einführung in die ostasiatische Religionslandschaft benutzbar.

Eine hermeneutische Theorie, wie sie in letzter Zeit für so genannte "kontextuelle Theologien" entwickelt wird, wird es für Theologie, die im Dialog mit außerchristlichen religiösen Traditionen steht, nur begrenzt geben können, weil sie sich mit sehr unterschiedlichen Arten von Resonanzraum befasst und in erheblich komplexerer Weise die Handlungsmuster interkultureller Interaktion bzw. Kommunikation berührt. Die dort entwickelten hermeneutischen Muster sind aber auch für unser Thema hilfreich und werden entlang der Linien, die der Diskurs über Alterität und Devianz vorgibt, am Ende des Buchs weitergedacht. Christinnen, die in direkten Betroffenheitssituationen stehen und etwa unter einer konfuzianisch geprägten Diskriminierung gegenüber Frauen leiden, stehen (männlichen) Autoren gegenüber, die auf der Basis religionsphilosophischer Texte in die Begegnung mit chinesischer Religiosität eintreten. Die einen leben, arbeiten, leiden, feiern in einem asiatischen Land, die anderen schreiben aus der Position einer Lehrtätigkeit in den USA oder Europa, sind allerdings auch hier in der Lage, sich den Erfahrungen kognitiv auszusetzen: Sinnliche Erfahrungshintergründe sind nur bedingt determinativ für den Rezeptionsvorgang - zwei koreanische Theologen der gleichen presbyterianischen Kirche in der gleichen Stadt Pusan können, der eine aufgrund von Angst vor Synkretismus ein massiver Gegner schamanistischer Kulte und ein Kämpfer für die "Reinheit" theologischen Arbeitens, der andere ein begeisterter Teilnehmer an Kult-Riten und Rezipient schamanistischer Impulse für die Theologie sein. Die biographischen Weichenstellungen, die mitunter zu diesen Optionen und Mentalitäten geführt haben, können wir hier für einige Autoren ausführlicher, in anderen Fällen nur ansatzweise zur Kenntnis nehmen, müssen uns aber in jedem Falle vor einer deterministischen Benutzung von Biographien hüten, auch wenn sie viel zum Verständnis der jeweiligen einzelnen Autoren und Autorinnen beitragen.

Es lässt sich sehr grob folgende Kategorisierung vornehmen:

1. Theologische Entwürfe, die in Anlehnung an westliche Denkmuster traditionell vorgehen und die Verhältnisbestimmung zu asiatischen Religionen nicht oder kontrastiv bis polemisch vornehmen (kontrastives Modell). Dieser theologische Typ ist der mehrheitliche und hat ausdrücklichen Rückhalt im evangelikalen Spektrum. Zu nennen wäre MIYATA Mitsuo. Ebenfalls kontrastiv, aber im reformorientierten Sinne, sind feministische Theologinnen, die den Konfuzianismus koreanischer Ausprägung und seine gesellschaftlichen Auswirkungen kritisieren (KANG Nam-Soon, Sung-Hee Lee-Linke).

2. Theologien, die positiv in den Dialog eintreten, und dies unter dezidierter christlich-theologischer Identitätswahrung tun (dialogisches Modell): NORO Yoshio, partiell C. S. Song und KOYAMA Kosuke.

3. Theologien, die in der Begegnung mit asiatischer Religiosität Gemeinsamkeiten ausloten, nach gemeinsam formulierbarer Wahrheit suchen und die gegenseitige Annäherung zum Postulat des Dialogs erheben (Harmonie-Modell). Hier sind Theologen wie der Buddhist ABE Masao, der srilankische Theologe Lynn A. de Silva, TAKIZAWA Katsumi, YAGI Seiichi u.a. zu erwähnen. Ein Sonderfall ist hier KITAMORI Kazô, der japanische religiöse Traditionen für einen konservativen kontextuellen theologischen Entwurf benutzt.

In diesem Buch wird es um Theologien aller drei Typen gehen, wobei mindestens in Andeutungen erhellt werden soll, aus welchen individuellen Weichenstellungen sich ihre jeweilige Option für ihr spezifisches Denken ergeben hat. Die vorgestellten christlich-theologischen Entwürfe kommen zu Wort als Christentum in seiner ostasiatisch kontextualisierten Form, als Religion in Ostasien. ...

 

Weitere Bücher

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Die geschichtliche Perspektive des japanischen Buddhismus
Das Beispiel UEHARA Senroku
Perspektiven der Weltmission
Wissenschaftliche Beiträge Band 18
Hg. Missiosnakademie an der Universität Hamburg
Verlag an der Lottbeck, Hamburg 1995
ISBN 3-86130-016-8
ISSN 0933-8438