buraku wirsinddochmenschen Buraku-Befreiung
"Der verwundete und zu Boden gefallene Mensch, ist das nicht Jesus selbst?" (Pfr. SEKI, Kyoto, 2002)
"Anerkennung verweigern nicht zuletzt viele Christinnen und Christen" (M. Sonntag)
"Ich bin doch ein Mensch"  (Kalligraphie aus der Befreiungsbewegung der Buraku)

Buraku-Befreiung

2007: M. Sonntag - Wir wollen kein Mitleid

"Diskriminiert werden Buraku-Bewohner heutzutage vor allem beim Heiraten. Obwohl die Weitergabe von Daten aus dem Familienregister gesetzlich verboten ist, gibt es private Agenturen, die durch Beziehungen solche Informationen beschaffen, um Hochzeiten zwischen Buraku und Nicht-Buraku zu verhindern. In der Schule werden den Kindern heimlich Hassparolen auf die Sachen geschmiert oder sie sind als „gefährlich“ verschrien. Häufig behandeln auch Lehrer die Schüler entsprechend den eigenen Vorurteilen.

"Wir wollen kein Mitleid"

Die Buraku-Befreiungsbewegung in Japan

von Mira Sonntag, Mitarbeiterin des EMS im Tomisaka Christian Center

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Immer noch muss die japanische Minderheit der Buraku, die allein auf Grund der ihnen traditionell zugewiesenen Berufe diskriminiert werden, mit Anfeindungen leben. Viele ziehen es deshalb vor, ihre Herkunft zu verschleiern.

Direkt am Fuße der stark frequentierten Schnellzug-Strecke nach Osaka steht die Ômi-Heian-Kirche. Vor 34 Jahren unternahm diese Kirche einen ungewöhnlichen Neuanfang im Sinne der eben erst formulierten Missionsanliegen des Kirchenbezirks: Sie unterstützt aktiv die Buraku-Befreiungsbewegung. Die Buraku sind eine Gruppe der japanischen Gesellschaft, deren Angehörige beispielsweise als Gerber, Schlachter oder Schuhmacher arbeiteten, also Berufe, die mit den gesellschaftlich verdrängten Themen Blut, Tod und Töten verbunden waren. Im buddhistischen und im shintoistischen Glaubenssystem galten diese Berufe als schmutzig und unrein. Jahrhundertelang lebten diese Menschen isoliert und in tiefster Armut in den so genannten Buraku, speziellen ghettoähnlichen Wohnvierteln. In den siebziger Jahren wurden der Diskriminierung nach und nach juristische Riegel vorgeschoben und mit öffentlichen Geldern neue Wohnungen gebaut. Das diskriminierende Wort Buraku wurde offiziell durch den Begriff „Integrationsgebiete“ ersetzt. Rund 3 Millionen Menschen werden heute zu den Buraku gezählt.

Für Außenstehende ist die Welt der Buraku eine fremde Welt. So sagt Pfarrer Tanimoto Kazuhiro, der seit 29 Jahren die Ômi-Heian-Gemeinde betreut: „Um wirklich zu verstehen, was es bedeutet, in einem Buraku zu leben, muss man sich mindestens ein halbes Jahr Zeit nehmen und mit den Menschen leben.“

Das „Haus der Lebensfreude“, eine Einrichtung der weltlichen Buraku-Befreiungsbewegung im Stadtbezirk Hachiman, gibt einen Einblick in die

Geschichte der Buraku. Auf den ersten Blick wirkt das Haus wie eine Postfiliale. Den Eingang ziert ein Fliesenmosaik mit Kinderzeichnungen, überschrieben mit dem Motto der säkularen Buraku-Befreiungsbewegung: „Wärme für die Welt, Licht für die Menschen!“ Im hauseigenen Museum wird die Herstellung von Schuhen, Sandalen und Trommeln erklärt. Während die Männer in Schlachthöfen oder als Schuster arbeiteten, fertigten die Frauen hochwertige Strohsandalen und Schirme in Heimarbeit.

Luftaufnahmen zeigen das Viertel vor und nach den Flurbereinigungsmaßnahmen. Für die zuvor auf engem Raum zusammengezwängten Menschen wurden breite Strassen und großzügige Grundstücke angelegt. Doch die im japanischen Wohnungsbau unüblichen Doppelhaushälften und ihre standardisierte Eintönigkeit verraten die Identität der Bewohner. Unwillkürlich fragt man sich, wie weit die Integration wirklich vorangekommen ist. Die Zweipersonenhaushalte überwiegen, denn immer noch bemühen sich viele Menschen, aus dem Buraku auszubrechen und ihre Spur zu verwischen. Familien beschränken sich oft auf ein Kind, um ihm ein Studium ermöglichen zu können.

Im „Haus der Lebensfreude“ erzählt der 79-jährige Yoshimura, der 15 Jahre lang Vorsitzender des Ortsvereins der Buraku-Befreiungsbewegung war, von der Diskriminierung: „Inzwischen hat sich viel geändert, aber wenn meine Frau früher einkaufen ging, dann musste sie das Geld beim Bezahlen in eine Wasserschüssel legen. Die Verkäuferin nahm erst das gewaschene Geld an.“ Um den Bewohnern bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, regte Yoshimura den Bau einer gemeindeeigenen Schuhfabrik an. „Dort leisteten die Frauen bessere Arbeit als Männer“, sagt er lachend. Da die Bewohner meist nicht rentenversichert sind, arbeiten auch die Frauen bis ins hohe Alter als Teilzeitkräfte.

Diskriminiert werden Buraku-Bewohner heutzutage vor allem beim Heiraten. Obwohl die Weitergabe von Daten aus dem Familienregister gesetzlich verboten ist, gibt es private Agenturen, die durch Beziehungen solche Informationen beschaffen, um Hochzeiten zwischen Buraku und Nicht-Buraku zu verhindern. In der Schule werden den Kindern heimlich Hassparolen auf die Sachen geschmiert oder sie sind als „gefährlich“ verschrien. Häufig behandeln auch Lehrer die Schüler entsprechend den eigenen Vorurteilen. In einer solchen Atmosphäre ist das Lernen selbst bei bestem Willen nicht möglich. Durch den Mangel an Bildung verengen sich wiederum berufliche Perspektiven. Ein Teufelskreis, der nur schwer zu durchbrechen ist.

Das hat auch Kawahigashi Mizue erlebt. Sie ist Angestellte im Zentrum für Menschenrechte des Bezirks Wada, der ungefähr 120 Buraku-Haushalte beherbergt. Ihre Mutter war Analphabetin, wollte aber für ihre Tochter eine ordentliche Bildung. „Ich wollte die Hoffnungen meiner Mutter nicht enttäuschen und sprach zu Hause nicht von den Anfeindungen in der Schule“, sagt sie, „doch die aggressive Atmosphäre blockierte mich so sehr, dass ich schulisch nicht vorankam.“


Demonstration in den 90er Jahren

Die Buraku-Frauen sind gleich mehrfacher Diskriminierung ausgesetzt: Als Mütter versuchen sie, die Familie durchzubringen und kämpfen dabei mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass ihre Männer auf Grund des auf ihnen lastenden Drucks meist der Spielsucht verfallen oder gewalttätig werden. Obwohl die Frauen durch ihre uneingeschränkte Unterstützung nicht zuletzt den Männern Freiraum für politische Aktivitäten schufen, waren sie selbst bei Versammlungen unerwünscht. Die berühmte Deklaration der weltlichen Befreiungsbewegung von 1922 auch heute noch vielerorts in ihrem originalen Wortlaut verwendet richtet sich ausschließlich an „Brüder“. Erst seit 2001 sind Frauen im Vorstand zugelassen. Im Bezirk Wada sind gerade die Frauen sehr aktiv. „Wir wollen kein Mitleid“, sagt Mizue, „sondern nur die Anerkennung unserer realen Situation.“

Doch diese Anerkennung verweigern nicht zuletzt viele Christen und Christinnen. Die verspätete, aber desto intensivere staatliche Förderung wird nicht als rechtmäßiger Ausgleich für Diskriminierung, sondern als Einladung zu Veruntreuung von Geldern und Steuerhinterziehung verstanden. Trotz der klaren Richtlinien für die Förderung trifft aktive Christen wie Pfarrer Tanimoto oft Kritik aus den eigenen Reihen. Tanimoto fordert dagegen Solidarität. „Doch Solidarität heißt, über einen längeren Zeitraum miteinander zu leben, einander zu tragen und gemeinsam die Ungerechtigkeiten der japanischen Gesellschaft herauszufordern“, sagt Tanimoto: „Mission nach dem Prinzip ‚Gesangbuch, Bibel, Kollekte‘ lässt sich in den Buraku nicht treiben.“

Auch den Frauen geht es um Solidarität. In Kritik der bisherigen eher hierarchisch organisierten Befreiungsbewegung setzen Frauen dabei auf Kontakte zwischen Einzelnen auf gleicher Ebene, auf gleichberechtigte Verbundenheit untereinander. Sie wollen diejenigen zu Wort kommen lassen, die jenseits der organisierten Befreiungsbewegungen über ihre Erfahrungen sprechen möchten.

2007. Mira Sonntag ist seit April 2005 ökumenische Mitarbeiterin des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland (EMS) in Japan.

Buraku


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