Studientagung 2012: Meditation D. Schweizer

1.-3. Oktober 2012 in der Heimvolkshochschule am Seddiner See, Brandenburg
 

Dorothea Schweizer
Geistliche Besinnung

 

„Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden."

Dieses Thema der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 2013 ist gleichsam ein Gebetsruf mit ungeheurer Aktualität mit Blick auf das Land, in dem die Vollversammlung stattfinden wird.

Hochaktuell auch mit Blick auf die Geschichte des Landes, die fast zu allen Zeiten eine

Geschichte des Leidens war und – wenn wir an die Teilung des Landes denken mit all den schrecklichen Auswirkungen – noch immer ist.

Das Thema ist gleichsam ein Aufschrei, in dem all das unsägliche Leid und Leiden, das Menschen in vielen Teilen unserer Erde widerfährt und angetan wird, gebündelt ist, wie in einem Brennpunkt.

Gleichzeitig beinhaltet aber dieser verzweifelte Aufschrei eine unbändige Sehnsucht, ein Suchen, ein Hoffen, den Weg zu finden, der aus dem Leid und all der Ungerechtigkeit und Friedlosigkeit herausführt in ein Leben, wo Frieden und Gerechtigkeit möglich werden. Dieser Gebetsruf wird ja nicht einfach in einen luftleeren Raum ausgestoßen. Nein, er hat eine Adresse:

Gott des Lebens, weise du uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden.

Ich war in einer Zeit in Korea, als das diktatorische Regime Park Chung-Hees und später Chun Too-Whans den wirtschaftlichen Aufbruch Südkoreas einleiteten und befestigten. Aber – das geschah natürlich auf dem Rücken der stimm– und rechtlosen Industriearbeiter und –arbeiterinnen, der Bauern und Bäuerinnen, der Bergleute und all derer, die um des wirtschaftlichen Aufschwungs willen ihre herkömmlichen Lebensgrundlagen verlassen mussten.

Sie fanden sich über Nacht in einer Umwelt wieder, die kalt, herzlos, rücksichtslos und zutiefst grausam war. Von Menschenrecht und Menschenwürde war da nicht mehr viel, oder gar nichts mehr übrig. Wenn Betroffene es wagten, sich gegen die Unmenschlichkeiten zu wehren, gerieten sie sofort ins Visier des bereits durch und durch organisierten Machtapparats des koreanischen Geheimdienstes. Sie wurden mundtot gemacht mit allen Mitteln, die einem solchen System zur Verfügung stehen:

Einschüchterung, Bedrohungen, Bespitzelung rund um die Uhr, Verhaftung, Verhör, Erpressung von falschen Geständnissen unter schwerster Folter, und schließlich Inhaftierung unter unmenschlichen Haftbedingungen. Es wuchsen auf der einen Seite Unmenschlichkeit, Unterdrückung und Gewalt, und auf der anderen Seite brach eine unglaubliche Welle von Solidarität auf. Aus allen Bevölkerungsschichten stellten sich Menschen – auch Christen und Buddhisten – auf die Seite der Gequälten, und sie standen auf gegen die, die letztlich Ursache all des Leids und des Unrechts waren. Sie wollten und konnten sich einem solchen Unrechtsstaat nicht beugen. Er musste gestoppt werden!

Unter Einsatz ihres Lebens, ihrer persönlichen Freiheit, Verlust ihrer beruflichen Laufbahnen, Leid und Leiden ihrer Familien kämpften sie um ein Leben in Würde für alle Menschen in Korea. Sie kämpften für die Durchsetzung demokratischer Strukturen, die Gerechtigkeit und Frieden für die Menschen im südlichen und – wie sie hofften – später auch nördlichen Korea ermöglichen würde. Alle Qualen, die die Einzelnen erleiden mussten, konnten sie nicht von diesem Ziel abbringen.

Ich habe eine unendliche Hochachtung vor diesen Menschen! Persönlich gesprochen, habe ich in diesen Jahren des Miteinanders mit den leidgeprüften Freunden und deren Familien eine Art „Neugeburt" erlebt. Ich habe durch sie erfahren, wofür es sich wirklich lohnt zu leben und sich einzusetzen, wohl erkennend, dass ein solches Leben im Widerstand immer eine Gratwanderung ist und sein wird mit offenem Ausgang.

Ich habe mich immer wieder gefragt:

Woher nehmen sie die Kraft für die Bewältigung eines solchen Lebens, eines solchen Alltags, der von so viel Mühsal, Leid und Qual, Unfreiheit und Zukunftssorgen bestimmt war:

- die Frauen, deren Männer und Söhne, oder auch Töchter im Gefängnis waren,

- woher die Kraft für ihren ungebrochenen Glauben und ihr mutiges Einstehen für eine bessere Zukunft für alle,

- woher die Kraft auch der Mütter und Väter der so grausam getöteten jungen Leute im Kwangju–Massaker,

- der Industriepfarrer und Pfarrerinnen, die das Leiden der ausgebeuteten und gequälten Industriearbeiter zu ihrem eigenen Leiden gemacht und sich ganz und gar auf ihre Seite gestellt haben,

- woher die Kraft der Minjung–Pfarrer und Pfarrerinnen und ihrer Mitarbeiter, die das miserable Leben der Slumbevölkerung teilten,

- woher die Kraft auch der vielen Christen und Christinnen, die durch ihren persönlichen Einsatz den unzähligen ausgegrenzten Menschen in der Gesellschaft eine Stimme gaben.........

Unter anderen Antworten gibt es zweifellos auch diese:

Sie versuchten mit Haut und Haaren die Nachfolge Jesu zu leben und zu praktizieren und im Auftrag dieses Herrn für Menschenrecht und Menschenwürde zu kämpfen und für eine Zukunft, die Frieden und Freiheit und mehr Gerechtigkeit für alle garantiert.

Die Seligpreisungen Jesu z.B. erwiesen sich als unerschöpfliche Kraftquelle. Das habe ich in den zahllosen Fürbittegottesdiensten und denen der Galiläa-Gemeinde, wo sich die Betroffenen und Verfolgten regelmäßig sammelten und von ihren Erfahrungen berichteten, immer und immer wieder erlebt. Unglaublich kraftvolle Zeugnisse, die zum Ausdruck brachten, wozu der christliche Glaube fähig ist.

Dass demokratische Strukturen in Südkorea heute (zum Teil) möglich und ein unaufgebbares Ziel geworden sind, das sind auch Früchte dieser kraftvollen Bewegung und des starken Zeugnisses der tapferen Kämpfer und Kämpferinnen von damals. Das möchte ich niemals vergessen.

Ich schließe mit einigen Versen aus den Seligpreisungen Jesu aus Matthäus 5:

- Selig – glückselig – sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.

- Selig, die Frieden stiften, denn sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.

- Selig sind, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.

- Selig seid ihr, wenn euch die Menschen schmähen und verfolgen und euch das Ärgste nachsagen um meinetwillen und dabei lügen.

- Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel reichlich belohnt werden. Denn ebenso haben sie verfolgt die Propheten, die vor euch gewesen sind.

Amen.

Wir gehen mit Gottes Segen in den Tag:

Der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Studientagungen: alle Beiträge