Nach Pusan: Erfahrungen als Jugenddelegierte

ÖRK-Vollversammlung in Pusan:  29.10. - 08.11.2013 > danach

Schulamit Kriener und Daniela Kayser im Gespräch mit Christina Biere
über ihre Erfahrungen als Jugenddelegierte

Als Jugenddelegierte habt ihr zunächst an der Jugendvorversammlung, einem Treffen aller internationalen Jugenddelegierten teilgenommen. Wie habt ihr das erlebt?

Schulamit: Ich hatte schon vor Busan und der Jugendvorversammlung über Facebook andere Jugenddelegierte kennen gelernt und mich mit ihnen zu den Schwerpunktthemen Migration, Klimagerechtigkeit und Versöhnung vorbereitet. Die Vorversammlung hat dann das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Jugendlichen bestärkt, so dass man während der Vollversammlung leichter in Kontakt kam.
Daniela: Bei der Vorversammlung herrschte eine sehr lebendige Stimmung! Manchmal sickerten aber auch Stimmen durch, die dem ÖRK keine große Zukunft voraussagten. Im Großen und Ganzen hatte es aber etwas sehr Kraftvolles die Motivation und den Glauben der jungen Menschen zu erleben, etwas verändern und Einfluss zu nehmen zu können! Diese Erfahrung begleitete uns auch während der Vollversammlung: Wir trafen uns immer wieder, um Strategien zu besprechen und Entscheidungen zu treffen, zum Beispiel, welche Themen wir gezielt in einer Plenarsitzung vorbringen und wie wir nach der Vollversammlung vernetzt bleiben wollen.

In der deutschen Delegation wart Ihr die Jüngsten und als junge Frauen und Nichttheologinnen auch eine Minderheit. Wie hat das Eure Teilnahme geprägt?
 
Daniela: Ich hatte manchmal das Gefühl, sehr zur Erfüllung dieser Quoten (Jugend, Frauen, Nichttheologen) da zu sein, und dass es als Jüngste in der Delegation keinen Unterschied macht, ob ich dabei bin oder nicht. Aber einige der Delegierten haben mir gezeigt, dass sie das nicht so sehen. Letztendlich habe ich mich hauptsächlich mit den jungen Menschen aus anderen Ländern zusammengetan und mit ihnen zusammen gearbeitet.
Schulamit: Ich bin auf eine große Offenheit in der deutschen Delegation gestoßen und dankbar, Menschen aus so vielen Arbeitsbereichen in den deutschen Kirchen kennen gelernt zu haben. Außerdem haben wir im Netzwerk MEET die Unterstützung erfahren, die wir brauchten, z.B. von ehemaligen Jugenddelegierten und ihren Erfahrungen mit dem ÖRK gehört. Dadurch hatte ich das Gefühl, in einer Gruppe zu sein, in der ich akzeptiert und anerkannt bin und in der es Lust darauf gibt, nach der Vollversammlung aktiv an den Themen weiter zu arbeiten.

Gab es Momente, die Euch besonders beeindruckt haben?
 
Daniela: Sehr bewegend war der Moment, als die 19-jährige Shyreen Mvula aus Malawi auf die Bühne trat und vor der ganzen Versammlung erzählte, dass sie HIV positiv ist, wie wichtig es ist, dass es Sexualerziehung in den Kirchen gibt und dass in den Kirchen gegen das Verständnis angegangen werden muss, AIDS sei eine Strafe Gottes. Berührt hat mich außerdem der Workshop des Ecumenical Disability Advocacy Network, in dem ein Film über Torril Edoy gezeigt wurde, die eine Behinderung hat und im Nationalrat der Kirche in Norwegen arbeitet. Mir wurde deutlich, wie sehr wir alle von Menschen mit anderen Fähigkeiten in unseren Kirchen profitieren können – wie wertvoll sie als Mitglieder der Gesellschaft sind.
Schulamit: Besonders enttäuscht war ich am Ende der Versammlung, als eine andere Jugenddelegierte und ich im Nominierungsausschuss für den Exekutivausschuss machtlos mit ansehen mussten, wie unter Zeitdruck eine Kandidatenliste durchgesetzt wurde, in der zu wenig junge Menschen und Frauen vertreten waren. Und ganz schockierend war dann am nächsten Tag, dass von den zwei orthodoxen Frauen auf der Liste noch eine gegen einen Mann ausgetauscht wurde!       

Wie konntet ihr Euch einbringen im Geschehen der Vollversammlung? Hattet Ihr besondere Anliegen?
 
Daniela: Als Mitglied im Ausschuss für die neuen Programmrichtlinien durfte ich die Erfahrung machen, ernst genommen zu werden, wenn ich für ein Ziel kämpfe. Für mich ist zum einen die Zukunft der Jugend im ÖRK und die Zusammenarbeit zwischen älteren und jüngeren Generationen sehr wichtig. Wir jungen Menschen können so sehr von den Erfahrungen derjenigen profitieren, die schon lange in der Ökumene mitwirken. Zweitens ist die Nachhaltigkeitsfrage sehr wichtig für mich. Wir haben von Gott die Verantwortung für die Schöpfung bekommen, und ich möchte, dass auch noch Generationen nach mir ein gutes Leben führen können.
Schulamit: Es war interessant, als Koreanistin an einem Ökumenischen Gespräch zur Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel als Berichterstatterin mitzuwirken. Das Team traf sich ad hoc in Busan zum ersten Mal, leitete dann vier 90-minuetige Workshops mit 80 KoreanerInnen und 15 internationale TeilnehmerInnen und am Ende stand ein programmatischer Bericht! Ich habe mehr darüber erfahren, was für eine bedeutende Rolle der ÖRK und die Ökumenische Bewegung gespielt hat, vor allem im s.g. Tozanso-Prozess ab 1984, bei dem es um Vereinbarungen zur Beendigung der gegenseitigen Isolationshaltung der Kirchen in Nord- und Südkorea ging. Heute gibt es Frustration darüber, dass diese Bemühungen eingeschlafen zu sein scheinen – und eine Bitterkeit, als koreanische Christen an der Situation der Teilung anscheinend nichts ändern zu können. Aber es gibt auch wieder Hoffnung, dass die ökumenische Gemeinschaft gemeinsam mehr erreichen könnte.

Schulamit, kannst Du als Koreanistin einschätzen, welche Bedeutung die Vollversammlung für Korea und die Kirchen dort haben wird?
 
Schulamit: Das ist eine schwierige Frage! Die Kirchen, die schon lange ökumenisch aktiv sind wie die Presbyterian Church of the Republic of Korea, haben sicher durch die Vollversammlung zwischenkirchliche Beziehungen gestärkt. Durch die sehr verbindlichen Ansprachen der World Evangelical Alliance und der Lausanner Bewegung könnte es eine Annäherung der konservativen koreanischen Kirchen mit dem ÖRK geben, die diese Verbänden näher stehen. Vor allem aber haben viele Delegierte durch das Wochenendprogramm in den verschiedenen lokalen Kirchen in Korea ein besseres Verständnis von dem Land, seiner Geschichte und Kultur bekommen haben und die überaus warmherzige Gastfreundlichkeit des Landes erlebt. Mit der dieser Vollversammlung ist Korea nun auf der „historischen Karte“ des ÖRK fest verankert.

Könnt Ihr sagen, was Ihr für Euch persönlich gelernt habt oder was sich durch diese Erfahrung für Euch verändern wird?
 
Daniela: Ich habe gelernt, wie wichtig es ist, Prioritäten zu setzen und meine Kraft in ein, zwei Dinge zu investieren, die mir wichtig sind. Verändern wird sich für mich voraussichtlich nicht so viel, nur habe ich wieder gemerkt, wie gerne ich im Ausland bin und andere Kulturen und deren Sprache kennenlerne. Ich freue mich schon auf mein Auslandssemester!
Schulamit: Persönlich hatte die Vollversammlung für mich zwei Seiten: Ökumenische Arbeit ist eine Herausforderung, der man sich immer weiter stellen muss. Es war viel Arbeit und auch sehr zeitaufwendig sich für die Vollversammlung vorzubereiten und in Busan mitzumachen. Es gibt einem aber auch die Chance, als Christin zu den „weltbewegenden“ Themen von heute Stellung zu beziehen. Wir sollen doch als Christen das Evangelium zum Leben zu bringen und da ist die ökumenische Arbeit ein großes Geschenk mit dem man davon etwas verwirklichen kann! Es ist ein Privileg, auf einem hohen Niveau mit der professionellen Unterstützung von anderen Gläubigen unseren christlichen Glauben leben zu können.

Die Vollversammlung hat einen „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ beschlossen? Was ist damit gemeint und wie könnte das konkret aussehen?
 
Daniela: Gemeint ist erst mal ein neues Selbstverständnis der Mitgliedschaft im ÖRK. Auf einem Pilgerweg kann man selbst nicht so viel Gepäck tragen, dafür reist man in einer Gruppe und jeder kann etwas anderes tragen. So können Mitgliedskirchen in ihrer Region mit anderen Mitgliedskirchen zusammenarbeiten und die Kapazität einer einzelnen Kirche konzentriert sich auf das Thema, das für sie wirklich bedeutend ist und wo sie besondere Kapazitäten hat. So kann an vielen Orten auf der Erde etwas Kraftvolles entstehen. Ich kann mir ganz konkret gegangene Pilgerwege vorstellen, die von verschiedenen europäischen Kirchen gemeinsam zu einem Thema gegangen werden.
 
Ihr seid Beide im Netzwerk MEET engagiert. Welche Bedeutung hat diese Vollversammlung für MEET und Junge Ökumene in Deutschland?
 
Schulamit: Wir haben als Mitglieder von MEET durch die Vollversammlung eine ordentliche „Spritze“ an ökumenischer Erfahrung erhalten und Kontakte zum ÖRK und zu Ökumenikern in anderen Ländern. Das, würde ich sagen, ist eine Bereicherung für MEET. Den Pilgerweg, den MEET für 2014 geplant hat, würden junge ÖkumenikerInnen aus anderen europäischen Ländern gerne mitgehen, vielleicht schon im nächsten Jahr oder in den kommenden Jahren.
Daniela: Durch die Begegnungen mit jungen Gläubigen aus aller Welt sind persönliche Kontakte entstanden, ein Netzwerk knüpft sich immer weiter. So können wir uns über funktionierende Konzepte austauschen und vielleicht in etwas entfernterer Zukunft internationale Projekte auf den Weg bringen. Zu sehen, dass es rund um den Globus motivierte und engagierte junge Menschen gibt, ermutigt und stärkt uns in unserer Arbeit!

Vielen Dank Daniela und Schulamit für das Interview und alles Gute für Euren zukünftigen privaten und ökumenischen Weg!