Die Wut der Südkoreaner

Republik Korea 
Die Zeit, 2014-04-17

Die Wut der Südkoreaner

Eine Crew, die als erstes von Bord geht und Schüler hilflos zurücklässt. Eine Präsidentin, die vor allem Fotos von sich machen will. Nach dem Fährunglück gibt es Ärger. Von OK-HEE JEONG



Zwei Tage nachdem vor der Südwestküste des Landes eine Fähre mit 485 Menschen an Bord gekentert ist, befindet sich Südkorea weiter im Schockzustand. Unter den Passagieren waren 325 Schüler, die auf Klassenfahrt zur Ferieninsel Cheju unterwegs waren. Bislang konnten 179 Menschen gerettet werden, die anderen werden weiter vermisst. 25 Tote wurden bislang entdeckt.

Es ist außerdem schwierig, den Schiffskörper zu bergen. 555 Helfer, 166 Boote und 29 Flugzeuge sind mittlerweile im Einsatz, wie südkoreanische Medien berichten. Um den Rumpf aus dem Wasser zu ziehen, werden drei Kranschiffe gebraucht, die bald am Unglücksort eintreffen sollen. Doch solange unklar ist, ob es in dem Schiffsbauch noch Überlebende gibt, so heißt es, können die Kräne nicht zum Einsatz kommen – sie könnten Passagiere in Gefahr bringen.   

Inzwischen verdichten sich die Indizien, dass ein abruptes Wendemanöver das Schiff zum Sinken brachte. Das haben Medienberichten zufolge erste Auswertungen der überlebenden Schiffsbesatzung ergeben. Verdächtigt wird offenbar ein junger, unerfahrener Matrose. Er soll das Fährschiff gesteuert haben und nicht der 60-jährige Kapitän Lee Jun Seok, der 40 Jahre Berufserfahrung hat. Der Matrose sei erst seit einigen wenigen Monaten auf der Fähre Sewol gewesen, berichtet die Zeitung Hankyoreh-Shinmun.

Die Präsidentin inszeniert sich

Der Kapitän des Schiffes befindet sich nach einem Krankenhausaufenthalt mittlerweile in Untersuchungshaft. Er gehörte zu den ersten, die von dem sinkenden Schiff gerettet wurden – gemeinsam mit 17 der insgesamt 29 Crewmitgliedern. In den sozialen Netzwerken Südkoreas kursiert inzwischen das Foto des Kapitäns. User kommentieren wütend, wie der Mann seine Passagiere so im Stich lassen konnte.

Inzwischen glauben viele, es hätte mehr Überlebende gegeben, wenn die Crew den Menschen auf dem sinkenden Schiff nicht die Anweisung gegeben hätte:  "Bleiben Sie in den Kabinen!"

Die Südkoreaner ärgern sich in diesen Tagen auch über das zynisch anmutende Verhalten ihrer Präsidentin, weiterer Politiker und den Medien. So ließ sich Präsidentin Park Geun Hye mit einem sechsjährigen Mädchen ablichten – das gerade ihre Eltern bei dem Schiffsunglück verloren hatte und selbst im Krankenhaus behandelt worden war. Offenbar wurde das Mädchen nur für das Foto in eine Sporthalle gebracht. "Die Präsidentin tröstet das sechsjährige Mädchen Gwon Jin-Young, das seine Eltern verloren hat", betitelte die regierungsfreundliche Zeitung Chosun Ilbo das Bild.

Schon vorher war die Präsidentin von den sozialen Netzwerken verspottet worden, als sie zum Unglücksort eilte und in die Fernsehkameras sagte: "Ich konnte nicht still zu Hause sitzen, weil ich mir große Sorgen mache. Warum aber können die Kinder nicht gerettet werden, obwohl sie Rettungswesten anhaben?"

"Ihr ist scheinbar entgangen, dass die Vermissten im Schiffswrack gefangen sind", kommentierten die User: "Obwohl sie doch die Geschehnisse genaustens verfolgt haben will."

Werbung für Reiseversicherungen

Vorher hatten weitere hohe Politiker die Sporthalle besucht, in der sich die Angehörigen der Opfer versammelt hatten. Sie wurden nicht so gnädig empfangen wie die Präsidentin – sondern wütend aus dem Raum gedrängt. Premierminister Jung Hon-Won bekam sogar eine Wasserflasche an den Kopf geworfen. Die aufgebrachten Angehörigen schimpften, die Politiker sollten sich gefälligst bemühen, die Kinder zu retten, anstatt sich mit dem Unglück zu profilieren, berichtete die Zeitung Kyunghyang-Shinmun.

Doch auch nicht alle Medien verhielten sich respektvoll. Zeitungen wie die großeChosun Ilbo veröffentlichten einen Artikel, der Werbung für Reiseversicherungen machte. Andere Journalisten zitierten aus Schulheften von potenziellen Opfern.

Doch die Aussagen von Überlebenden bringen auch herzzerreißende Geschichten von Selbstlosigkeit und Courage hervor, wie der Fall des 22-jährigen Schiffscrew-Mitglieds Park Ji-Young. Sie überließ ihre Schutzweste einem 17-jährigen Schüler, damit er zuerst gerettet werden konnte. Ji-Young starb bei dem Unglück. Überlebende berichten, wie sie Schülern noch geholfen hatte, als ihr das Wasser selbst auf Brusthöhe stand.

Die Angehörigen der Vermissten halten sich nun an dem Strohhalm fest, dass Experten zufolge nicht alle Teile des gesunkenen Schiffs unter Wasser sind und durch die Größe der Fähre möglicherweise genug Sauerstoff vorhanden ist. Allerdings kommen die Rettungsarbeiten wegen der starken Strömung und Nebels kaum vorwärts.

So warten alle verzweifelt auf ein Lebenszeichen.

"Ich schreibe dir, weil ich nicht weiß, ob ich dir das noch selber sagen kann. Ich hab dich lieb, Mama.", textete eine Schülerin kurz nach dem Unglück ihrer Mutter. Ohne zu wissen, worum es ging, schrieb diese zurück: "Ich dich auch."