1924 Vorgeschichte des AEPM

AEPM Allgemeiner Evangelisch-Protestantischer Missionsverein
ab 1929 Ostasienmission
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Quelle: Ostasien-Jahrbuch Nr. 3 (Berlin 1924)

Zur Vorgeschichte des Allg. Evang.-Protest. Missionsvereins.
von D. Ernst Buß (Glarus).


Es scheint hohe Zeit zu sein, daß die Tatsachen, Welche die Entstehung des Allgemeinen Evang.-Prot. Missionsvereins herbeigeführt haben, jetzt, da man auf seine 40 ersten Jahre zurückblickt, endgültig festgestellt werden; sonst könnte es leicht zu spät werden. Denn von den damals dabei beteiligt Gewesenen stehe ich mit meinen 80 Jahren wohl allein noch da, und auch diese schwache Stütze kann jeden Augenblick zusammenbrechen. Bereits hat die Zeit begonnen, Nebelchen um die Vorgänge jener Tage zu weben und zeitliche, lokale und personelle Verschiebungen in die Bilder der entstandenen Tradition hineinzubringen. Nicht nur dies. Selbst eigentliche Irrtümer sind aufgetaucht, weil über eine ganze Anzahl nicht unwesentlicher Vorkommnisse die nötigen Aufzeichnungen fehlen. Ich bin deshalb schon wiederholt und von verschiedenster Seite aufgefordert worden, hier ergänzend oder berichtigend in die Lücke zu treten. Habe ich dies nicht schon früher getan, so lag der Grund darin, daß es mir widerstrebte, was unvermeidlich hätte geschehen müssen, meine eigene Person mit in die Sache hineinzuziehen. Da ich jedoch einsehe, daß es ohne das nicht geht, daß ich als derjenige, dem es beschieden war, den Verein zu gründen, um diese Forderung nun einmal nicht herumkomme und bei Nichterfüllung derselben ein nie gutzumachendes Unrecht am Verein und seiner Geschichte beginge, will ich mich nicht länger versagen. Ich darf jedoch die Leser bitten, auch ihrerseits meiner Stellung zur Sache wie meinen Jahren gebührend Rechnung tragen zu wollen.


Wie ich zur Mission kam und die Mission zu mir.

Der erste Gedanke an einen im Sinn und Geist des Allgemeinden Evang.-Prot. Missionsvereins zu gründenden Verein findet sich ausgesprochen in meinem [64] Buche "Die christliche Mission, ihre prinzipielle Berechtigung und praktische Durchführung". Entstanden ist dieses Buch im Jahre 1873. als ich 30 Jahre alt war. am Fuß des von Gletscher und ewigem Schnee bedeckten „Wildstrubels" im Dorfe Lenk, dem obersten im Simmental, Kantons Bern, wo ich damals Pfarrer war. Daß es aber geschrieben würde. hatte seine weit zurückgreifenden, mit der Mission in Beziehung stehenden Gründe, die deshalb hier mit ein paar Worten skizziert werden sollen.

Als Sohn eines Pfarrers kam ich schon in meinen frühesten Kinderjahren, erst in Grindelwald, dann im Städtchen Aarberg-Bern, mit der Mission in Berührung, indem mein Vater als warmer Freund derselben eine intensive Tätigkeit zu ihrer Verbreitung entwickelte und uns Kindern häufig Erlebnisse von Missionaren aus der Heidenwelt erzählte, auch Zöglinge des Basler Missionshauses öfter bei uns Einkehr hielten, dabei herzbewegende Lieder sangen und interessante Gespräche führten, so daß ihre Besuche bei mir jedesmal einen tiefen Eindruck hinterließen. Anläßlich eines solchen Besuches — es war der aus Indien heimgekehrte „Bruder" Strobel, später Pfarrer bei Frankfurt a. M. — entschloß ich mich mit 14 Jahren plötzlich, meinen bereits in Vorbereitung genommenen Beruf eines Architekten aufzugeben und Missionar zu werden. Mein Vater aber stimmte nur halb zu. Er sagte, ich solle zunächst Theologie studieren; sei ich nachher noch desselben Sinnes, so werde er mich mit Freuden unter die Heiden ziehen lassen. Ich folgte seinem Rate. Sehn Jahre gingen herum; aber weder er noch ich kamen mehr auf die Sache zurück; denn die Situation hatte sich mittlerweile völlig verändert.

Es waren in der bernischen Landeskirche heftige, lang anhaltende Kämpfe ausgebrochen, die, von Rationalismus und Pietismus ausgehend, sich mehr und mehr in drei Parteien oder Richtungen kristallisierten, in der alten orthodox-pietistischen, der neuen, kräftig vorstoßenden Reformpartei und der dazwischenliegenden sogenannten vermittelnden Richtung, deren Hauptträgerin die Universität war, der deshalb auch die Studentenschaft sich großenteils zuwandte. Die Basler Mission nun, die einzige damals in der deutschen Schweiz vertretene Mission, stand mit ihrem ganzen Anhang auf der äußersten Rechten der Orthodoxie resp. des von Württemberg aus beeinflußten extremen Pietismus. Ebenso meine gottesfürchtigen Eltern, ebenso die gesamte Lehrerschaft des Lerberschen Privatgymnasiums in Bern, dessen Internat ich von den Eltern anvertraut worden war, ebenso die verschiedenen Pfarrer, deren Gottesdienste uns Gymnasiasten zu besuchen anempfohlen war. Ganz und gar in diesem orthodox-pietistischen Milieu aufgewachsen und erzogen, auch beim Umgang mit meinen Kameraden derselben Geistesluft ausgesetzt, durchlebte ich alle Stadien des methodistischen Bekehrungsprozesses und betrachtete die Betätigung für die Mission als die selbstverständliche und schönste Auswirkung echter christlicher Frömmigkeit. Allein mit der Zeit machte mich doch manches stutzig: das zu Spaltungen treibende Konventikelwesen in den Kreisen, in denen ich mich bewegte, der süßliche Ton, auf den so viele Reden und Schriften gestimmt waren, die Geringschätzung, mit der von allen anderen Kreisen. auch den Kommilitonen der übrigen Lehranstalten, auf uns herabgeschaut wurde, während wir selbstgerecht in jenen nicht selten nur zu bemitleidende Weltkinder sahen, ferner die fast gänzliche Ignorierung der Mission seitens der theologischen-Fakultäten und der theologischen Schriftsteller. Eines Tages aber stellte ein Ereignis meine Sympathie mit der Mission auf eine harte Probe: das mehrwöchige Auftreten des im Urlaub aus Indien heimgekehrten [65] Basler Missionars Hebich in Bern, der durch seine ausfällige Erscheinung, seinen mächtigen weißen Bart und die üppige Fülle seines Leibes aller Blicke auf sich zog, durch die beleidigende Derbheit mancher seiner Redeergüsse nicht selten Stürme der Entrüstung entfesselte, wobei das Pereat der Studenten oft vom Geschrei der Anhänger der Mission noch übertönt würde. Das wurde mir zu viel, und ich spürte, wie sich das Band mit der Mission in mir lockerte, ohne indessen ganz zu zerreißen.

An die Universität übergegangen, entwuchs ich immer mehr der bisherigen einseitigen Beeinflussung. Die exegetischen und dogmatischen Studien führten mich in eine neue Gedankenwelt, und Zweifelskämpfe fingen an, mich so ernstlich umzutreiben, daß ich mich allen Ernstes fragte, ob ich mich nicht von der Theologie ab- und besonderen Spezialwissenschaften, die damals eben auftauchten und mich besonders fesselten, wie die allgemeine Religions- oder die vergleichende Sprachwissenschaft. zuwenden sollte. Um aber vorerst auf einigermaßen festen Boden zu kommen, machte ich mich an die Lösung einer von der theologischen Fakultät eben ausgeschriebenen Preisfrage über „Das Wort Gottes in der Schrift", die eine eingehende Erörterung der Inspirationslehre erforderte. Sie wurde prämiiert und brachte meine Stellung zur Mission endlich definitiv zur Entscheidung. Ich brach mit meiner bisherigen Weltanschauung. Infolgedessen wurde es mir unmöglich, Missionar im herkömmlichen Sinne zu worden, und ich schlug mir diesen Gedanken endgültig aus dem Kopfe. Die Mission als solche aber lebte in meinem Innern doch heimlich fort. Ich hatte sie zu lange als mein Ideal auf dem Herzen getragen. So bewegten sich auch die Studien, denen ich mich als junger Pfarrer neben meinem Amte hingab. unabsichtlich an der Peripherie der Missionswissenschaft, besonders fesselten mich sowohl die Vorlesungen Roths in Tübingen über allgemeine Religionsgeschichte. des einzigen, bei dem man dieses Kolleg hören konnte und dem zulieb ich mein letztes Semester dort zubrachte, als die sich folgenden "Essays" des Sanskritisten Max Müller in Oxford, die mir die fruchtbarsten Anregungen boten. Ich stand mit ihm in persönlicher Verbindung.

Während ich nun mitten in diesen Studien stand, erfolgte an mich eine persönliche Aufforderung von offizieller Seite, mich in meiner Gemeinde Lenk praktisch für die Mission (d. H. die Basler) zu betätigen, sie in der Predigt zu empfehlen, regelmäßige Missionsstunden abzuhalten und gelegentlich Missionsfeste zu veranstalten, wozu man mir gerne geeignete Redner zur Verfügung stellen und mich mit Literatur ausstatten wolle. Man ermangelte nicht, mich hierbei auf das würdige Vorbild meines alten Vaters hinzuweisen. Geschrieben war der Brief im Frühjahr 1875 vom Sekretär der Evangelischen Gesellschaft des Kantons Bern, dem Pfarrer Otto von Greyer in Bern, dem Vater des bekannten Germanisten gleichen Namens. Der Brief war so ernsthaft gehalten, daß darauf eine ebenso ernsthafte Antwort gehörte. Ich setzte in dieser mit aller Offenheit auseinander, daß, so hoch ich die Mission als solche zu allen Zeiten geschätzt habe und noch schätze, es mir dennoch unmöglich sei, dem Begehren der Evangelischen Gesellschaft, der Vertreterin der Basler Mission, zu entsprechen, und entwickelte kurz und klar meine Gründe. Darauf folgte von dieser ein zwölfseitiges Schreiben, das meine Einwendungen ausführlich zu widerlegen suchte und mich nochmals eindringlich bat, ihr Begehren zu erfüllen. Aber ich blieb fest, ermangelte indessen nicht, die ganze, in jener bewegten Zeit beständiger Prinzipienkämpfe nicht ganz uninteressante Angelegenheit einem kleinen Freundeskreis, dem Pastoralverein Saanen-Obersimmental, der kurz darauf in Saanen zusammenkam [66] —-ich hatte bei hohem Schnee 6 Stunden hin und 6 Stunden her zu Fuß über den Paß der Saanenmöser zu gehen - in extenso vorzulegen. Wir waren unser acht. Die Mehrzahl billigte mein Vorgehen, die andern schwankten; ein klares Resultat kam nicht zutage, und da wir als junge Bergpfarrer noch unerfahren dastanden, wurde der Wunsch laut, ich möchte die Sache einem größeren Kreise erfahrener Theologen unterbreiten. Dies geschah. Anfangs September versammelte sich in Thun die "Theologisch-kirchliche Gesellschaft des Kantons Bern", die Vertreterin der Mittelpartei, der ich mich schon einige Seit vorher angeschlossen hatte. Vor dieser hochansehnlichen, aus Pfarrern und Professoren zusammengesetzten Gesellschaft hatte ich gedacht, mein Anliegen, um ins klare zu kommen, mehr fragend als explizierend und behauptend vorzubringen, wurde aber vom Präsidenten veranlaßt, im Gegenteil es zu einem richtigen Vortrag auszugestalten. So geschah es denn auch, und während allen Nachdenkens und Ausarbeitens zur Niederschrift wurde mir manches klar, was mir bisher unklar geblieben war. Das Resultat überraschte mich. Die etwa 40 anwesenden Herren erklärten sich einstimmig in allen Hauptpunkten mit meinen Darlegungen einverstanden. sowohl was die an der gang und gäben Basler Mission geübte eingehende Kritik, als was die positiven Vorschläge zu einem von höherer Warte aus, in freierem Geiste zu unternehmenden Missionsverfahren betraf. Und zu meiner nicht geringen Verwunderung wurde ich zum Schlusse aufgefordert, den Vortrag einer kirchlichen Zeitschrift zur Vervielfältigung zu übergeben, Ein Witzbold hatte sein Votum mit dem Worte geschlossen, er stelle den Antrag, man solle mich in die Missionsländer schicken, die Missionare zu bekehren.



Wie das Buch entstand, das für den genannten Missionsverein von grundlegender Bedeutung werden sollte.   1873 - 76.

Die Drucklegung meines Vortrages erfolgte, aber in ganz anderer Weise. Als nach Beendigung der Verhandlungen die Versammlung auseinanderging und ich noch allein im Saale meine Papiere ordnete, trat ein mir bisher nur erst dem Namen nach bekannter Herr zu mir, um mir im Vertrauen etwas zu sagen. Es war der einige Jahre zuvor an die Universität Bern berufene Ordinarius für Kirchengeschichte, Fr. Nippold, der, zu Emmerich an der holländischen Grenze aufgewachsen und mit den akademischen Verhältnissen der Niederlande wohl vertraut, sich nach meinem Vortrag gedrängt fühlte, mich darauf aufmerksam zu machen, daß die „Haager Gesellschaft zur Verteidigung der christlichen Religion", allerdings schon fast vor einem Jahre, vielleicht aber doch noch nicht zu spät, eine Preisfrage über die Mission ausgeschrieben habe, deren Beantwortung nach seinem Bedünken ungefähr im Sinne meines Vortrages gewünscht werde. Er ermunterte mich, die Frage zu bearbeiten, und anerbot sich, mir mit Herbeischaffung von Quellenmaterial behilflich sein zu wollen. Ich hielt es jedoch für unmöglich, bis zum 15. Dezember als dem festgesetzten Einlieferungstermin sine so schwierige und umfangreiche Abhandlung fertig bringen zu können, zumal ich neben der Besorgung des Pfarramtes auch noch die Gemeindeoberschule zu unterrichten hatte. Schließlich ließ ich mich aber doch bereden, mußte jedoch darauf verzichten, für den Text irgendwelche Entwürfe zu machen, und das ganze Manuskript, das zirka 300 Pandektenseiten füllte, sofort ins Reine schreiben. Manche Nacht wurde durchgearbeitet. Immer neue Schwierigkeiten traten in den Weg. Schließlich wollte auch noch die Post versagen, indem sie in letzter Stunde das Paket als ein- [67] zu schreibenden Brief taxierte, zu dessen Frankierung weit mehr Marken erforderlich wären, als dem Büro zur Verfügung standen, so daß man des Morgens um 5 Uhr bei grimmiger Kälte in Privathäusern herum das Fehlende aufzutreiben genötigt war. Der fingerdicke Brief mußte auf beiden Seiten von zu oberst bis zu unterst so dicht mit Marken überklebt werden, daß dazwischen kaum noch die paar Wörter der Adresse Raum fanden.

Neun Monate später, im September 1874. erhielt ich die Nachricht, daß meine Arbeit als einzige von dreien, mit dem vollen Preis. 800 Gulden und der silbernen Medaille der Gesellschaft mit meinem Namen und ihrem Emblem. gekrönt worden sei. Ich erbot mich im Einverständnis mit der Jury, das allzu eilig hingeworfene Manuskript umzuschreiben. Da aber hierzu noch neues Material zu benutzen war und ich in eben dieser Zeit an einen neuen Wirkungskreis übersiedelte — nach Zofingen. Kanton Aargau — verzögerte sich das Erscheinen des Buches bis ins Jahr 1876.

Es erschien, wie alle preisgekrönten Werke der Gesellschaft, von dieser herausgegeben und trägt auf dem ersten Blatt den holländischen Titel: „Werken van het Haagsche Genootschap tot Verdediging van den christelijken Godsdienst. Urjfde Recks. Achtste Deel. Leiden, E. J. Brill, 1876." Das zweite Blatt bringt den deutschen Titel „Die christliche Mission, ihre prinzipielle Berechtigung und praktische Durchführung, eine von der Haager Gesellschaft zur Verteidigung der christlichen Religion gekrönte Preisschrift von Ernst Buß, Pfarrer in Zofingen, Kanton Aargau. Leiden usw.". das dritte Blatt die Preisfrage in extenso holländisch: „Daar in de laatste halve eeuw de christalijke zending onder de Heidenen, Mohammedanen en Joden zich zoo zeer heeft uitgebreid, doch haar door velen wordt tegen geworpen, dat het Christendom niet voor alle volken geschikt is, door anderen, dat althans de tot hiertoe gebruikelijke methode aanmerkelijk zou behooren gewijzigd te worden, zoo vraagt heet Genootschap:

Wat leert de geschiedenis der zending aangaande de bestemming en Gesckicktheid van het christendom, om de algemeene wereldgodsdienst te worden? en welken jnvloed moet de tot dusver verkregen onderwinding,, voor de toekomst up de methode der zending hebben?" Auf deutsch: „Da in dem letzten halben Jahrhundert die christliche Mission unter Heiden. Muhammedanern und Juden sich so sehr ausgebreitet hat, von vielen aber gegen sie eingewendet wird, daß das Christentum sich nicht für alle Völker eigne, von andern, daß wenigstens eine beträchtliche Abänderung der bisherigen Methode nötig sei, so fragt die Gesellschaft: Was lehrt die Geschichte der Mission in Betreff der Bestimmung und Fähigkeit des Christentums, die allgemeine Weltreligion zu werden? Und welchen Einfluß muß die bisher gemachte Erfahrung künftighin auf die Methode der Mission haben?"

Das Buch erschien in 500 Exemplaren bei E. J. Brill in Leiden. Seiner äußeren Erscheinung nach trat es also ganz als ein holländisches Buch in die Welt, für Deutschland und die Schweiz als ein Fremdling; und solche Ausländer wurden damals entweder ignoriert oder doch nur mit Mißtrauen zugelassen. Überdies liest es sich nicht leicht, ist für einen Gegenstand, wie den vorliegenden, etwas dickleibig, stellenweise auch langfädig und verlangt zu richtiger Durcharbeitung seiner 352 Seiten reichlich Zeit und Ausdauer. Es konnte daher ein rasches Durchdringen in der Öffentlichkeit nicht wohl erwartet werden. Semen Weg fand es aber gleichwohl, und zwar

vom Missionsbuch zum Missionsverein.

Die ersten Besprechungen des Buches in der Öffentlichkeit ließen freilich nicht allzulange auf sich warten: sie gaben jedoch schon durch ihre Umfanglichkeit zu erkennen, daß ihm keine geringe Bedeutung beigelegt wurde. Es waren holländische Besprechungen. Die erste eine Broschüre von 32 Seiten: Dr. W. C. van Manen, de Zending (Mission) onder den heidenen. Zierikzee 1876. Darauf folgten in der Zeitschrift „Geloof en Vrijheid" in Rotterdam, 1876, Heft 4. S. 394 [68] bis 396, von L. H. Lafonder, Professor in Utrecht: "Verschijuselen des Tijds" (Zeiterscheinungen). und ebendort S. 403—424 von Professor Johannes Tidemann in Amsterdam: „Een merkwaardig, schoon en belangrijk boek (Buch)." Fast zur selben Zeit sodann ließen sich in der Schweiz vernehmen in dem im Auftrag des Basler Mssionskomitees herausgegebenen „Evangel. Missions-Magazin", Basel, 20. Jahrg.. 1876, anonym, wahrscheinlich von Dr. Gundert verfaßt: „Missionsgedanken eines Vermittlungstheologen", und im Volksblatt für die reformierte Kirche der Schweiz", 1876, Nr. 20, 21, 79, 82, 83 und 84, von G. Joß „Die christliche Mission, ihre prinzipielle Berechtigung und praktische Durchführung". In Deutschland rückten in die Linie die damals eben entstandene „Allgemeine Misstonszeitschrift" von Dr. E. Warneck mit ihren Aufsätzen „Eine neue Missionsmethode", 1876, S. 371—374 und 416—434. und die auf fast allen Geistesgebieten führende „Augsburger Allgemeine Zeitung" mit einer Rezension „Zur Reform des christlichen Missionswesens", 1876, S. 3225 und 3226; aber auch die „Neue evangelische Kirchenzeitung" in Berlin, ohne Nennung des Namens, mit zwei Aufsätzen: 1876, S. 23, 25 und 26 über "Missionstheorie und Missionspraxis" und 1877, Nr. 10 ff. über „Missionsmethoden und Missionserfolge". Aus demselben Jahre 1877 sind noch zu erwähnen im evangelisch-protestantischen Kirchenblatt der Pfalz „Union" die Rezension S. 17—19 „Die Heidenbekehrer" und aus der Schweiz in der Zeitschrift „Reform", S. 209—213. vom Verfasser der Bücher über Pietismus und Äußere Mission von 1864 und 66, Friedrich Langhans. „Zur Mission unter Heiden und Christen".
Von 1877 an aber trat eine allgemeine Stille ein. die. soweit ich's beobachten konnte, bis 1882 oder 83 dauerte. Kein Ton ließ sich mehr vernehmen, wie wenn kein solches Buch je erschienen wäre, was sollte ich dabei denken? War es eine bloße Atempause, die weitere, größere Anstrengungen vorbereitete? Dann brauchte sie sich doch nicht fünf Jahre Zeit zu nehmen. Oder sollte die Stille bereits das allmähliche Erlöschen der begonnenen literarischen Kontroverse bedeuten? Wie?, es könnte möglich sein, daß Vorschläge zur Neugestaltung des ganzen Missionswesens von solcher Tragweite, wie das Buch sie vorsah, nach kurzer Ankündigung als leerer Schall im Blätterwald der Presse verhallen? Fast wollte mir bange werden, aber mein Optimismus ließ es nicht zu. Ein Unternehmen, dessen Fundamente so gründlich durchgeprüft werden, und das unter so vielem Nachdenken und Beten bis an die Grenze der Ausführung gebracht worden war, konnte nicht so untergehen. Ich hoffte daher auf baldige Wendung und tröstete meinen Unverstand inzwischen mit dem Sprichwort: Gut Ding will Weile haben. Und siehe da! Auf einmal traten Symptome zutage, die Besserung verhießen.
Auf einmal fand sich, wie ich mich persönlich überzeugen durfte, dos Buch in den Wandermappen der Pastoralvereine, stand das Thema „Neue Missionswege" auf den Traktandenlisten der Bezirks- und Landessynoden, griffen die Redner an den Missionsfesten zu dem neuen Stoffe und erhoben sich darüber gelegentlich recht lebhafte Debatten. Es waren nicht sowohl die großen wissenschaftlichen Zeitschriften, in deren Hand jetzt die Diskussion lag, als vielmehr die zahlreichen kleinen religiösen und kirchlichen Blätter, auch politische. Die öffneten ihre Spalten auch Erörterungen für eine in freiem Geiste zu betreibende Mission. Blätter wie die Kölnische, die Magdeburger, die Weserzeitung, das Wiesbadener, das Berliner evangelische Gemeindeblatt, der Evangelische Gemeindsbote im Elsaß, die Predigt der Gegenwart, die Heidelberger „Kirche", die protestantische [69] Kirchenzeitung, ähnliche Blätter aus Jena, Gotha, Potsdam, Schlesien usw., Blätter, die bisher kein Wort für die Mission gehabt hatten. Das waren mir ebenso viele Beweise, daß unser Buch doch allmählich anfing, in die Breiten und Tiefen der religiös interessierten Bevölkerung herabzudringen und damit die religiöse Stimmung vorzubereiten, die zur Gründung eines Missionsvereins nötig war.
Nicht nur dies. Sondern ein weiterer, ein handgreiflicher Beweis hierfür lag für mich darin, daß jetzt, sechs Jahre nach dem Erscheinen, doch endlich persönliche Kühlung mit dem Verfasser auch von seiten mir ganz unbekannter Persönlichkeiten gesucht wurde, speziell um sich zu erkundigen, ob wohl bereits ein Ansang zu allfälligem Zusammenschluß von Gesinnungsverwandten gemacht sei und, wenn ja, an wen man sich diesfalls zu wenden hätte. Andere, wie Prediger Ritter in Potsdam und Dr. Lisco in Berlin, erhielten öfter Liebesgaben für die Mission, wußten aber nicht, wem sie dieselben abgeben sollten, da sie nach Lesung unseres Buches es nicht mehr über sich brachten, sie wie bisher der Berliner oder der Basler Mission zuzuwenden. Die baten mich um Rat und benutzten den Anlaß, gleichzeitig ihre eventuelle Bereitwilligkeit zur Teilnahme an einem sich bildenden Verein im Sinn meines Buches auszusprechen. Solche und ähnliche Briefe trafen jetzt öfter bei mir ein. Die Redaktoren verschiedener religiös-kirchlicher Zeitschriften, Professor Bassermann und Stadtpfarrer Schück in Heidelberg, Konsistorialrat Ehlers in Frankfurt a. M. u. a., erbaten sich Zusendungen von geeigneten Artikeln für ihre Blätter. Pfarrer Horn in Marisfeld-Meiningen hatte unter dem Titel „Mehr Teilnahme für die Heidenmission!" eine warm gehaltene Broschüre zugunsten einer nach meinem Buche einzurichtenden Mission versaßt und mit der Überreichung seiner Broschüre gleichzeitig seinen Beitritt zu einer solchen Mission erklärt. Ebenso hatten einige Schweizer, die sich um meine Vorschläge zu einer Mission in freieren Formen interessierten, einen zum Teil eingehenden Briefwechsel mit mir angeknüpft und ähnliche Absichten geäußert: Männer, wie der Palästinaforscher Professor Furrer in Zürich, sein Kollege, Freund und Gesinnungsgenosse Kesselring und Pfarrer Spinner in Dynhard-Zurich, unser nachmaliger erster Missionar, der eben von mehrmonatiger Reise aus Ägypten, Tunis und Marokko heimgekehrt war. Kurz: die schriftliche Besprechung unserer Missionssache, speziell der Frage, ob zur Gründung eines Vereins geschritten werden solle oder nicht, war in vollem Gange. Man mochte sagen: die Gründung lag in der Lust, sie mußte kommen.

Der erste Schritt zur Vereinsgründung.

Nachdem im Sommer 1882 eine ordentliche Anzahl von Briefen auf nunmehriges entschiedenes Vorgehen hindrängte, hielt ich es für meine Pflicht, mit einem ersten Schritt die Initiative zur Gründung des Vereins herbeizuführen. Professor Nippold mochte denselben kaum erwarten. Der ruhig-ernste, glaubens-volle Furrer in Zürich und sein Freund Kesselring waren, wie ich mit Sicherheit wußte, bereit, loszulegen. Ähnliches durfte ich Pfarrer Blaser in Langenthal-Bern und verschiedenen meiner Berner Freunde und Kommilitonen, von Deutschen Riff in der Ruprechtsau und Horn in Marisfeld ohne weiteres Zutrauen. Wenn ich nur die allernächsten unter den Zuverlässigen zählte, so fand ich ihrer 28; nahm ich noch einen weiteren Kreis hinzu, so standen mir bereits 60 Eingeweihte zur Verfügung. Was sollte ich weiter zaudern? Unter Inbetrachtnahme aller Verhältnisse entschloß ich mich also, auf Montag, den 3. Januar 1883 [70] diese zu einer konfidentiellen Vorbesprechung einzuladen, und zwar nach dem für alle Gegenden leicht erreichbaren Eisenbahnknotenpunkt O l t e n in der Nordschweiz. Mit größter Spannung sah ich dem Tag entgegen und hoffte das Beste. Aber o Jammer! Statt 20 oder doch einem Dutzend der Erwarteten fanden sich in dem bestellten, wohlgeheizten Sälchen summa summarum vier Mann ein, sage und schreibe vier! Es waren dies: Nippold, Kesselring, Spinner und ich. Das war alles, also außer mir nur drei, Kesselring überreichte einen Entschuldigungsbrief des verhinderten Furrer. Mit diesem waren wir fünf. Ich war anfänglich beschämt und niedergeschlagen. Da aber gleich zum Anfang noch zwei frohe Begrüssungstelegramme eintrafen — eines von Pfarrer und Privatdozent Rüntschi in Münchenbuchsee-Bern, das zweite ist meinem Gedächtnis entschwunden - und da noch weitere Freunde und Telegramme eintreffen konnten, eröffnete ich die Verhandlungen mit der Erklärung, die Versammlung, so mager sie auch ausgefallen, sei im Einverständnis mit einer größeren Zahl von Gesinnungsgenossen, deren Liste ich mitzuteilen bereit sei, in aller Form einberufen worden, müsse der Zahl nach als beschlußfähig anerkannt werden, und eine ganze Reihe wichtigster Traktanden sei meinerseits soweit vorbereitet, daß ganz wohl auf eine Verhandlung ein getreten werden könne: es besteht also kein Grund, die angesagte Tagung nicht vor sich gehen zu lassen. Die andern stimmten zu, und damit erklärte ich die Sitzung für eröffnet. Man wählte einen Präsidenten. Ich hatte dafür Furrer ins Auge gefaßt; da er aber nicht erschienen war, fiel er außer Betracht, und ich als der einzige, der mit den Traktanden sich des Näheren bekanntgemacht hatte, mußte mich wohl oder übel zur Übernahme des Präsidiums bequemen. Zum Protokollführer wurde Spinner gewählt. Ich war mir der großen Verantwortlichkeit, die ich meinerseits übernahm, wohl bewußt und verhehlte mir nicht, was für Schwierigkeiten und Sorgen mir daraus erwachsen würden. Allein hatte ich A gesagt, so mußte ich auch B sagen. Ich wollte es jetzt auch und meine ganze Energie darein legen. Denn es erfüllte mich plötzlich eine große Zuversicht und heilige Begeisterung in Gedanken an den, der mir ungesucht eine so bedeutungsvolle Aufgabe zugedacht hatte. Ich erklärte also den Herren: wir konstituierten uns, in diese Stunde geführt, endgültig als Initiativkomitee für den zu gründenden Missionsverein, und legte ihnen Punkt für Punkt mein ganzes Programm über Grund und Ziel, Organisation, Anfangstätigkeit und fernere Maßnahmen vor. Einzelne Punkte boten Anlaß zur Diskussion; im ganzen aber einigten wir uns rasch über alle. Als Erstes beschlossen wir nun, auf die Osterferien eine größere vertrauliche Konferenz aller erreichbaren Gesinnungsgenossen in Deutschland und der Schweiz zu veranstalten und, um hierfür zu werben, ein kurz, aber eindringlich gehaltenes Programm auszuarbeiten. Die Abfassung desselben wurde mir übertragen und beschlossen, es zur Durchsicht bei allen vier Mitgliedern zirkulieren zu lassen, nach erfolgter Bereinigung aber einem möglichst weiten Kreis von Gesinnungsgenossen zur Unterzeichnung vorzulegen, um damit noch weitere zu werben. Dem Druck übergeben, wurde dieses Programm zum ersten offiziellen Dokument des Vereins. Als Ort der Konferenz wurde Frankfurt a. M. ins Auge gefaßt und Konsistorialrat Ehlers daselbst als vorläufiger Vertreter Deutschlands in das Initiativkomitee berufen.
Beim Auseinandergehen machte Kesselring die Bemerkung, wir werden zur Bestreitung der Post- und Druckkosten auch eines Quästors bedürfen, und legte zu diesem Zwecke 200 Fr. auf den Tisch, die von ihm und Furrer gemeinsam ge- [71] spendet waren. Darauf folgten auch die anderen, ein jeder mit seinem Scherflein. Das waren die ersten Gaben, die der Verein erhalten hat. Er hatte also auch schon seine Kasse, und Kesselring wurde deren Verwalter.

Der zweite Schritt zur Vereinsgründung: Die Konferenz zu Frankfurt a.M. vom 11. April 1883

Im Januar 1883 redigierte ich das beschlossene erste Schriftstück, das um seines Umfanges und äußerst ungeschickten Formates willen (37,5 Zentimeter) meines Wissens in keinem Blatte gedruckt worden ist und nur da und dort als Inventarstück in einem Vereinsarchiv noch existiert, aber unter tausend Mitgliedern kaum je einem zu Gesicht gekommen und infolgedessen gänzlich unbekannt geblieben ist. Es sei deshalb seiner einstigen hohen Bedeutung wegen hier in extensis mitgeteilt.

"Konfidentielle Einladung zur Bildung eines allgemeinen evangelisch-protestantischen Missionsvereins. Motto: Mark. 16. 15: Gehet hin in alle Welt und prediget das Evangelium aller Kreatur! Die Christenheit hat unbestritten die ebenso heilige und erhabene als unabweisliche Verpflichtung, die Ausbreitung des Evangeliums über die nichtchristliche Welt mit allen dem Geiste desselben entsprechenden Mitteln anzustreben. — Protestantischerseits ist die Christianisierung der Völker nun allerdings besonders seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts kräftig in Angriff genommen. 70 zum Teil großartig organisierte Gesellschaften widmen sich derselben, und dank ihrer Tätigkeit können bereits ganze, früher heidnische Inselgruppen und Küstenstriche mit ungefähr zwei Millionen Seelen als christlich geworden und für die evangelische Kirche gewonnen betrachtet werden, während zugleich die römische Kirche in allen Erdteilen eine sehr bedeutende Rührigkeit entfaltet. Allein diese Erfolge bezeichnen angesichts der bei 1000 Millionen zählende Menge von Nichtchristen doch erst einen, ob auch verheißungsvollen Anfang. Soll demselben ein gebührender, stetig wachsender Fortgang entsprechen, so ist eine viel allgemeinere Beteiligung, die Mitwirkung womöglich der gesamten protestantischen Christenheit erforderlich. Es stehen jedoch zur Stunde noch unzählige Glieder der Kirche den dahin gerichteten Bestrebungen vollständig fern, und bei einem großen Teil der protestantischen Bevölkerung, Geistlicher wie Laien, herrscht Gleichgültigkeit oder geradezu Abneigung dagegen.

„Es mag dies zum guten Teil auf Unkenntnis und Mangel an religiösem Interesse beruhen. Jedenfalls aber hat es seinen Grund auch darin, daß das Missionswerk, aus dem Pietismus erwachsen, mehr oder weniger zur Sache einer besondern religiös-kirchlichen Richtung geworden ist, der sich nun einmal viele nicht anzuschließen vermögen, und fast durchweg den Geist und Stempel eben dieser Richtung an sich trägt. Die Abneigung gilt also hier nicht sowohl der Mission als solcher, deren Berechtigung und Notwendigkeit im Gegenteil auch außerhalb der engern Missionskreise immer allgemeiner anerkannt wird, als vielmehr nur der Art und Weise, wie sie gegenwärtig sowohl in der Heimat als draußen in der Heidenwelt vorherrschend betrieben wird. Allein abweichende Ansichten über den Modus des Missionierens rechtfertigen noch keineswegs die gänzliche Untätigkeit der Sache selbst gegenüber, da diese mit der bisherigen Art des Verfahrens keineswegs unzertrennbar verbunden ist. Die Untätigkeit wird vielmehr von jedem aufrichtigen Christen, dem seine Religion ein kostbares Gut und der Missionsbefehl Jesu heilig ist, als ein schwer zu verantwortendes Unrecht empfunden werden müssen. Vielfache Kundgebungen der letzten Jahre erheben es jedoch über allen Zweifel, daß die Mission als solche auch unter denen, die ihr bisher ferne standen, zahlreiche Freunde zählt und daß gar manche zu Missionsbestrebungen gerne Hand bieten würden, vorausgesetzt, daß dieselben sich nicht unter den ausschließlichen Einfluß einer besonderen Richtung innerhalb der Kirche stellen.

„Angesichts dieser Tatsache nun wie in der Überzeugung, damit einem vielfach empfundenen Bedürfnis entgegenzukommen, durchdrungen aber vor allem von dem Bewußtsein des in der bisherigen Teilnahmslosigkeit liegenden Unrechts, wagen es die Unterzeichneten, die weitesten Kreise der protestantischen Welt, ganz besonders aber die an der Mission noch Unbeteiligten, zur Mitarbeit für dieselbe aufzurufen. Wir laden [72] alle diejenigen, welche das Bedürfnis der helfenden Liebe wie das Gefühl der Mitverantwortlichkeit für den Fortschritt des Reiches Gottes nicht länger gestattet, sich ihrer Missionspflicht zu entziehen, ein, mit uns zur Bildung einer Gesellschaft für die Verbreitung des Evangeliums in außerchristlichen Kreisen zusammenzutreten.

Mit vollster Hochachtung und Dankbarkeit anerkennen wir den großen Segen, den die bisherige Mission, getragen von reicher Liebe und Aufopferung und geweiht durch das Blut zahlreicher Märtyrer, in der Heidenwelt schon gestiftet. Deshalb liegt es uns fern, uns zu ihr in ein oppositionelles Verhältnis setzen zu wollen. Wir beabsichtigen lediglich, auch unsererseits einen Anteil an dem heiligen Werke zu übernehmen. Da wir aber die Mission als eine gemeinsame Angelegenheit der gesamten protestantischen Kirche betrachten, die von religiös-kirchlichen Sonderbestrebungen unberührt bleiben soll, so möchten wir den zu bildenden Verein von vornherein auf die breiteste Basis des gemeinsamen evangelisch-protestantischen Bewußtseins, der Anerkennung jeder aufrichtigen christlichen Überzeugung, gestellt sehen und auf dieser Grundlage, über die trennenden Differenzen der Heimat hinweg einfach das große gemeinsame Ziel ins Auge fassend, unsere Tätigkeit frei und unabhängig nach bestem Wissen und Ermessen gestalten. Wir werden deshalb die Mitwirkung eines jeden mit Freuden begrüßen, der in diesem weitherzigen Sinne seine Liebe im Dienst des Reiches Christi zu betätigen wünscht, gleichviel, welcher religiösen Richtung, welcher konfessionellen und kirchlichen Partei er im übrigen angehöre.

„In Hinsicht auf die praktische Betätigung schweben uns als zu erstrebende Ziele vor: Anbahnung eines regen Austausches der religiösen Ideen zwischen der Christenheit und der nichtchristlichen Welt; hier mehr wissenschaftlich, dort mehr volkstümlich gehaltene literarische und persönliche Missionstätigkeit, die ihr Augenmerk vorzugsweise aus die von der bisherigen Mission noch fast unerreichten und der religiösen Weltanschauung vielleicht dauernd unzugänglichen gebildeten Stände Indiens, Japans, Chinas usw. richten und damit jener ergänzend an die Seite treten würde; zu diesem Behuf Forderung des Studiums der außerchristlichen Religionen, Herausgabe von religionvergleichenden und apologetischen Werken und Zeitschriften, Veranstaltung von Zyklen wissenschaftlicher und religiöser Vorträge in den Zentren der nichtchristlichen Kultur u. dgl. m. Mit dieser selbständigen Tätigkeit läßt sich aber, wofern es sich als wünschbar herausstellt, auch die gemeinsame Arbeit mit andern Missionsgesellschaften, die Unterstützung einzelner bereits bestehender Werke, wie z. B. der durch die römische Propaganda gefährdeten Missionsgebiete oder die Förderung spezieller Kulturbestrebungen unter der Heidenwelt verbinden. — Zunächst aber würde es sich wohl vor allem darum handeln müssen, in der Heimat das Missionsinteresse zu beleben, die bestehenden Vorurteile zu zerstreuen und durch Wort und Schrift eine gerechtere Würdigung der Missionssache herbeizuführen: insbesondere auch eine vermehrte Berücksichtigung der vergleichenden Religionserforschung und der Missionsgeschichte seitens der theologischen Wissenschaft, die Aufnahme dieser Disziplinen in den Lehrplan der theologischen Fakultäten sowie die Errichtung von an diese sich anschließenden Seminarien zur Ausbildung von Missionaren anzuregen, die Landeskirchen zu geeigneten Maßnahmen behufs Förderung der Missionstätigkeit zu veranlassen und damit zugleich auf allmähliche Überwindung des kirchlichen Partikularismus hinzuwirken, im ferneren Beziehungen mit den Gesellschaften für Ethnologie, Erdkunde und Kolonisation anzuknüpfen usf.

„Alle diese Fragen in betreff sowohl der Grundlagen als der Zielpunkte, die hier nur unmaßgeblich skizziert find, sollen jedoch erst zum Gegenstand einläßlicher Beratung und allseitiger Verständigung gemacht werden, zu welchem Zweck auf den 11. April nächsthin eine Konferenz nach Frankfurt a. M. zusammenberufen werden wird. Dieser Konferenz bleibt auch die förmliche Begründung des Vereins vorbehalten: Es hat aber, wie Sie aus den beigesetzten Unterschriften ersehen, bereits eine größere Anzahl von Männern verschiedener theologischer und kirchlicher Richtungen, wie aus verschiedenen Gegenden und Lebensstellungen ihre Zustimmung zu den entwickelten Ideen und Bestrebungen erklärt. Auch sind bereits mit Holland, Frankreich, Siebenbürgen und den Vereinigten Staaten Verbindungen angeknüpft. Die Unterzeichneten, die zum Teil durch zufällige äußere Umstande und persönliche Beziehungen früher als andere mit der Sache vertraut wurden, freuen sich, zuversichtlich glauben zu dürfen, daß allüberall in der protestantischen Welt eine große Zahl von Gleichgesinnten sich findet. In diesem Vertrauen erlauben wir uns, auch Sie, hochgeehrter Herr, zum Bei-[73] tritt zu dem geplanten Vereine einzuladen und die ganze Angelegenheit Ihrem Nachdenken und Ihrer christlichen Liebe wärmstens zu empfehlen. Wir werden nicht verfehlen, Ihnen im Falle Ihres Anschlusses seinerzeit rechtzeitig über die in Aussicht genommene Konferenz die näheren Mitteilungen zukommen zu lassen. -

„Ob und inwieweit es uns nun aber beschieden sein wird, auch unsererseits ein Scherflein zur Lösung der universellen Aufgabe des Christentums beizutragen, stellen wir getrost dem anheim, der uns den freudigen Glauben an den welterobernden Sieg der Wahrheit ins Herz gegeben. Im Aufblick zu ihm legen wir Hand ans Werk mit dem Wunsch, dasselbe möge sich nicht nur zahlreiche Freunde erwerben, sondern auch an seinem geringen Teil mitwirken zur Förderung des Reiches Gottes in der Nähe und Ferne.

„Rückantwort gef. spätestens bis Ostern entweder an den Übermittler dieser Einladung oder für Deutschland an Herrn Pfarrer O. Horn in Marisfeld bei Themar, Thüringen, für die Schweiz an Herrn Pfarrer Ernst Buß in Glarus. — Den 5. März 1883. Hochachtungsvollst — Buchdruckerei Frid. Schmid, Glarus."

Es folgen die Unterschriften in der nachstehenden Reihenfolge der Städte und Kantone und mit der Ziffer der Eingeladenen. doch ohne deren Namen: Jena 11, Weimar 9, Gotha 6, Meiningen 6, Berlin 10, Potsdam12, Eberswalde 1, Mecklenburg 1, Breslau 2, Hamburg 8, Bremen 6, Osnabrück 1, Bonn 4, Wiesbaden 2, Frankfurt a. M. 2, Worms 1, Rheinbayern 1, Heidelberg 8, Karlsruhe 2, Freiburg i. Br. 1, Straßburg 4, Württemberg 1, München 1, England 2, Bern 26, Zürich 16, Basel 3, Aargau 4, Thurgau 1, St. Gallen 1, Glarus 10, Graubünden 2, total 171.

Bis zum 1. März wurden diese „Einladungen" an die von uns in Aussicht genommenen Persönlichkeiten versandt, teils einzeln, teils partienweise, die letztern behufs Weitersendung. Konsistorialrat Ehlers hatte es übernommen, die nötigen Lokalitäten zu bestellen, und dies aufs beste besorgt: für die Verhandlungen den Saal der polytechnischen Gesellschaft, zum Mittagstisch wie für Nachtqartiere das „Hotel zum Schwan", in welchem der Friede vom Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 abgeschlossen worden, beide in der Nähe des Bahnhofs. Furrer und ich waren spät abends eingetroffen und hatten sofort unsere Quartiere ausgesucht. Schon zeitlich am Morgen aber ließen Horn und Ritter mich fragen, ob ich zu sprechen sei, und wie ich erschien, war das ein Grüßen, wie ich noch keines je erlebt hatte. Es leuchtete eine, wenn ich so sagen darf, heilige Freude aus ihren Augen, und ehe ich das Ungewohnte abwehren konnte, war ich von ihnen in die Arme geschlossen und gestützt. Nach und nach tauchte einer nach dem anderen der durch den Briefwechsel mir bereits bekannt gewordenen Teilnehmer auf. und, im Versammlungssaal eingetroffen, fanden wir diesen zwar nicht angefüllt, aber doch von etlichen Dreißigen besetzt, die sich Mühe und Kosten nicht hatten gereuen lassen, zum Teil von weit her dem Ruf zur Missionskonferenz Folge zu leisten. Von den 33 Anwesenden waren 5 aus Frankfurt, 16 aus den benachbarten Städten Badens, Hessens und der Pfalz, 3 aus den Rheinlanden, 2 aus Thüringen, je 1 aus Straßburg und Potsdam und 5 aus der Schweiz. Nahezu ebenso viele andere fanden sich mit brieflichen oder telegraphischen Grüßen ein.

Die Konferenz wurde vom Schreiber dieses eröffnet, von Ehlers präsidiert. In freiem Gedankenaustausch wurden sodann die Grundlagen und Ziele sowie die Anfangstätigkeit des Vereins, endlich auch die mehr praktischen Fragen der Organisation, der Aufstellung der Statuten, des Finanzhaushalts, der Propaganda u. dgl. diskutiert, wobei mir immer das erste Votum zugewiesen wurde. Man hatte auch keine Mühe, sich zu verständigen. Doch führte ein Antrag von Professor Bender aus Bonn zu einem unerwarteten dogmatischen Renkontre, indem dieser als Fundament der Statuten das Apostolische Symbolum und die übrigen Be- [74] kenntnisschristen der Kirche ausgestellt wissen wollte, wogegen sich alsbald die ganze Versammlung einstimmig erhob. Zur Diskussion zugelassen, hätte dieser Antrag unerfreuliche Erörterungen hervorgerufen. Er wurde deshalb auf spätere Zeit aufgeschoben, d. h. auf immer vertagt.

Zum Schluß wurde einstimmig und mit begeisterter Akklamation die Gründung des Vereins beschlossen, für die offizielle Gründungsfeier aber ein späterer Termin in Aussicht genommen und ein provisorischer Vorstand, bestehend aus Horn, Kesselring, Bender, der jedoch ablehnte, Ehlers, Bassermann, Ritter, Nippold und Buß beauftragt, die definitive Konstituierung vorzubereiten, Statuten auszuarbeiten und sich die weitere Verbreitung des Vereins angelegen sein zu lassen.

Unter dem Eindruck der von Mut und Begeisterung getragenen Verhandlungen vereinigte sich alsdann tags darauf, am 12. April 1883, der neugewählte Vorstand zu seiner ersten Sitzung, verteilte die verschiedenen Chargen und beriet Maßnahmen zur Ausführung der ihm überbundenen Verpflichtungen. So war der Verein beschlossen und ins Leben gerufen.


Die Zwischenzeit zwischen Frankfurt und Weimar.

Am 23/ Juli 1883 trat der provisorische Vorstand in Freiburg i. B. zu einer zweiten Sitzung zusammen, die hauptsächlich der Statutenberatung gewidmet war. Statt der zeitraubenden, kostspieligen Plenarsitzungen wurden fortan Partialsitzungen abgehalten, die zweimal in Zürich und je einmal in Heidelberg und Eisenach stattfanden, an letzteren Orten, weil der Präsident daselbst öffentliche Vorträge mit den Sitzungen verbinden konnte. Bei solchen Partialsitzungen sollte der Präsident womöglich immer dabei sein, von den übrigen Mitgliedern die aus der Nähe oder wer sonst sich frei machen konnte. Im übrigen wurden die Geschäfte auf schriftlichem Wege erledigt und die Mitglieder durch gedruckte „Mitteilungen" auf dem Laufenden erhalten.

Es bildeten sich nun von Stadt zu Stadt Zweigvereine oder Sektionen. Ein paar Herren taten sich zusammen, bestellten einen geeigneten Redner und luden nach dessen Vortrag ein, dem Verein durch Unterzeichnung des Namens aus der bereitgelegten Mitgliederliste sich anzuschließen. Diese Eingeschriebenen bildeten mit den weiteren Hinzukommenden den Zweigverein. Der erste solche entstand in der Schweiz unter der Leitung von Furrer. Ihm folgten Lokalvereine in Karlsruhe, Heidelberg, Mannheim, in Weimar, Gotha und Eisenach, die im Winter 1883/84 bei Anlaß von Vorträgen entstanden, die mir zu halten vergönnt war. Durch andere gegründet wurden die Zweigvereine in Jena, Dresden, Blankenhain und die Studentensektion Jena. So war alles vorbereitet auf

die Konstituierung des Allgemeinen Evangelisch-Protestantischen Missionsvereins zu Weimar am 4. und 5. Juni 1884.

Es waren geistig reiche, erhebende Tage, die da gefeiert wurden, von den Mitgliedern, deren Zahl mittlerweile bereits auf über 1000 gestiegen war, hatten sich 180 eingefunden, und von allen Seiten trafen Glückwünsche ein. Bei der Generalversammlung, welche definitiv die Gründung der Gesellschaft beschloß, traten nacheinander 18 Redner aus den verschiedensten Gegenden auf, um über die Aufnahme, die unsere Bestrebungen in ihren Kreisen gefunden, sich auszusprechen, und alle waren einig in der Freude über das Zustandekommen [75] des Vereins. Die Fülle der sich darin eröffnenden Ausblicke mußte in jedem Vertrauen und Freudigkeit erwecken. Die Statuten wurden in der vom Vorstand redigierten Fassung angenommen und der bisherige provisorische Vorstand als definitiver bestätigt mit dem Recht der Kooptation bis auf 15 Mitglieder.

Abends Festpredigt von Pfarrer Dr. Furrer aus Zürich und gesellige Vereinigung, des anderen Tages unter dem Vorsitz von Geh. Kirchenrat Dr. Hesse (Weimar) öffentliche Vorträge vom Vorsitzenden, von Pfarrer Buß (Glarus), Professor Dr. Kirchhoff (Halle), Professor Dr. Kesselring (Zürich), Prediger Ritter (Potsdam), Gymnasialdirektor Vogelgesang (Mannheim) und Professor Dr. Nippold (jetzt Jena), die, vor zirka 500 Zuhörern gehalten, die neuen Bestrebungen von ihrer religiösen und prinzipiellen Seite beleuchteten, die Hauptmissionsgebiete: Japan, China und Indien schilderten, den Zusammenhang von Kolonisation und Mission entwickelten und mit dem Hinweis auf den Segen einer die zersplitterten Partikularkirchen innerlich einigenden, gemeinsamen Tätigkeit schlossen. Es wehte ein belebender Pfingsthauch durch die Versammlung, und das tags darauf in Jena aufgeführte Lutherspiel von Devrient trug die allseitig gehobene Stimmung weiter. So war der entscheidende Schritt geschehen, die Gesellschaft gegründet und konstituiert. (Vgl. Bu, Entstehung, Verfassung und Gliederung des Allg. Evang.-Prot. Missionsvereins. Zeitschr. f. Miss. u. Religionswissenschaft, Jahrg. I, Berlin 1886. S. 45—51.)


Schlußbetrachtungen.

Aus dem vorangehenden läßt sich nun die Entstehungsgeschichte des Missionsverein bis ins einzelnste feststellen, und diese Feststellung ist um so notwendiger, als gerade hierüber in neuerer Zeit sich Trübungen bemerkbar gemacht haben, herbeigeführt durch in Anbetracht der seither verflossenen Jahrzehnte verzeihliche Verwechslungen mit vorausgegangenen Vorläufern, die das Auftauchen neuer Missionsbestrebungen vorahnen ließen, ohne indessen mit unserem Verein in direkten Beziehungen gestanden zu haben.

Die Gründung des Vereins vollzog sich in drei Etappen, die, nicht weniger, aber auch nicht mehr, von einer zur anderen kräftig wuchsen. Es folgten sich: 1. die konfidentielle Vorbesprechung in Olten vom 3. Januar 1885, die sich, obwohl von bloß vier Teilnehmern besucht, als Initiativkomitee konstituierte. 2. die gleichfalls konfidentielle Konferenz zu Frankfurt a. M. vom 11. April 1883, zu der nur privatim, vermittelst gedruckten Zirkulares, eingeladen worden war, und zu der sich 33 Teilnehmer einfanden; 3. die öffentliche, jedermann zugängliche, in den Blättern zum voraus angekündigte Gründungsfeier in der Stadtkirche zu Weimar vom 4. und 5. Juni 1884 mit einer Teilnahme von zirka 500 Anwesenden, worunter 180 Vereinsmitglieder. Im Anschluß an die Frankfurter Konferenz wurde tags darauf daselbst eine kurze geschäftliche Sitzung des neugewählten provisorischen Vorstandes und am 23. Juli 1883 eine zweite ebensolche in Freiburg i. B. abgehalten. Zwischen den Versammlungen in Frankfurt und Weimar liegt, wie (S. 74 und 75) schon berichtet, die Entstehung der ersten provisorisch ins Leben .gerufenen Zweigvereine. Das ist aber auch alles, was vom ersten Anfang an bis Weimar (Juni 1884) zur Gründung des Vereines geschehen ist.

Wenn nun da und dort die Rede ist von "mehreren Vorversammlungen in den achtziger Jahren in Deutschland und der Schweiz", von "mehreren Versammlungen der Missionsfreunde neuerer Richtung" vor dem 11. April 1885 und [76] ähnlichem (vgl. „Missionsblatt" Nr. 2. 1923; „Glarner Nachrichten" Nr. 84, 12. April 1923 S. 1 usw.), so beruht dies auf Irrtum oder Mißverständnis. Es gab in Wirklichkeit keine solchen Zusammenkünfte, weder große noch kleine, weder im Norden noch im Süden, die irgendwie die Vereinsgründung hätten vorbereiten sollen oder wollen. Dagegen fehlte es keineswegs an „vielseitigen früheren Anregungen", wie Dr. Michel in seiner Schrift „35 Jahre in Ostasien" usw. sagt, an Schriften, die als Fingerzeige auf diese und jene Übelstände im Missionsbetrieb hinwiesen und damit die Missionsfrage in Bewegung brachten. Am eindrucksvollsten wirkten in dieser Richtung die „Essays" des geistvollen Sanskritisten Max Müller in Oxford, besonders seine „Missionsrede in der Westminsterabtei" von 1874, sodann die oben schon erwähnten Werke von Ernst Friedrich Langhans in Bern von 1864 und 1866, der öffentliche Vortrag von Inspektor Riff von 1869 in Straßburg „Wie stehen wir Christen der freieren Richtung zur Mission?" u. a. m. Solche „Anregungen" haben zweifellos den Boden lockern helfen und dem Verein vor gearbeitet, ihn jedoch nicht ins Leben zu rufen vermocht. Das scheint vielmehr der Stoßkraft der Vereinigung all der neuen Missionsideen, die in der genannten Preisschrift niedergelegt sind, Vorbehalten gewesen zu sein.

So ging denn die Gründung des Missionsvereins ganz direkt von diesem Buche aus und, lokal bestimmt, von der Schweiz. Ich bin genötigt, dies zu betonen, da neuerdings in manchen Kreisen solcher, die erst seit kurzem dem Vereine angehören und wissen, daß dieser seinen Zentralsitz und die Mehrzahl seiner Mitglieder in Deutschland hat, die Meinung hegen, Deutschland sei auch die Geburtsstätte des Vereins und die Schweiz nur ein Anhängsel davon. Nach den obigen Feststellungen bildete sich in der Schweiz das Initiativkomitee zur Gründung des Vereins. In der Schweiz wurde die Frankfurter Konferenz beschlossen und vorbereitet, in der Schweiz das Programm für den Verein ausgearbeitet und die Einladung zur Konferenz erlassen, in der Schweiz der erste Zweigverein und die erste Vereinskasse geschaffen, und das Buch, aus dem der Verein hervor gegangen, entstammt vom ersten bis zum letzten Buchstaben der Schweiz, ja einer der innersten und höchstgelegensten Gegenden der Schweiz, wo die Alpenrosen blühen und die Firnen von ewigem Schnee erglänzen. Möchte etwas von diesem Duft und Schimmer den Verein auch überallhin in die Welt hinaus begleiten! Schweizer waren schließlich auch die beiden Theologen, von denen Dr. Michel in Caub auf der ersten Seite seiner Schrift „35 Jahre in Ostasien" sagt, der Verein sei ins Leben gerufen „hauptsächlich durch das Verdienst des Pfarrers Ernst Buß und des Professors Nippold". Denn auch der letztere wohnte nicht nur in der Schweiz, sondern war auch durch Einkauf ins bernische Bürgerrecht Schweizer geworden, blieb es auch, als er, nachdem er dank seiner großen Personalkenntnis eine Menge Mitglieder für den Verein angeworben, als Professor nach Jena berufen wurde.

Schließlich noch ein Wort über die anfängliche Stellung des Vereins zu den Richtungen innerhalb der Kirche. Der Verein hat von Anfang an, in Übereinstimmung mit meinem Buche, nachdrücklich betont, die geplante Mission stelle sich in den Dienst keiner Partei, sondern stehe grundsätzlich über den Parteien, wie denn auch die „Konfidentielle Einladung" ebensowohl an Vertreter der Rechten wie an solche der Linken und der Mitte versandt wurde. Das allein entsprach ihrem Sinn und Geiste. Die kirchliche Rechte war jedoch so sehr gewohnt, die einzige missiontreibende Partei zu sein, daß sie [77] nichts anderes neben sich duldete. Es bewahrheitete sich denn auch alsobald, was Bassermann voraussagte, die Einladung werde von seiten der Rechten abgelehnt werden, oder nur da Berücksichtigung finden, wo man sich dazu hergäbe, Schleppträger ihrer eigenen Bestrebungen zu sein. Die Stimmung war meistenorts so, wie ein Pfarrer aus Gotha (Oskar Müller) schrieb: „Beim ersten Wort, das von uns verlautet, wird man über uns herfallen; deshalb muß unser erstes Wort gleich zünden, oder es wird überschrien." Da von dieser Seite in der Tat nichts zu hoffen war. wünschten Schück und Holtzmann wenigstens „möglichst viele aus der Mitte", was sich denn auch in Süddeutschland und mehr noch in der Schweiz erfüllte, während andere, besonders führende Theologen in exponierter Stellung, wie Beyschlag in Halle und Schulz in Göttingen. die sich grundsätzlich zu unserer Mission bekannten, denen aus der Mitte zwar Rückendeckung zusagten, sich jedoch mit dieser Sekundantenstellung begnügten. Beim Durchgehen der Listen derer, die sich auf die Frankfurter Konferenz einschrieben, stellte es sich denn auch heraus, daß es in Deutschland größtenteils die bekannten Freisinnigen, die Koryphäen der wissenschaftlichen und praktisch-theologischen Welt, waren, welche den Verein gründen halfen, während in der Schweiz neben diesen gleichzeitig noch eine breite parteilose Schicht von freidenkenden, selbständigen Theologen und Laien herging, die sich nicht klassifizieren ließ, aber fest und treu zur neuen Missionssahne hielt (Spinner). Um dieses Unterschiedes willen legte Nippold immer Gewicht darauf, daß heim Verein Initiative und Zentralleitung womöglich in der Hand der Schweiz bleiben sollten. Er und Bassermann fürchteten den „protestantenvereinlichen Liberalismus", weil derselbe in der Mission leicht zu Einseitigkeiten und Spaltungen führen könnte, und Hauri in Davos sagte ihm nach, er habe „im eigenen Lande so wenig bauende Kraft bewiesen", daß auf dem Missionsgebiet von ihm nicht mehr zu erwarten wäre. Einstimmig aber war man der Ansicht, daß die bestehenden Missionsgesellschaften uns nicht als vollwertig anerkennen, vielmehr uns die Bruderhand verweigern und den Stempel des Unglaubens auf die Stirn brennen werden, wie es denn auch bald genug geschah und trotz eingetretener teilweiser Milderung bis zur Stunde noch geschieht.

Gottlob aber gibt es doch heute in unserem Verein zahlreiche Mitarbeiter aus allen kirchlichen Gruppen, die alle miteinander in brüderlicher Gemeinschaft Gottes Reich in Ostasien bauen helfen wollen. So soll es auch bleiben in der Zukunft. Denn uns geht es nur um das Eine, daß Jesus Herr und Helfer der ganzen Menschheit werde, wie er unser Erlöser ward und ist.
Glarus, Sommer l923.