B. Bartsch: Gefährliche Missionen (2010)

Bernhard Bartsch, Beijing

Südkoreas Christen gelten als die hartnäckigsten Missionare der Welt. Doch die Methoden der Seelensammler sind umstritten und politisch problematisch.

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Vergangenen September schmuggelte Peter Chung neun nordkoreanische Flüchtlinge aus China nach Vietnam. Ich hatte im Grenzgebiet eine Stelle ausfindig gemacht, die nicht bewacht wird, erzählt der Südkoreaner. Trotzdem war es ein gefährliches Unterfangen und wir hatten alle große Angst. Nachdem er seine Schützlinge auf vietnamesischer Seite an einen Vertrauensmann übergeben hatte, wanderte er alleine zurück nach China, um dann auf dem legalen Weg in Vietnam einzureisen und den Nordkoreanern zu helfen, in der dänischen Botschaft politisches Asyl zu beantragen.

Heute leben die neun Überläufer sicher in Südkorea doch Chung bemüht sich weiterhin um ihre Rettung: jetzt nicht mehr vor der Polizei, sondern vor dem Fegefeuer. Der Mittvierziger ist Missionar und die Desertionshilfe für ihn Mittel zum Zweck. Wie könnte man Gottes Liebe besser erfahren, als wenn er einem in höchter Not einen Retter schickt? meint Chung, der die Nordkoreaner nun in südkoreanische Gemeinden zu integrieren versucht. Die Mehrheit bekennt sich inzwischen zum Christentum. Mission erfüllt.

Riskante Bekehrungsversuche sind in Chungs Kreisen nicht ungewöhnlich. Südkoreas Christen gelten als die hartnäckigsten Missionare der Welt. Mehr als 20.000 Südkoreaner sind in rund 150 Staaten unterwegs, um das Wort Gottes zu verbreiten, schätzt das Außenministerium in Seoul. Nur die USA schicken noch mehr Missionare ins Ausland. Sie sind in Europa, Afrika und Südostasien, doch vor allem sind die Südkoreaner dafür bekannt, in Regionen zu gehen, die anderen Missionaren zu gefährlich sind: nach China oder in islamische Staaten, in denen die Religionswerbung gleichermaßen verboten ist. Südkoreas Christen nehmen ihren Glauben so ernst, wie man es in Europa zuletzt im 19. Jahrhundert erlebt habe, sagt der Politologe Andrei Lankov von der Kookmin Universität in Seoul. Eine größere Ansammlung strenggläubiger Christen findet man heute höchstens noch im Bible Belt in den amerikanischen Südstaaten.

In der Überzeugung, dass irdische Leiden himmlische Verdienste sind, sehen viele südkoreanische Verkündiger Bedrohungen als Anreiz statt als Abschreckung. Ich habe anderthalb Jahren in einem chinesischen Gefängnis verbracht und bin dort schwer misshandelt worden, erzählt Pastor Chung. Aber nach meiner Freilassung habe ich mir einen Pass mit einer anderen Schreibweise meines Namens machen lassen und bin wieder nach China gereist. Noch größer sind die Gefahren in arabischen Ländern: 2007 wurden in Afghanistan 23 südkoreanische Glaubensbekehrer von den Taliban entführt. Zwei Geiseln wurden ermordet und die restlichen freigelassen, nachdem Seoul den Abzug seiner Truppen aus dem bürgerkriegszerrütteten Land zugesichert und vermutlich ein hohes Lösegeld gezahlt hatte. Bereits 2004 waren im Irak südkoreanische Missionare entführt worden. Vergangenes Jahr wurden fünf Südkoreaner im Jemen ermordet, weil islamische Fundamentalisten sie für Prediger hielten, was allerdings nur bei einem Opfer tatsächlich zutraf.

Und es sind nicht nur die Entführungen, die das fromme Engagement zunehmend zur politischen Belastung machen. Im Nahen Osten werde fast täglich ein südkoreanischer Missionar ausgewiesen, erklärte das Außenministerium im vergangenen Herbst. Für zusätzlichen Ärger sorgt, dass viele Seelensammler als Studenten, Lehrer oder Hilfsarbeiter reisen. Auch südkoreanische Unternehmen haben mitunter eine Zweitfunktion als Missionsstation, in der Mitarbeiter zum Christentum bekehrt werden sollen. Viele Missionare haben kein Bewusstsein dafür, dass ihre Arbeit in arabischen Ländern als schweres Vergehen gesehen wird, sagte ein Außenamtssprecher. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Korea Ziel eines Terroranschlags wird. Um weitere diplomatische Verwicklungen zu verhindern, plant Seoul ein Gesetz, das Koreanern verbietet, noch einmal in ein Land zu reisen, aus dem sie schon einmal ausgewiesen worden sind. Auch die Medien stehen den Missionaren zunehmend kritisch gegenüber. Eine große Tageszeitung karrikierte die südkoreanischen Wanderprediger als Selbstmordkommando. Im Internet werden die Christen sogar als Hunde beschimpft ein Wortspiel der ähnlich klingenden Worte kiddokyo (Christentum) und kaedokkyo (Hund).

Experten erklären den Bekehrungseifer der Südkoreaner mit der besonderen Geschichte des Christentums in ihrem Land. Als westliche Missionare Ende des 18. Jahrhunderts begannen, bei Koreas Eliten und Intellektuellen Fuß zu fassen, verschmolzen Modernisierung und Christentum zu einer gemeinsamen Strömung. Christ zu sein, bedeutete in Korea immer auch, fortschrittlich zu sein, sagt Lankov. Koreas große Reformer waren fast alle Christen. Pjöngjang, die Hauptstadt des heutigen Nordkorea, galt Anfang des 20. Jahrhunderts sogar als Jerusalem des Ostens. Zwar fand die Mission dort nach der kommunistischen Revolution ein promptes Ende, doch im Süden des geteilten Landes ist das Christentum weiter auf dem Vormarsch. 23 der 50 größten Kirchen der Welt stehen heute in Südkorea. Rote Leuchtkreuze sind dort ein dominierender Bestandteil jeder nächtlichen Stadtansicht. 30 Prozent der Südkoreaner sind heute Christen, in den Eliten ist der Anteil noch weitaus höher. Damit ist Südkorea das einzige Land in Ostasien, in dem ein großer Anteil der Bevölkerung christlich ist. Außerdem sind 30 Prozent der Bevölkerung Buddhisten, der Rest ist konfessionslos.

Obwohl der Ferne Osten die letzte Weltgegend war, in der das Christentum Verbreitung fand, finden die Koreaner nichts das Christentum erst realtiv spät in den Fernen Osten kam, finden die Koreaner nichts Ungewöhnliches dabei, dass sie es nun in Regionen zu verbreiten versuchen, in denen die Geschichte der Kirche weitaus älter ist. Unter dem Motto Back to Jerusalem glauben sie, dass es ihre Aufgabe ist, Gottes Wort wieder dorthin zurückzutragen, wo es einst in die Welt gegeben und dann wieder vergessen wurde. Die Back-to-Jerusalem-Bewegung hat Südkoreas Kirchen ergriffen wie ein Fieber, sagt der US-Missionar Tim Peters, der seit über zehn Jahren in Seoul lebt. Weil Koreaner sehr wettbewerbsorientiert sind, wollen sie nun nicht nur die besten Handys und Fernseher herstellen, sondern auch die meisten Seelen retten.

Zwar sind die südkoreanischen Bekehrungsmethoden größtenteils eine Kopie amerikanischer und anderer westlicher Missionskorps, doch trotzdem scheinen sie häufiger als diese sie Konflikte auszulösen. Schuld daran sei unter anderem, dass kein zentrales südkoreanisches Missionswerk für einheitliche Standards sorge, sondern über 160 Organisationen mit einander in einem unkontrollierten Wettstreit um Mitglieder und Spenden stehen, glaubt Pavin Chachavalpongpun vom Institut für Südostasiatische Studien in Singapur. Viele koreanische Missionare benutzen Geld, um den Menschen ihren Glauben abzukaufen, sagt Chachavalpongpun. Das ist eine korrupte Praxis, die lokale Kulturen und Bräuche durcheinander bringt. So kaufen südkoreanische Missionare in den Philippinen seit Jahren systematisch Land, das in den Lokalreligionen heilig ist, um dort Kirchen zu bauen. Fragwürdig ist auch das Gebaren von vier Missionarinnen, die im April in den Malediven festgenommen wurden: Sie sollen muslimischen Männern vorgegaukelt haben, in sie verliebt zu sein, um ihnen dann bei Rendevouz von Gott zu erzählen.

Doch die Auswirkungen der Mission sind keineswegs nur negativ. In vielen Ländern initiieren südkoreanische Christen humanitäre Hilfsprojekte. Tausende nordkoreanische Flüchtlinge haben es mit Hilfe von Missionaren in den freien Süden des Landes geschafft. Und auch in Südkorea selbst wird ein großer Teil des zivilen Engagements von den Kirchen organisiert. Südkorea ist traditionell ein sehr autoritäres Land mit beschrenktem Horizont, sagt der prominente Menschenrechtsaktivist Kim Sang-hun. Durch die Bemühungen der Kirchen sehen die Menschen mehr von der Welt und Korea fängt an, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen.

Bernhard Bartsch | 18. Mai 2010
http://www.bernhardbartsch.de/
Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers
Bernhard Bartsch, Journalist, lebt seit 1999 in China

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