ST2017 - diakonia: D. Schweizer

Studientagung der DOAM
in der Evangelischen Akademie Meissen, 22-24. Nov. 2017


Pfrin i. R. Dorothea Schweizer - Zeitzeugengespräch
„Die Diakonische Gemeinschaft in Südkorea und deren Gründer Ahn Byung- Mu“.


I. Henry von Bose:
Ist das die korrekte Bezeichnung für die Schwesternschaft?

DS: Ursprünglicher Eigenname war und ist bis heute:
„Diakonia Schwesternschaft in Korea“. (Koreanisch!)

Im Laufe der Jahre hat sich über die Kernschwesternschaft hinaus eine erweiterte Gemeinschaft von Schwestern und Brüdern gebildet unter dem Namen „Diakonia Family Community“. Dieser Gemeinschaft haben sich jüngere Familien, Ehepaare und Einzelpersonen angeschlossen, die sich geistig und geistlich der Schwesternschaft eng verbunden fühlen und von deren sozial-diakonischen Engagement tief überzeugt sind. Sie sind bereit, die Diakonia Schwesternschaft finanziell und praktisch zu unterstützen. Bei Eintritt in die erweiterte Gemeinschaft verpflichten sie sich dazu und auch, dass sie die geistliche und geistige Ausrichtung der Diakonia Schwestern soweit, wie möglich, in ihrem Alltag als Ehepaare, Familien und Einzelpersonen praktizieren. Dafür gibt es gemeinsam formulierte Gebete, gemeinsame Bibellesen, Gottesdienstliturgien an bestimmten Sonntagen im Jahr, durch welche die Verbundenheit mit der Schwesternschaft besonders deutlich wird.

Darüber hinaus gibt es regelmäßige gemeinsame Einkehrtage für die Schwestern und die erweiterte Gemeinschaft mit intensivem Bibelstudium, Stundengebeten, Meditation, und - Informationen über neuere Entwicklungen in der Schwesternschaft und ihren Arbeitszweigen und Überlegungen zur Zukunft der Schwesternschaft und zur Stärkung der erweiterten Gemeinschaft. Wichtig auch, wie weitere Mitglieder geworben werden können.

Um für uns besser zu verdeutlichen, in welcher Beziehung die zahlenmäßig kleine Schwesternschaft zu ihrer erweiterten Gemeinschaft steht, möchte ich gerne an den sog. „Dritten Orden“ der Taize-Gemeinschaft erinnern.


II. von Bose:
Wie kam es zur Gründung der Diakonia Schwesternschaft? Was hat Prof. Ahn Byung- Mu, bekannt als einer der Väter der Minjung-Theologie, damit zu tun?

DS: Dazu ein kurzer GESCHICHTLICHER ÜBERBLICK mit Ausgangspunkt, Zielsetzung, geistige und geistliche Ausrichtung.

Herr Ahn hatte schon in jüngeren Jahren, also auch lange vor seinem 9-jährigen Aufenthalt und Promotion in Deutschland in den Sechziger Jahren, einen Traum, eine Vision:

Er träumte von einer Erneuerung der bestehenden koreanischen Kirche mit ihren bereits verfestigten, auch hierarchischen und auf Wachstum und wirtschaftlichen Erfolg ausgerichteten Strukturen, die die Lebendigkeit und Veränderungsfähigkeit der Kirchengemeinden verhinderten. Erstarrung der eigentlich noch jungen Kirche durch festgefahrene Rahmenbedingungen.

Prof. Ahns Idee: Die Laienbewegung muss gestärkt werden, geistliche Zellen geschaffen, die einem alternativen Lebensstil Raum geben und in die Kirchengemeinden erneuernd hineinwirken.

Der Versuch eines kommunitären Lebens mit einigen Akademiker – Kollegen und deren Familien, ist, wie wir schon hörten. nach wenigen Jahren gescheitert.

Ahns Resumee: Der in Korea stark ausgeprägte Familienegoismus – wie er das nannte – war der Grund für das Scheitern. Ernüchtert und auch tief enttäuscht, legte er seinen Traum auf Eis, blieb aber gleichzeitig tief davon überzeugt, dass eine Erneuerung der Kirche nur durch eine „Bewegung von unten“, die aus starken geistigen und geistlichen Quellen ihre Kraft schöpfte, erreicht werden kann.

Während seines Aufenthaltes in Deutschland – Mitte der 50er bis Mitte der 60er Jahre – lernte er die Mutterhaus-Diakonie und deren Geschichte, kennen und war tief beeindruckt von deren sozial-diakonischen Engagement, das große Auswirkungen hatte auf die Kirche und in die Gesellschaft hinein. Es war ja auch beachtlich, was da geleistet wurde von Diakonissen, die sich in der engen Nachfolge Jesu an die sozial Schwachen, die Ausgebeuteten, die Schwerstkranken und Elendesten in der damaligen deutschen Gesellschaft zu Beginn der Industrialisierung, gewiesen wussten. Bis in die Sechziger und Siebziger Jahre war die Mutterhaus-Diakonie eine unglaublich wirksame Bewegung. Wir haben das heute schon fast vergessen.

Prof. Ahn lernte diese lebendige evangelische Mutterhaus-Diakonie noch kennen. Noch dazu die nach dem Zweiten Weltkrieg entstehenden neuen Kommunitäten, deren Akzente, neben dem sozial-diakonischen Engagement, auf der intensiven Pflege geistlichen Lebens lag.

Zurück in Korea, war Prof. Ahn mehr denn je davon überzeugt, dass es solche evangelischen geistlichen Zellen und Quellen für diakonisches Handeln in Korea brauchte. Auf katholischer und auch buddhistischer Seite waren das alte Traditionen! Aber völliges Neuland für die protestantische Kirche.

Er bat mich, seinen Traum zur Gründung einer evang. Schwesternschaft oder Kommunität mit zu träumen und ihm dabei zu helfen, diese Vision zu verwirklichen.

Ich arbeitete ja in seinem Theologischen Institut. Deshalb gab es immer wieder Gelegenheit zu Austausch und gemeinsamer Entwicklung dieses Projekts. Sein großes Engagement in der Widerstandsbewegung gegen die Diktatur und für Demokratisierung, Menschenrechte, Gerechtigkeit und Wiedervereinigung des geteilten Landes, gab allen Grund zur Sorge, dass er eines Tages inhaftiert werden würde und nicht wusste, ob er das überleben würde. Deshalb war ihm so wichtig, dass sein Traum nicht vergessen wird.

KONKRETE SCHRITTE:
Wir sammelten aus dem Umfeld von Dr. Ahns Hochschultätigkeit und Bekanntenkreis eine Gruppe von etwa 12 jungen, interessierten Frauen, die sich unter Ahns Leitung regelmäßig trafen.

Nach dreijähriger Vorbereitung in Seoul, immer wieder auch gemeinsamen Wochenenden auf dem Land, haben sich 8 Frauen aus der Gruppe dazu entschieden, das gemeinsame Leben miteinander zu wagen.

Am 1. Mai 1980 haben sie sich in einem Festgottesdienst dazu verpflichtet, in völliger Nachfolge Jesu ihr Leben in den Dienst der schwächsten, ausgegrenzten und ärmsten Menschen in der koreanischen Gesellschaft, zu stellen. Sie verpflichteten sich auch zu der Bereitschaft zölibatär zu leben, selber einen äußerst schlichten und einfachen Lebensstil zu praktizieren (keinerlei persönlichen Besitz) und sich zu einer lebendigen Glaubens – Lebens – und Dienstgemeinschaft zusammenzuschließen. Gebet, Bibelstudium und Meditation sollten ihre geistliche Mitte und Quelle ihrer Kraft sein.

In der evangelischen Kirche hat es bis dahin nichts dergleichen gegeben. Es war in gewisser Weise revolutionär und anstößig und traf auch auf heftige Kritik. Für die Familien, aus denen die Frauen kamen, war es eine Katastrophe und große Schande.

WAS WAREN DAS FÜR FRAUEN, die sich da zusammengeschlossen hatten?
Einige unter ihnen hatten Uni-Abschluss in Theologie und Soziologie, andere gut ausgebildete Krankenschwestern mit jahrelanger Berufserfahrung (auch in Deutschland); eine der Frauen war ausgebildete Hauswirtschafterin und Theologin. Es gab auch eine Buchhalterin und Sekretärin. Dass genau diese Vielfalt an beruflicher Erfahrung ein ungeheurer Reichtum war für ihre Gemeinschaft und die Aufgaben, die sie sich gestellt hatten, merkten sie erst mit Beginn des kommunitären Lebens.

Eine große Herausforderung hingegen, war die Tatsache, dass sie aus unterschiedlichen kirchlichen Traditionen kamen. Ökumenische Zusammenarbeit war in Korea noch weitgehend ein unbeschriebenes Blatt. Erschwerend für die Gemeinschaft war auch, dass ihre familiären Hintergründe in religiöser und auch finanzieller Hinsicht völlig unterschiedlich waren. Buddhistisch geprägt, shamanistisch geprägt, oder auch streng im Konfuzianismus erzogen. Welch eine Herausforderung, sich da – wenn auch in Christus – zusammenzufinden! Es war nicht einfach und bleibt ein Wunder, dass es gelingen konnte.

Aber Prof. Ahn legte großen Wert darauf, dass Vielfalt und ökumenische „Existenz“ praktiziert und gelebt wurde, auch als Zeichen für die koreanische Kirche in ihrer Zersplitterung. Unsere Schwestern hatten auch keine wirklichen Vorbilder für die Gestaltung ihres kommunitären Lebens, weil erstmalig in der protestantischen Kirche. Ich habe mich dafür eingesetzt, dass internationale Kontakte geknüpft werden konnten, auch zum Schutz gegen Übergriffe vonseiten der diktatorischen Machthaber.

Es wurden Kontakte zum Kaiserswerther Verband und einzelnen Mütterhäusern hier in Deutschland möglich und z. zur Kommunität Grandchamp und Imshausen. So konnten im Laufe der Anfangsjahre beispielsweise zwei deutsche Diakonissen, die in Hongkong arbeiteten, für einige Wochen des Mitlebens und Teilens ihrer Erfahrungen eingeladen werden und auch eine Schwester aus Grandchamp. Das war überaus hilfreich in diesen ersten Jahren der Selbstfindung.

Ich möchte aber noch kurz nach dem ausschlaggebenden Grund fragen, weshalb sich diese jungen, intelligenten und gebildeten Frauen zu diesem überaus schwierigen Schritt in ein kommunitäres Leben entschieden haben?

Es war zum einen die Rolle der Frau in der damaligen koreanischen Gesellschaft, die es - bis auf wenige Ausnahmen – eigentlich unmöglich machte, ein befreites und selbstbestimmtes Leben zu führen.(Kann das leider jetzt nicht weiter ausführen. Eigener Vortrag!) Die angehenden Diakonia Schwestern hatten aber genau das für sich selbst entschieden: Sie wollten ganz bewusst einen anderen Weg gehen, als den der tausende Jahre alten traditionellen koreanischen Frau. Sie wollten für sich und für andere praktisch beweisen, dass ein in Christus befreites Leben, auch ohne eigene Familie, Glück und Erfüllung und mit Segen gefülltes Leben bedeuten kann

Das Stichwort für den zweiten Grund ihrer Entscheidung ist gefallen: Diese jungen Frauen waren „Christus begegnet“ und erfüllt von dem Wunsch SEINER SPUR zu folgen und ihm ihr Leben zu schenken, indem sie sich verschenkten an die, deren Jesu erste Liebe galt – den Armen und Elenden in der Gesellschaft, die ohne Zukunftsperspektive ums Überleben kämpften. Ja, das war ihr Motiv und das hat sie getragen in den fast 40 Jahren ihres gemeinsamen Lebens seit 1980 und es trägt sie weiter Tag für Tag.

DIE ANFANGSJAHRE IN MOKPO
Lernen des Zusammenlebens, Findung ihrer Betätigungsfelder, Struktur des geistlichen Lebens, Weiterentwicklung …

Zwei Menschen haben das Werden der Diakonia Schwesternschaft in den ersten, äußert schwierigen Jahren entscheidend mitgeprägt und unterstützt:

FRAU DR. YUH SUNG-SOOK,
die den Schwestern auf dem Gelände ihres Lungensanatoriums ein Patientenhaus geräumt und zur Verfügung gestellt hat, wo das gemeinsame Leben konkret beginnen konnte. Sie war es auch, die den Schwestern Wege öffnete, eigene Aufgaben zu finden, oder in Zusammenarbeit mit ihr.

Theologinnen, Krankenschwestern, Hauswirtschafterin, Soziologin, Buchhalterin – alle fanden ihre Aufgabe, einzeln und zusammen, im Einsatz für die schwer an Tbc-erkrankten Menschen im Sanatorium und in der ambulanten Klinik von Frau Dr. Yuh in der armen Hafenstadt Mokpo. Und in der mit Problemen überladenen Stadt taten sich bald neue Aufgabenfelder auf, der sich die Schwestern mit großer Hingabe widmeten. (Komme vielleicht nachher darauf zurück)

Zweite wichtigste Persönlichkeit in diesen Anfangsjahren und bis zu seinem Tod 1996 – Prof. Dr. AHN BYUNG-MUu. Regelmäßig vor Ort, hat er ihnen durch Bibelstudium / Theologie (Minjung Theologie), Studien zu Fragen der Zeit, Kirche und Gesellschaft entscheidendes Rüstzeug mit auf den Weg gegeben, das sie bis heute prägt, stärkt und sie zu kreativem Engagement motiviert. Nach wie vor sind sie äußerst wachsam, negative Entwicklungen und Schwachstellen in der Gesellschaft zu erkennen und dort versuchen einzugreifen, wo die Not am größten ist. Ihre ständige Frage: Wo werden wir am dringendsten gebraucht; wo sind die Brennpunkte, die unseren Einsatz erfordern. (Flexibiliät, die sie auch selbst vor Erstarrung schützt)

Neben all ihren praktischen Einsätzen musste eine Satzung erarbeitet werden, Regeln für das gemeinsame Leben, Gestaltung ihrer Spiritualität und auch ihrer Gottesdienste, die sie bald öffneten für Menschen aus der Nachbarschaft und den umliegenden Dörfern. Von allem Anfang an haben sich die Schwestern den ökologischen Grundsätzen für ihre kleine Garten - und Landwirtschaft verpflichtet.

Ich möchte diesen Teil beschließen, indem ich ein paar Sätze aus ihren Leitlinien zitiere, die schon damals entstanden sind:
„Die koreanische evangelische Schwesternschaft „Diakonia“ ist eine Gemeinschaft von christlichen unverheirateten Frauen und Mädchen, die sich vorgenommen haben, in der Hingabe für Andere „Vor Gott und mit dem notleidenden Nächsten“ zu leben. Es ist eine kleine Gruppe von Menschen, die in der Tradition der evangelischen Kirche Koreas zum ersten Mal den Versuch unternimmt, sich von dem „Ich“, das an die selbstsüchtige Lebensweise gefesselt ist, zu befreien und sich durch eine Gemeinschaft, die Glauben, Leben und Aktivitäten miteinander teilt, um das echte „Wir“ zu bemühen. Wir hoffen, dass wir durch die Hingabe des uns von Gott geschenkten Lebens an unsere unterdrückten und schwachen Mitmenschen, mithelfen können, auf dieser Erde ein Stück echte Befreiung und Versöhnung zu verwirklichen.
Vom Zentrum der Kommunität aus wollen wir, je nach Fähigkeiten der Einzelnen, uns an die Brennpunkte unserer Wirklichkeit senden lassen, um so Gottes Mission zu erfüllen.
Die Kommunität soll keiner evangelischen Denomination fest zugehören, sondern immer einen ökumenischen Charakter behalten.“

Die Schwestern haben auch schon sehr früh formuliert, dass sie immer um eine eigene koreanische Identität bemüht sein werden. Was bedeutet, dass sie zwar durchaus enge Kontakte zu Mutterhäusern und Kommunitäten in Deutschland und Europa pflegen, aber ihre ganz eigene Form finden und leben wollen. Der Same, der in Europa ausgestreut wurde, muss auf koreanischem Boden eingebracht und sich „im koreanischen Klima zu einer koreanischen Pflanze entfalten dürfen.


III. Von Bose:
Welche Aufgaben nimmt die Diakonia Schwesternschaft heute wahr?

DS: Ich sprach vorhin von Flexibilität, die die Schwestern auszeichnet. Damit meine ich, dass die Schwesternschaft von Anfang an eine hohe Bereitschaft zu Veränderung aufweist, wenn die Situation oder gesellschaftliche Entwicklung es nahelegt.

So haben sie beispielsweise für viele Jahre auf Bitte der Stadtregierung eine Art VESPERKIRCHE in der Hafenstadt Mokpo eingerichtet für alte, bedürftige Menschen, die zu Hause völlig vereinsamt und von ihren Familien vernachlässigt, dahinvegetierten, oder sich zu Hunderten auf dem Bahnhofsvorplatz versammelten.

Die Schwestern nahmen die Herausforderung an und bauten die „Vesperkirche“ zu Tageszentren aus, wo die alten Menschen vielfältige Hilfe erfuhren für Leib und Seele und Geist. Ein überaus erfolgreiches Projekt, das zu einem Pilotprojekt wurde für weitere Tageszentren. Nach Jahren hohen Engagements vonseiten der Schwestern zeigte sich die Regierung bereit, für die Fortführung dieser Arbeit die Verantwortung zu übernehmen. Für die Schwestern bedeutete das, dass wieder Kräfte frei wurden für andere Aufgaben.

Dasselbe gilt für ein Gesundheits-Für-und Vorsorge-Programm in umliegenden Dörfern. Es wurde für viele Jahre von „Brot für die Welt“ finanziell unterstützt. Vorbildlich war und ist in diesen und den Folgeprojekten heute, die Einbindung und Motivierung vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter/Innen aus den Kirchengemeinden in Mokpo und Umgebung. Hoher Bekanntheitsgrad der Schwesternschaft in kirchlichen und nichtkirchlichen Kreisen.

Auch dieses Gesundheitsprogramm in den Dörfern, und seit einigen Jahren auch die Betreuung und Fürsorge für die Tbc-Patienten im Sanatorium, konnten die Schwestern in die Verantwortung der Regierung übergeben. Und sie sind keinen Moment arbeitslos geworden dadurch!

Die Diakonia Schwesternschaft hat aufs Ganze gesehen heute 2 Schwerpunkte: Im MUTTERHAUS unterhält sie neben den Belangen, die die Schwestern selbst betreffen und der Pflege ihres geistlichen Lebens und Wachsens, ein GEISTLICHES EINKEHRZENTRUM für Einzelne und kleine Gruppen, die Stille und Einkehr suchen im Rahmen des geistlichen Lebens der Schwesternschaft.
Auch hier mussten die Schwestern inzwischen viel „loslassen“. Ein großes Einkehrzentrum, das sie 17 Jahre lang für viele kirchliche Gruppen, Tagungen und Seminare zur geistlichen Erneuerung und Weiterbildung leiten und betreuen konnten, mussten sie vor 2 Jahren unter großen Schmerzen aufgeben. Die 5 Schwestern, die für diese Arbeit verantwortlich waren, konnten kräftemäßig dem hohen Anspruch nicht mehr gerecht werden. Aber die Arbeit geht weiter, nur an anderem Ort und in verkleinerter Form, aber mit großer spiritueller Kraft und Ausstrahlung.

Der zweite Bereich, der von 3 Schwestern und vielen Fachkräften und ehrenamtlichen Mitarbeitern verantwortet wird, ist eine große sozial-diakonische Einrichtung, die – wie auch vorher schon genannte Arbeitszweige – ihresgleichen sucht.

- Das größte Projekt ist ein Pflegeheim für Senioren, das die Schwestern in Zusammenarbeit mit Regierungsstellen vor mehreren Jahren auf dem Gelände des Lungensanatoriums einrichten konnten. Dort leben 60 Heimbewohner, viele von ihnen an Demenz leidend. Eine riesengroße Herausforderung, aber die Schwestern meistern sie in ihrer besonderen Art, mit leidenden Menschen umzugehen.

Bsp. „Neuzugang“: Manche dieser Menschen kommen völlig verstört an, sind total in sich verschlossen, zeigen keine Reaktion, sind nur voller Angst. Das hält oft Monate an. Und irgendwann – durch die liebevolle Zuwendung der Schwestern und Mitarbeiter gelingt es, die Verhärtung zu lösen. Plötzlich zeigen die Patienten Interesse an dem was vorgeht, sogar ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, ganz langsam nehmen sie Kontakt auf mit Zimmer – oder Tischnachbarn, beteiligen sich am Spielen und Singen. in Wunder immer wieder!

- Ein Projekt, das die Schwestern seit vielen vielen Jahren am Laufen haben, ist ein Stipendienprogramm für Schüler aus sozial sehr schwachen Familien, deren Kinder keinerlei Chancen haben auf eine bessere Zukunft. Das Beeindruckende an der Förderung ist, dass sie früh beginnt, über Mittel- und Oberschule weiterläuft bis zum Uni-Studium. Inzwischen haben das eine ganze Reihe von Stipendienempfänger geschafft. Schwestern und Sozialarbeiterin kümmern sich auch um die Familien der Kinder, machen regelmäßig Hausbesuche, beraten und helfen auch ganz praktisch, wenn das nötig ist. Das sind langjährige Kontakte, in denen Vertrauen wächst und Achtung und Dankbarkeit. Häufig sind es die Großeltern, die für die Erziehung dieser Kinder zuständig sind.

- Mit einem Besuchs – und Hilfsprogramm, das sich an ärmste, meist alte Menschen in der Hafenstadt Mokpo wendet, wo keine Sozialversicherung greift und sich die Kinder nicht zuständig fühlen, hilft die Diakonia Schwesternschaft mit Reis- und Gemüse- lieferungen. Ein Tropfen auf den heißen Stein vielleicht und doch lebensnotwendig und von großer Bedeutung für die Betroffenen, weil sie erfahren, dass sie nicht vergessen sind.

- Die Schwestern haben sehr früh damit begonnen, ihren Eigenbedarf an Gemüse, Obst, Sesam, Mais, Sojabohnen u.a. selber zu bewerkstelligen. Dabei war es ihnen von Anfang an wichtig, ihre Felder – so weit nur möglich – ökologisch zu bestellen. Sie entwickelten alternativen Dünger und Spritzmittel. Die Bauern ringsum beobachteten das aufmerksam und übernahmen einige Methoden. Auch ihr Küchenzettel richtet sich ziemlich streng nach Bio-Regeln und das Essen schmeckt köstlich und wird von Gästen und Heimbewohnern hoch geschätzt.

- Seit einigen Jahren kommen immer mehr Flüchtlinge aus Nordkorea in den Süden. Diesen Menschen zu helfen, mit ihren großen Schwierigkeiten fertig zu werden und in der ihnen so fremden neuen Heimat heimisch zu werden, ist den Schwestern ein Herzensanliegen. Sie helfen durch liebevolle Zuwendung und stehen mit Rat und Tat zur Seite.

- Dasselbe gilt für interkulturelle Familien, in denen die aus anderen Ländern Asiens zugewanderten und mit koreanischen Männern verheiratete Frauen, ein hohes Maß an Leid, Diskriminierung, Ausgrenzung, auch Ausbeutung und Gewalt ertragen müssen.

Ich denke, durch diese Beispiele ist vielleicht ein bisschen deutlich geworden, dass die Diakonia Schwesternschaft und mit ihr die Family Community, immer zuerst die Menschen im ick hat und in Blick nimmt, die sich in schweren Notsituationen und Hoffnungslosigkeit befinden. Auch wenn manche Hilfsprojekte in den Augen der Gesellschaft, oder auch führender Kirchenleute heiße Eisen sind und auf Missfallen stoßen, die Schwestern und ihre Freunde lassen sich nicht einschüchtern. Das Leitwort, das sie von Anfang an getragen hat, ist und bleibt heilige Verpflichtung für sie. Es lautet: „Vor Gott – also im Angesicht Gottes und in Zwiesprache mit ihm – leben und – mit dem notleidenden Nächsten.“ (Ursprünglich ein Bonhoeffer-Zitat).


IV. Von Bose:
Haben Sie den Eindruck, dass die Schwesternschaft dem Vermächtnis Ahns gerecht wird?

DS: Sein Vermächtnis in Bezug auf die Diakonia Schwesternschaft in Zusammenfassung:

Erinnerung an die Gründe, weshalb er die Schwesternschaft ins Leben gerufen hat:
Die koreanische Kirche braucht Erneuerung und neues Leben (Vitalität) durch eine Laienbewegung. Festgefahrene Strukturen aufbrechen.
Geistliche Zellen (Orte der Stille und des Gebets), von denen Kraft und Motivation für diakonisches Handeln ausgeht, das die Gemeinden und die Gesellschaft verändert. „Zeugnis in Aktion“.
Ökumenische Existenz leben inmitten einer tief gespaltenen Kirche und Christenheit.
Grenzüberschreitungen wagen und offen werden für das Gespräch mit Buddhisten und Konfuzianern.

Ansatzweise zumindest, oder aber in reichem Maße haben die Schwestern und die Diakonische Gemeinschaft dieses Vermächtnis Ahns erfüllt. In ihrem diakonischen Handeln sind sie ganz bei „ochlos“ und suchen Jesus, den Auferstandenen, im diskriminierten / verachteten Galiläa, nicht in Jerusalem. Sie „leben“ BARMHERZIGKEIT und LIEBE und verwandeln sie in Taten der Liebe, die die Empfangenden verwandelt und Neues (Neuaufbrüche) bewirkt, auch in deren sozialen Umfeld.

Ihre ökumenische Existenz ist lebendiges Zeugnis für die Kirche in Korea, und ihre befreite und befreiende Haltung, auch Menschen anderer Religionsgemeinschaften gegenüber, bleibt nicht ohne Wirkung. Die Schwestern sind immer im Gespräch mit buddhistischen Klöstern z.B., beteiligen sich dort an Meditationsübungen und lernen gegenseitig voneinander.

Prof. Ahn und seine besondere, unverwechselbare Art der Textauslegung, seine Theologie und Lebensphilosophie hat die Diakonia Schwestern tiefgehend geprägt. Sie versuchen mit allen Kräften, nicht nur ihm und seinem Anspruch, sondern ihrer gesellschaftlichen Verantwortung in und mit ihrem diakonischen Handeln gerecht zu werden. Es ist ihnen heilige Verpflichtung in der Beauftragung von Gott und in der engen Nachfolge Jesu, ihrem Herrn.

In der weltweiten Ökumene leben wir vom „Geben und Nehmen, von Nehmen und Geben“.
Ich empfinde es als ganz großen persönlichen Reichtum, als unersetzbares Geschenk, dass ich im gemeinsamen Leben und Umgang mit meinen koreanischen Schwestern und Brüdern und darüber hinaus, dieses Geben und Nehmen, Nehmen und Geben in so reichem Maße erfahren durfte. Dafür danke ich Gott von ganzem Herzen und hoffe, dass ich ein wenig davon auch weiterreichen durfte und konnte.


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