Studientagung 2011: Texte

Mission heute  

Begegnungen mit Menschen anderen Glaubens und mit Menschen ohne Religion sind an der Tagesordnung, in Deutschland wie in Ostasien. Was geschieht in solcher Begegnung?  

3. - 6. Oktober 2011

Texte zur Vorbereitung und Diskussion

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Dr. Ilse Ellermeier, Jining, China 
Augenklinik der Ostasienmission, 1927

1. Prof. Dr. Reinhold Bernhardt, Basel
2. Dr. Jacques Matthey, ÖRK, Genf
3. Pfrin Dr. Margot Käßmann, Berlin
4. Prof. Dr. Reinhold Bernhardt

Mission in einer multireligiösen Welt

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Dieser Text ist die bearbeitete Nachschrift eines Vortrages von Reinhold Bernhardt an der Tagung Mission impossible? Im Spannungsfeld von Mission und interreligiösem Dialog, veranstaltet von der Fachstelle OeME BEJUSO im Haus der Religionen Bern am 8. November 2008.    
Reinhold Bernhardt ist Ordinarius für Systematische Theologie (Dogmatik) an der Universität Basel.

Die Deutsche Ostasienmission dankt dem Autor für die Erlaubnis zum Abdruck.
Quelle:  mission21, Basel.

Zuerst Veröffentlicht von mission 21
evangelisches missionswerk basel
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CH 4003 Basel
Telefon +41 61 260 21 20

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Mai 2009

Vorwort  von Pfr. M. Breitenfeld

Gott hat sich in Jesus Christus der ganzen Welt befreiend zugewandt. Deshalb ist das Evangelium  kein  Privatbesitz  der Kirche.  Es ist  ihr  vielmehr  zur Weitergabe anvertraut. Die Kirche bleibt nur vital, wenn sie es mit allen Menschen teilt. Einatmend geht die Kirche  in  sich,  ausatmend geht sie  aus sich  heraus. Die  Kirche muss, wenn sie  am Leben bleiben will, auch ausatmen können. Traditionell wird dieses Ausatmen des Evangeliums in Wort und Tat mit den Begriffen Mission und Evangelisation bezeichnet. Wir wissen, dass dies belastete Worte sind. Sie bedürfen der Präzisierung und Heilung.

So beginnt das Papier der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), das 2006 unter dem Titel «Evangelisch evangelisieren Perspektiven für Kirchen in Europa» erschien. Dabei werden die Begriffe Mission und Evangelisation  folgendermaßen unterschieden: Mission umfasst alle Lebensäußerungen, in denen sich die Kirche vom Evangelium her den Menschen zuwendet [...]: martyria (Zeugnis)  ebenso wie  diakonia  (Dienst), leiturgia (Gottesdienst) und koinonia (Gemeinschaft). Einige Aspekte der Mission rufen Menschen explizit zu Christus, während andere ein implizites Christuszeugnis sind. Den ersten Aspekt bezeichnen wir [...] als Evangelisierung. Dies entspricht auch dem aktuellen Sprachgebrauch von mission 21.

Reinhold Bernhardt benutzt  im vorliegenden Text die Begriffe Mission und Evangelisation nicht in dieser klaren Unterscheidung. Der Ordinarius für Systematische Theologie an der Universität Basel setzt aber mit seinem Beitrag ganz wichtige Orientierungspunkte. Diese sind einerseits bibelwissenschaftlich und fundamentaltheologisch verankert, andererseits öffnen sie den Raum für die Diskussion sehr lebensnaher Fragen: Wie kann ich meines Glaubens gewiss sein inmitten  so vieler  alternativer  Sinn- und Deutungsangebote? Wie kann Kirche,  wie können Christen und Christinnen Toleranz leben ohne sich davor zu scheuen, zeugnishaft zur Teilhabe am Evangelium einzuladen? Wie bringt ein Missionswerk beides sinnvoll zusammen: Evangelisierende, wachsende Kirchen zu unterstützen und gleichzeitig den interreligiösen Dialog zu fördern?

Im vorliegenden Text steckt vieles, das der Vergewisserung und Konsensfindung dienen wird, auch bei mission 21 und ihren kirchlichen Partnern in der Schweiz und weltweit. Oder bringt Reinhold Bernhard nur systematisch auf den Punkt, was wir längst denken und tun? Im Rückgriff auf den johanneischen Wahrheitsbegriff entfaltet er, was auch mission 21 heute unter wahrhaftigem Zeugnis in Wort  und Tat versteht: Wahrheit bedeutet Treue, Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Man kann sie nicht haben oder beanspruchen, sie will getan, d.h. gelebt werden (Joh.3, 21) [...]. Ihre Bewahrheitung  liegt in der Bewährung, nicht in der Verifikation [...]. Maßstab dafür ist das Leben. Nur was einen Weg zum Leben auftut ist wahr im Sinne Jesu (Joh.14, 6). Solche Wahrheit ist dialogfähig und will sich auch denjenigen mitteilen, die sich bisher nicht zu ihr bekennen. So ist  Evangelisieren im Sinne dialogischen Teilens der  lebendig machenden Botschaft von Jesus Christus selbstverständlich ein Aspekt unserer gemeinsamen und ganzheitlichen Mission weltweit und hierzulande.

Der vorliegende Text ist die ausformulierte Fassung eines Vortrags, der im Rahmen der  Tagung Mission impossible? Im Spannungsfeld von Mission und interreligiösem Dialog vom 8. November 2008 im Haus der Religionen Bern gehalten wurde und vielfach positive Resonanz auslöste. Wir danken Professor Bernhardt für die wertvolle Diskussionsgrundlage und der Fachstelle für Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn für die Überlassung des druckfertigen Manuskriptes.

Pfr. Martin Breitenfeldt
Direktor
mission 21, evangelisches missionswerk basel

Mission in einer multireligiösen Welt

Für den Berliner Philosophen Herbert Schnädelbach gehört der Missionsauftrag zu den Grundübeln oder wie er sagt: zu den Geburtsfehlern des Christentums. Dieser Auftrag stand dem humanistischen Respekt vor dem natürlichen Menschen von allem Anfang an entgegen.(1)  Der natürliche Mensch war noch nicht der wahre Mensch. Ihm fehlte das Wesentliche der vor ewiger Verderbnis rettende Glauben an Jesus Christus. Und weil die Taufe die Initiation in diesen Glauben und in die Kirche als Leib Christi war, musste es das Ziel der missionarischen  Anstrengungen sein, die Völker zu taufen, das heißt: zu Christen zu machen. So gebot es der Missionsbefehl in Matthei am letzten, im letzten Kapitel des Matthäusevangeliums.

Schnädelbach  fasst seine Radikalkritik radikal im wörtlichen Sinne von an die Wurzel gehend in folgenden Worten  zusammen: Der Missionsbefehl ist ein Toleranzverbot, denn was anders ist als christlich, ist nur dazu da, getauft zu werden. ... Das Missionsgebot bedeutet den Auftrag zur Ausrottung des Heidentums weltweit, das heißt die theologische Ermächtigung zum christlichen Kulturimperialismus.(2)

Andere stimmen ein in diesen Chor und verklagen die Mission der christlichen Kirche als religiösen Hausfriedensbruch und Beihilfe zum Kolonialismus. In ihrer Missionspraxis habe die Kirche Heil gepredigt und Unheil gestiftet. Religiöse Bekehrung ist immer ein Akt der Gewalt sagt der südindische Vedanta-Gelehrte und Mönch Swami Dayananda Sarasvati in einer Rede auf dem Friedensgipfel  der Vereinigten Nationen im Jahr 2000: Es ist die schlimmste Form von Gewalt, schlimmer noch als psychische Gewalt, da sie am tiefsten verletzt, nicht nur die Familienmitglieder und Konvertiten, sondern auch die ganze Kulturgemeinschaft. Konversion ist einseitige Aggression. Bekehrung ist Gewalt und generiert Gewalt.(3)

Müsste so fragt der Missionstheologe  Dietrich  Werner die  Scham über  das, was im Namen von christlicher  Mission angerichtet  wurde, nicht dazu führen, dass mindestens bei uns konsequent auf den Begriff der Mission verzichtet wird und seine Neudefinition wenn sie überhaupt Sinn macht allein denjenigen überlassen bleibt, die ehedem ihre Opfer waren? (4)

Oder muss man sogar noch weitergehen und nicht nur auf den Begriff verzichten, sondern auch auf das, was er bezeichnet. Und das auch deshalb, weil die problematischen Formen der christlichen Mission ja nicht bloß ein Relikt vergangener Zeiten sind. Es gibt auch heute in vielen Ländern vor allem Afrikas und Ostasiens Missionsfeldzüge (crusades) fundamentalistischer Missionsgesellschaften. In Südindien etwa gehen amerikanische und südkoreanische Missionsorganisationen ausgestattet mit viel Spendengeld und ausgefeilter Logistik auf Menschenfang. Am Erfolg der Seelenernte orientiert, schrecken sie auch vor der Anwendung von üblen Methoden der Proselytenmacherei  nicht  zurück mit fatalen Folgen nicht nur für den sozialen Frieden und das interreligiöse Zusammenleben in diesen Regionen, sondern auch für die einheimischen Kirchen. Das ist der Hintergrund für die scharfe Anklage, die Swami Dayananda Sarasvati  gegen die Mission erhoben hat. Folgt daraus nicht, dass man religiöse Mission generell egal von wem praktiziert ächten und verbieten sollte?

Ich gehöre zu denjenigen, die nicht dieser Meinung sind,  nehme diese Meinung aber sehr ernst und frage nicht nur, auf welchen Erfahrungen, sondern auch auf welchen Voraussetzungen sie beruht.

Die radikalen Missionskritiker wie Schnädelbach gehen davon aus, dass nicht nur die Missionspraxis problematisch ist, sondern schon der Missionsauftrag. Darin sehen sie einen Impuls zum religiösen Imperialismus dessen, der sich im Besitz der alleinseligmachenden Gotteswahrheit weiß und mit dieser Wahrheit nun andere zu deren Heil, versteht sich bezwingen will. Von dieser Voraussetzung aus betrachtet, sind die problematischen Entwicklungen der Missionsgeschichte keine Fehlentwicklungen, also Abweichungen von einer ursprünglich guten Intention, sondern giftige Früchte einer giftigen Wurzel. Das Problem liegt dann nicht nur in der Praxis, sondern in der geistigen Grundlage,  in der Anlage dieser Religion im Gegenüber etwa zum Judentum, das als nicht-missionarische Religion diese Anlage ja nicht hat. Weil der Defekt schon in der Anlage des Christentums verwurzelt ist, spricht er von der Mission als von einem Geburtsfehler und kritisiert diesen Fehler radikal.

In der Auseinandersetzung mit den problematischen Früchten der Missionsgeschichte müssen wir also erstens nach dem dabei implizierten Missionsverständnis fragen und wir müssen zweitens nach der ursprünglichen Bedeutung von Mission im Urchristentum zurückfragen. Das will ich in 10 Thesen tun und damit die Frage beantworten: Wie könnte ein zeitgemäßes Verständnis von Mission aussehen? (5)

1. Mission heißt: Zeugnisgeben.

Bei Mission der Sendung der Christen geht es im Grunde darum, Zeugnis zu geben, von dem, was sich mir als eine existenztragende Wahrheit erschlossen hat, worauf ich mich  im Leben und im Sterben verlassen  kann; Zeugnis von dem, was mich unbedingt angeht, von der Hoffnung, aus der ich lebe, von der Quelle der Lebenskraft und der Lebensfreude,  die  mir zufließt, von dem Sinnhorizont,  in dem ich mein Leben  und die Welt deute und mein Handeln orientiere.

Zeugnisgeben kann sich nur in der Ich-Perspektive, in der Perspektive der ersten  Person vollziehen.  Es geht dabei nicht zuerst um die Mitteilung von Glaubensinhalten, sondern um das Erzählen von einem Weg, den ich als tragfähig erfahren habe. Mit dieser Erfahrung ist die Gewissheit verbunden, dass sie auch für andere tragfähig sein  müsste damit  kommt die  zweite Person, das  Du  ins Spiel. Die  Gewissheit will sich mitteilen das liegt in ihrem Wesen. Sie drängt zur Kommunikation und damit in die communio.

Zum Wesen eines Zeugnisses, das eine existentielle Überzeugung zum Inhalt hat, gehört es auch, andere überzeugen zu wollen. Daran ist nichts Überhebliches, nichts Bedrängendes, nichts Vereinnahmendes und schon gar nichts Aggressives. Im Gegenteil: Indem ich dem anderen Zeugnis von dem gebe, was mir existentiell wichtig ist, bringe ich zum Ausdruck, dass mir dieser/diese Andere wichtig ist. Gerade  weil ich ihn/sie ernst und wichtig nehme, werde ich ihm/ihr mitteilen, was mir ernst und wichtig ist.

Wenn der Grundvorgang der Mission aber in der Kommunikation einer Gewissheit besteht, aus der ich lebe, kann Mission nur auf kommunikative Weise, also dialogisch erfolgen. Mission als Bezeugung des christlichen Glaubens und  dialogische Beziehungs- und Kommunikationsformen im Umgang mit Menschen anderen Glaubens sind keine sich abstoßenden Pole, sondern zwei Seiten eines Geschehens.

2. Der Sündenfall im Missionsverständnis beginnt damit, dass die Erste-Person-Perspektive verlassen und eine  Dritte-Person-Perspektive bezogen wird.

Wo das geschieht, verschiebt sich die Bezeugung einer höchstpersönlichen Wahrheitsgewissheit zu einer Behauptung eines allgemeingültigen Wahrheitsanspruchs. Dabei hat sich unter der Hand das Verständnis von Wahrheit verändert. Wahrheit ist jetzt nicht mehr etwas Existentielles, sondern etwas Intellektuelles, Theoretisches, Rationales, Allgemeingültiges. Und als solche, als Wahrheitsanspruch kann sie nun verbunden werden einerseits mit steilen Geltungsansprüchen mit Absolutheitsansprüchen in den drei Formen von Ausschließlichkeit-, Universalitäts- und Endgültigkeitsansprüchen und zum anderen mit Machtansprüchen, d.h. mit Hoheits- und Herrschaftsansprüchen. Diese Verschiebung des Wahrheitsverständnisses hat unmittelbare Konsequenzen für das Missionsverständnis und damit auch für die Missionspraxis.

Um diesen Sündenfall zu vermeiden, muss man sich die Bedeutung des hebräischen Begriffs für Wahrheit und das Wahrheitsverständnis des Johannesevangeliums in Erinnerung rufen.


3. Der hebräische Wahrheitsbegriff (emet) und  das johanneische Verständnis von Wahrheit sind nicht so sehr auf Sachverhalte, Aussagen und  logische Schlüsse bezogen, sondern auf Personen und Beziehungen.

Wahrheit bedeutet hier Treue, Zuverlässigkeit und Beständigkeit. Man kann sie nicht  haben oder beanspruchen, sie will getan, d.h. gelebt werden (Joh 3, 21). Im Tun erweist sie sich erst als Wahrheit, d.h. im Vollzug zeigt sich, ob sie tragfähig und verlässlich ist. Sie ist ein Weg, den man gehen muss; nicht etwas primär Theoretisches, das man für wahr hält, sondern etwas Praktisches, das im Lebensvollzug Gestalt gewinnt. Ihre Bewahrheitung liegt in der Bewährung, nicht in  der Verifikation. Das biblische Wahrheitsverständnis fragt nicht so sehr nach dem Inhalt des Gesagten, sondern nach seiner Erfüllung, d.h. danach, ob es sich als wahr erweist. Maßstab dafür ist das Leben. Was dem Leben nicht dient, kann nicht wahr sein. Wahrheit, Weg und Leben stehen in einem engen Zusammenhang. Im  Bekenntnis zu Jesus Christus als dem Weg, der Wahrheit und des Lebens  (Joh 14,6) ist dieser Zusammenhang prägnant erfasst. Der Glaube in die Verlässlichkeit einer existenztragenden Wahrheit stellt keine rationale, allgemeingültige, absolute, sondern eine existentielle, personale, relationale Wahrheit dar, d.h. eine Beziehungswahrheit, wie sie beispielsweise in der Rede von wahrer Freundschaft zum Ausdruck kommt.

Diese Wahrheit gilt nicht objektiv an sich, sondern in der Zusage an mich pro me. Glauben bedeutet nicht primär, an die Richtigkeit von Wahrheitsbehauptungen glauben, sondern die Wichtigkeit der Zusage für mich zur Grundlage meines Existenzverständnisses zu machen. Diese Wahrheit kann nicht mit Sicherheit gewusst werden, sie kann nur mit Gewissheit erfasst werden. Aber dieses nur  darf nicht als Mangel gedeutet werden. Das, was mit Sicherheit gewusst werden kann, ist existenziell zumeist bedeutungslos; das aber, was existentiell bedeutsam ist, kann nur im Modus der Gewissheit zu Bewusstsein kommen. Man kann eine solche Wahrheit nicht haben, sondern nur in ihr sein, was der 1. Johannesbrief im Bildwort vom Wandeln im Licht ausdrückt (1,7).

Wo für einen Glaubensinhalt die nur dem wissenschaftlichen Wissen zukommende Allgemeingültigkeit und Ausschließlichkeit beansprucht wird, wo also die Verwandlung der Unbedingtheit existentiellen Entschlusses zu einem Wissen vom Richtigen (6) stattfindet, dort entstehen nach Karl Jaspers religiöse Absolutheitsansprüche mit ihren praktischen Folgewirkungen für die interreligiösen Beziehungen. Jaspers verurteilt sie scharf: Dieser Anspruch ist in seinem Motiv wie in seinen Folgen das Unheil für die Menschen. Wir müssen um die Wahrheit und um unsere Seelen ringen gegen diesen tödlichen Anspruch. (7)

4. Die Form der Mission muss mit ihrem Inhalt übereinstimmen.

Eine Botschaft, die den Freispruch Gottes  von aller auch von religiöser Gesetzlichkeit  zum Inhalt  hat, kann nicht in gesetzlicher Weise und schon gar nicht mit Zwang ausgebreitet werden. Sonst würde sie in einem performativen Selbstwiderspruch geraten. Die Glaubwürdigkeit der Mission hängt von der Übereinstimmung zwischen Form und Inhalt ab. Wenn ihr Inhalt die Zusage Gottes ist, dass uns nichts trennen kann von seiner Liebe, dass diese Liebe, diese unbedingte Annahme, ein reines Gnadengeschenk ist, dass es keine Vorleistungen gibt, die man dafür erbringen müsste, dass die Annahme dieses Gnadengeschenks letztlich frei von allen anderen Bindungen macht (Joh 8,31f) und so in eine grosse Freiheit führt, dann kann dieser Inhalt niemals mit Zwang oder Respektlosigkeit kommuniziert werden.

Paulus bittet die Adressaten seiner Missionsbotschaft, sich mit Gott versöhnen zu lassen (2. Kor 5,20). Wer  bittet, hämmert  nicht, lautet der Kommentar von Eberhard Jüngel dazu. (8)

5. Der Missionsauftrag in Mt. 28 ist kein Auftrag zum Christenmachen.

Problematisch ist Mission immer dann, wenn sie nicht primär vom geistlichen Interesse an der Verkündigung der Christusbotschaft in Wort und Tat geleitet ist,  sondern im Eigeninteresse der christlichen Religion handelt. In Mt 28,19 heißt es aber nicht: machet zu Christen, sondern machet zu Jüngern. Es geht nicht um die Ausbreitung der Kirche im institutionellen Sinne, sondern um den Ruf in die Christusnachfolge. Dieser Ruf geht nach Mt 28,19f der Taufe und der Lehre voraus. Wer ihm folgt, wird auch die Taufe begehren und daraus wird dann auch die Besinnung auf den Inhalt der Gottesoffenbarung  in Christus erwachsen. Das ist die Logik der Aussagen in diesen Versen. Nicht vergessen werden darf dabei, dass dieses Zeigen des Christus-Weges-zu-Gott unter der Verheißung Christi steht: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Und vergessen werden darf auch nicht, dass diese Verse in ihrem historischen Kontext betrachtet aus einer Situation der Machtlosigkeit heraus geschrieben worden sind. Auch inhaltlich legitimieren sie keine Macht- und Herrschaftsausübung. Wenn Christus darin spricht: mir ist gegeben alle Macht, dann bedeutet das eine Kritik an allen anderen Machtansprüchen einschließlich derjenigen der Kirche.

Wenn es aber bei Mission im urchristlichen Sinn um eine metanoia, um eine Hinwendung zu Christus geht, dann kann nicht die Konversion, verstanden als Religionswechsel, das Ziel sein. Diese Vorstellung wäre den ersten Christen ganz  fremd gewesen. Deshalb steht es auch im Widerspruch zum urchristlichen  Verständnis, wenn Mission strategisch mit dem Ziel betrieben wird, Menschen ihrer angestammten Religion zu entreißen, um sie der Kirche zuzuführen. Wer Christus nachfolgen will, der wird aus eigenem Antrieb den Anschluss an die Gemeinschaft der Glaubenden suchen. Mission darf nicht an einem quantitativen,  statistisch messbaren Erfolg orientiert sein.

6. Mission steht primär in der ausstrahlenden Präsenz glaubwürdig gelebten Christseins.

Sie vollzieht sich nicht zuerst in Form von organisierten Evangelisationsveranstaltungen (Glaubensmission) als gezielte, absichtliche Werbe-Aktion zur Gewinnung von Menschen für eine bestimmte religiöse Überzeugung und Zugehörigkeit, sondern ist die Begleiterscheinung einer überzeugend gelebten Lebensform, gewissermaßen eine Nebenwirkung des Gottesdienstes im Alltag der Welt (Röm 12,1). Wo immer Christsein in gelassener Leidenschaft, mit innerer Festigkeit, Authentizität und Selbstbewusstsein im Alltag glaubwürdig gelebt wird, wird das die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sich ziehen. Wo Christen einer verbindlichen, aber nicht-gesetzlichen Lebensorientierung folgen, uneigennütziges Engagement für andere an den Tag legen, tragfähige, weltoffene Gemeinschaften bilden, wird ihr Christsein überzeugen und auf diese Weise durch Ausstrahlung und Anziehungskraft wirken. Wenn sie dann nach den Motiven einer solchen Lebensbewältigung gefragt werden, kommt es zu Gesprächen über den Glauben, der sie trägt und motiviert. Sie werden  Rechenschaft geben über die  Hoffnung, die in ihnen ist und aus der sie leben (1 Petr 3,15).

Die Mission der Christen besteht in der Christusnachfolge mitten in der Welt. Christen und ihre Gemeinschaften sollen Salz der Erde, Licht der Welt, Stadt auf dem Berge (Mt 5,13-16) sein und auf diese Weise auf ihre Umgebung wirken. Die Stadt auf dem Berge eine Anspielung auf Jerusalem mit dem Tempelberg strahlt weithin sichtbar aus und zieht die Menschheit in der  Völkerwallfahrt zum Zion an. Die beiden Bewegungsrichtungen von Ausstrahlung und Anziehung sind in diesem Bildwort vereint. Wie die Stadt auf dem Berge im Licht der Abendsonne leuchtet, so sollen die Christen ihr Licht vor den Menschen leuchten lassen, damit diese ihre guten Werke sehen und Gott im Himmel preisen (Mt 5,16).

So vollzieht  sich die Verkündigung  der Christusbotschaft implizit (nach Mt 25,31ff.) und explizit (nach Mt 28,16ff.), nonverbal und verbal, handelnd, schweigend und redend in, mit und unter den alltäglichen Formen des Lebens und Arbeitens in der Welt als Zeichen des Geistes und der Kraft (1 Kor 2,4).


7. Christsein heißt Unterwegssein in der Mission Gottes.

Gott ist der Missionar (9). Mission besteht daher nicht darin, Absolutheitsansprüche für den eigenen Glauben zu erheben und andere zur Umkehr aufzufordern, sondern sich selbst immer neu zu Gott zu bekehren und dadurch anderen Menschen Zeugnis des gelebten Gottesglaubens zu geben. Wirkung und Erfolg der Christusnachfolge in der Welt liegen in der Hand Gottes und können getrost seinem unverfügbaren Wirken überlassen werden.

Die Bezeugung der Christusbotschaft von der bedingungslosen Gnade Gottes vollzieht sich nicht im Niemandsland der Gottesferne, sondern im Raum der allumfassenden Geist-Gegenwart Gottes in der Schöpfung. Mit seiner Personifizierung in Jesus Christus kam das Wort Gottes nicht in eine gottverlassene  Finsternis, sondern in sein Eigentum (Joh 1,11). Das wahre Licht (erleuchtet) alle Menschen (Joh 1,9f). Nach Mt 28,18 erstreckt sich die Herrschaft des Gotteswortes bereits über alle Zeit-Räume. In Anlehnung an den Titel eines Buches von Leonardo Boff, kann man daher sagen: Wo immer auch ein Christ bzw. ein Missionar hinkommt Gott ist schon da.(10)

Der schöpfungsumspannende Geist Gottes, wie er sich in Christus personifiziert hat, macht nicht an Kultur- und Religionsgrenzen Halt. Er durchweht auch Kulturen, die nicht christlich geprägt sind. Daraus  folgt keineswegs, dass die Christusbotschaft für die Menschen in diesen Kulturen bedeutungslos und ihre Verkündigung überflüssig wäre. Im Gegenteil: Sie soll auch dort Salz der Erde sein und die ihr begegnenden religiösen und kulturellen Gestaltungen herausfordern und transformieren so wie das christliche Ethos der Nächstenliebe im Neohinduismus seine Wirkung entfaltet hat. Aber das muss nicht dadurch geschehen, dass diese Religionskulturen verchristlicht, d.h. mit Formen der (westlichen) christlichen Religion durchsetzt werden. Warum sollte das Gotteswort und der Gottesgeist sich ausschließlich an die Medien der christlichen Religion gebunden haben und binden müssen. Warum sollte dieses an alle Menschen ergehende Wort und dieser universal wirkende Geist nicht auch andersreligiöse, vielleicht sogar nicht-religiöse Gewänder tragen? Warum sollten sich Dietrich Bonhoeffers Überlegungen zu einer nicht-religiösen Interpretation der Christusbotschaft nicht auch in diese Richtung auslegen lassen?

8.  In der Mission Gottes unterwegs zu sein heißt daher, mit theologischer Neugierde in die Begegnung mit anderen Religionen zugehen.

Wenn überall mit der Gegenwart des allgegenwärtigen Gottes zu rechnen ist, dann beginnt die Sendung des christlichen Glaubens in die Welt einschließlich der dort anzutreffenden Religionskulturen damit, dass der Christ nach fremden Gestaltwerdungen des Gotteswortes in ausserchristlichen Kulturen und Religionen Ausschau hält. Immer wieder wird er versuchen, den Geist Gottes, wie er sich in Jesus Christus offenbart hat, in den Glaubens- und Lebensformen dieser Religionen zu suchen, ihn zu wecken und gegen Widerstände zu stärken bis hinein in die sozialen und politischen Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen. Mission geschieht auf diese Weise als immer neue Verleiblichung des Wortes Gottes in der Kraft seines Geistes im achtsamen Hören auf die immer schon erfolgten Vergegenwärtigungen in der ganzen Schöpfung, inklusive der ausserchristlichen Kulturen und Religionen.

Aus der Wahrheitsgewissheit des christlichen Glaubens geht eine Offenheit für ausserchristliche Religionsformen hervor. (11) Denn diejenigen,  die in der Mission Gottes unterwegs sind, haben nicht nur etwas zu sagen, sondern auch etwas zu entdecken: die Spuren Gottes in der ganzen Schöpfung. Diese Spuren sind aber nicht einfach in dem zu suchen, was den Formen der christlichen Religion ähnelt. Vielleicht liegen sie gerade auch in dem, was mit diesen Formen nicht kompatibel ist, im ganz anderen. Deshalb ist es wichtig in der Begegnung mit anderen Religionen, diese nicht zu nostrifizieren, d.h. uns anzueignen, sie nicht gleichnamig zu machen mit dem was man aus der eigenen Religion kennt, sondern gerade dafür offen zu sein, dass Gott auch aus dem uns Fremden sprechen könnte. Elie Wiesel hat diese Einsicht wunderbar formuliert: Wir bitten den Fremden nicht, uns das zu geben, was wir bereits besitzen oder was er uns genommen haben könnte, sondern um das, was er als einziger hat. Wir wollen nicht, dass er uns gleicht, und wünschen nicht, dass wir ihm gleichen.  Statt ihn auf Herz und Nieren zu prüfen, um das herauszufinden, was uns vertraut ist, bemühen wir uns eher, das zu verstehen, was uns unbekannt ist. Worin unterscheidet er sich von uns und ist er anders in seiner Eigenart? Was macht aus ihm einen Fremden? Das interessiert uns, und das scheint uns fruchtbar zu sein.(12)


9. Im Umgang mit Religionen auch  und vor allem im Umgang mit der eigenen Religion bedarf es eines  kritischen Realismus.

Dialogoffenheit bedeutet  keineswegs unkritische Anerkennung. Ein ernsthafter Dialog sucht nicht nur nach Gemeinsamkeiten, sondern ringt gerade auch um  das Verstehen des immer auch eine theologische Religionskritik. Denn vieles tummelt sich im Gewand der Religion einschließlich der christlichen , das dem Geist Gottes, wie Christen ihn an Christus erkennen, zuwiderläuft. Im Blick auf das Christentum hat diese Erkenntnis immer wieder Anstoß zu Erneuerungsbewegungen, d.h. zu Rückbesinnungen auf die Ursprünge der christlichen Tradition gegeben wie etwa in der Reformation. Wenn eine religiöse Erscheinung dem Geist der Gottes- und Nächstenliebe widerspricht, dann kann sie schwerlich als Manifestation der Selbstvergegenwärtigung Gottes angesehen werden.

10. Unterwegssein in der Mission Gottes bedeutet nicht nur Kommunikation von Glaubensinhalten, sondern tätige Nachfolge, Praxis.

Die Sendung des christlichen Glaubens hat ihren Ort mitten in der Welt und erstreckt  sich auf alle Dimensionen des jeweiligen Kontextes bis hinein in die politischen und ökonomischen Strukturen. Aus dem  Doppelwerk des Lukas, dem Missionstheologen  des Neuen Testaments, ergibt  sich  eine  eindeutige Zurückweisung aller Vergeistigungstendenzen: Für Lukas hat Erlösung sechs  Dimensionen: ökonomische, soziale, politische, leibliche, seelische und  spirituelle. Sein besonderes Interesse gilt der ökonomischen Gerechtigkeit. (13)

Den Materialismus der Menschenliebe Gottes müssen die Christen in den Strukturen und Lebensvollzügen des Alltags zur Geltung bringen. (14)  Der aufrechte Gang und die  Hoffnungs- und Lebensfähigkeit der Menschen sind Zielpunkte der Sendung. ... Der materialen Außenseite der Welt des Leidens, der Ohnmacht und Gewalt, nicht der vermeintlichen Innenseite privilegierten Gerettetseins, gilt die Sendung. (15)

Gerade diese letzte These bekräftigt noch einmal die Notwendigkeit christlicher Mission: Solange die Schöpfung unter Ungerechtigkeit,  Unfrieden  und Naturzerstörung seufzt, solange Menschen von Selbstsucht, Existenzangst und Abhängigkeiten besessen sind, solange sie inhumanen Ideologien und Führergestalten folgen, die sie entpersonalisieren und für machtpolitische Zwecke instrumentalisieren, solange braucht es die prophetische Erinnerung an die Schöpfungsbestimmung, die Bekräftigung der Vision vom Reich Gottes und seine  wenigstens anfangshafte Umsetzung in glaubwürdige Lebensformen. Es gibt keinen Grund, das in Christus erschienene Licht Gottes unter den Scheffel ängstlicher Zurückhaltung zu stellen und es den Völkern  der Welt vorzuenthalten. So wie es auch keinen Grund gibt, die in anderen religiösen und kulturellen Traditionen erschienenen Lichter zu verdunkeln.

Mission kann sich nicht anders als dialogisch vollziehen, wenn sie der Selbstentäußerung und der letztlichen Unverfügbarkeit des Gotteswortes entsprechen will. Eine Heilspartnerschaft der Religionen in gegenseitigem Respekt, mit Interesse aneinander und an der Mission des anderen; im Bewusstsein der tiefen Verschiedenheiten, aber auch im Bewusstsein, dass Gottes  Licht alle Menschen erleuchtet (Joh 1,9) und dass Angehörige anderer Religionen auf ihre je eigene Weise auch in der Mission Gottes unterwegs sind wäre das nicht eine Vision für die zukünftigen Beziehungen zwischen den Religionen?

Reinhold Bernhardt


Studientagung 2010

Kooperationspartner





 

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Mission und Macht  
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Margot Käßmann
Predigt zu Matthäus 2.
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