Studientagung 2002 Neudietendorf: Minderheiten

Studientagung 2002 im Zinzendorfhaus, Neudietendorf

OHNE ANGST VERSCHIEDEN LEBEN KÖNNEN

MINDERHEITEN IN JAPAN, INDIEN UND DEUTSCHLAND

23. - 26. September 2002

 


Gemeinsamer Gottesdienst: Krüger, Wolligand, Prakasch, Amme, Tanimoto, Hoffman-Richter

 

Zu den Kooperationspartnern

Menschen aus diskriminierten Buraku bilden eine jap. Minderheit von etwa drei Millionen. Dalit sind die niedergetretenen „Unberührbaren“ Indiens mit etwa 280 Millionen Menschen. Zwischen Burakumin und Dalit besteht schon seit Jahrzehnten ein Austausch. Mit Gruppen aus den Kirchen in Südwestdeutschland wurde erst vor wenigen Jahren auf Anregung des Kyodan ein „Arbeitskreis Sinti/Roma und Kirchen“ gegründet, der sich seither in regelmäßigen Abständen zu Beratungen und Absprachen trifft. So arbeiten die Landesverbände von Sinti und Roma in Baden-Württemberg und in der Pfalz an dieser Tagung mit.

"Auch in den christlichen Kirchen gab es Diskriminierungsvorfälle. Pfarrer äußerten sich zum Beispiel in der Weise, dass man mit Menschen von Buraku-Herkunft keine Ehe schließen dürfe...." (Pfr. TANIMOTO Kazuhiro, Kyoto 2002)


Vorträge

Erklärung: "Wir wollen ohne Angst verschieden leben!"
Pfr. TANIMOTO Kazuhiro: Christentum und Buraku-Befreiung
Pfr. TANIMOTO Kazuhiro: Über die Buraku-Diskriminierung
Pfr. SEKI Masato: Der Nächste werden, Predigt

 

Erklärung

Wir wollen ohne Angst verschieden leben!

Ausgelöst durch eine Anfrage von Seiten unserer Partnerkirche in Japan ist bei uns in den letzten Jahren ein Prozess der Bewusstwerdung hinsichtlich der Verantwortung in Fragen von Minderheiten entstanden. Im Verlauf dieser Entwicklung kam es zu mehreren Begegnungen und im September 2002 zu einem Besuch der Delegation aus Japan und Indien bei den Kirchen und bei den Sinti und Roma in Deutschland. Die Hauptrolle spielten dabei die jeweils von Diskriminierung Betroffenen.

Bei unserer Tagung "ahne Angst verschieden leben können" schilderten Buraku aus Japan und Dalits aus Indien sowie Sinti und Roma in Deutschland ihre Leiden und Kämpfe innerhalb der Gesellschaft und Kirchen. Sie berichteten von Veränderungen trotz großer Widerstände. Herausgefordert durch ihre Stimmen müssen wir uns in Deutschland unser oft unerkanntes eigenes Versagen und fehlende Informationsbereitschaft eingestehen.

Wir sprechen uns dafür aus, dass das Leiden und die Unterdrückung dieser Gruppen als zentrale Herausforderung christlichen Glaubens und Handeins erkannt werden die Ostasienmission ihr Verhältnis zu den Buraku und anderen Minderheiten in Japan im Laufe ihrer Geschichte untersucht und publik macht die Landeskirchen und Gemeinden ihre eigene Rolle in der Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma erforschen und offen legen sowie ihre gegenwärtige Praxis auf Diskriminierung von Minderheiten hin überprüfen die Kirchen ihre Möglichkeiten der gesellschaftlichen Einflussnahme wahrnehmen und dadurch zu verbesserter ökonomischer, sozialer, kultureller und politischer Partizipation benachteiligter Minderheiten beitragen.

Wir begrüßen die Existenz des Arbeitskreises Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg. Wir hoffen auf kirchliche Unterstützung bei der Veröffentlichung einer Aufklärungsbroschüre für Gemeinden zu diesem Thema und befürworten die Fortführung des fruchtbaren Austauschs zwischen und mit den Betroffenen aus unseren dre Ländern.

Neudietendorf, 23.-26.09.02

Die Teilnehmenden der Studientagung "Ohne Angst verschieden leben können" der deutschen Ostasienmission in Zusammenarbeit mit:

  • Evangelisches Missionswerk in Südwestdeutschland
  • Berliner Missionswerk
  • Landesverband deutscher Sinti und Roma in Baden-Württemberg
  • Buraku-Befreiungsbewegung der Vereinigten Kirche Christi in Japan, Kirchenbezirk Kyoto
  • Dalit-Befreiungsbewegung der Kirche von Südindien

 

Pfarrer TANIMOTO Kazuhiro

Christentum und Buraku-Befreiung

In Japan gibt es 6000 Buraku-Wohnviertel und 3 Million Buraku. Ich stamme aus einer Buraku-Familie und möchte zur Überwindung dieses Problems beitragen. Die japanische Regierung sagt offiziell: „Die Abschaffung der Buraku Diskriminierung ist die Aufgabe des Landes und die Aufgabe des japanischen Volkes“. Tatsächlich tut sie jedoch sehr wenig zur Abschaffung der Buraku Diskriminierung. Die Zahl der Diskriminierung von Ehewünschen, Arbeitsplatzvergaben und in den Schulen beträgt 10.000 jährlich. Das Handeln ist so gering, dass Menschen in Japan kein Interesse an der Buraku Diskriminierung entwickeln. Es kümmert sie nicht, wenn Burakus diskriminiert werden oder wenn sie getötet werden. Ich bin sehr verärgert.

Vor 130 Jahren wurden protestantische Glaubenssätze nach Japan gebracht. Die Missionare unterrichteten nur die Oberschicht. Die Oberschicht hatte Geld, konnte die Schriftzeichen lesen, ihr Lebensstandard war stabil und hoch. Sie wollten die europäische Kultur annehmen, deshalb besuchten sie die Kirchen. Die Buraku andererseits konnten die Schriftzeichen nicht lesen, weil sie nicht die Schule besucht hatten. Sie hatten auch keine Zeit, die Kirche zu besuchen. Deshalb wurden japanische Kirchen von der Oberschicht errichtet, und sie hörten nicht die Stimme, den Kummer und das Leid der diskriminierten Buraku. Die Buraku Diskriminierung wurde kein Thema in der Kirche. Für die Kirche und die Oberschicht waren Buraku kein Problem der Kirche, sondern das Problem der Buraku selber. Sie dachten, Buraku werden diskriminiert, weil sie problematisch sind. Die japanischen Kirchen diskriminierten und akzeptierten die Diskriminierung wie die japanische Gesellschaft. Und die Kirchen schlossen die Buraku aus und wurden eine Gemeinschaft der oberen Klassen, die die Kirche finanzieren. Niemand konnte Jesus Christus erkennen, die Dornenkrone in der japanischen Kirche hochhaltend. In japanischen Kirchen sah man europäisierte bourgeoise Christen in luxuriöser Kleidung, die schöne Musik hörten, exquisit aßen und von prächtigen Möbeln umgeben waren. Der Jesus Christus, der die Dornenkrone trägt und gegen Diskriminierung in der Gesellschaft kämpft, dieser Jesus erscheint nie in der japanischen Kirche.

Mein Vater ist gleichzeitig Viehhändler und Buddhist, der gegen die Diskriminierung kämpfte. Er las mir aus der Bibel vor und empfahl mir, zur Kirche zu gehen. Er lernte von Jesus Christus, der die Dornenkrone hält, und empfahl mir, von Jesus als dem Befreier von Diskriminierung zu lernen. Jesus Christus motivierte nicht nur meinen Vater, sondern auch Burakus, die die Kirche nicht besuchen konnten, denen die Missionare nicht gepredigt haben.

1922 wurde das Suiheisha-Gründungstreffen in der Okazaki-Halle in Kyōto abgehalten. Das Ziel war die Befreiung der Buraku. Auch mein Vater nahm an diesem Treffen teil. Ungefähr 3000 Menschen haben geschworen, gegen Diskriminierung zu kämpfen. Die Dornenkrone von Jesus Christus wurde als Symbol der Burakubefreiung bei diesem Treffen gewählt. Seit der Gründung der Suiheisha, die nun „Buraku-Befreiungs-Liga“ genannt wird, sind 80 Jahre vergangen und unser Kampf geht weiter.

1. Was bedeutet Gott für uns?

Gott hat uns zu seinem Bilde geschaffen (Genesis 1,27). Wir sind nicht dazu geschaffen, andere Menschen zu diskriminieren. Gott schuf uns, um uns gegenseitig zu helfen.

Gott bekämpft die Ungerechtigkeit auf der Welt. Er vergibt den Menschen nicht, die sich nicht recht und gerecht verhalten und andere beschämen (Micha 3,1-4; Amos 4,6-7; 5,24)

Gott befreit die Diskriminierten und Sklaven (2. Moses 3,7-10)

2. Was bedeutet Jesus Christus für uns?

Jesus war wie wir aus einer diskriminierten Schicht. Auch seine Mutter Maria. (Matthäus 4,16; 26,69; Lukas 1,46)

Jesus ist der Befreier der Diskriminierten (Lukas 4,18)

Jesus ging mit jenen, die durch Mächtige und durch einfache Menschen diskriminiert wurden. Und er lehrte die Befreiung (gute Botschaft). (Markus 2,13; Lukas 7,18; 14,7 und so weiter)

Jesus sagte, dass Gott zu lieben bedeutet, den Nächsten zu lieben (den Diskriminierten) und praktizierte dies.

Mächtige töteten Jesus am Kreuz, aber sein Versuch, Menschen zu befreien, geht weiter. Sein starker Wille zur Befreiung wird durch seine Auferstehung bezeugt. Ich bin sicher, dass unsere Buraku Befreiungsbewegung keine menschliche sondern eine Bewegung Gottes ist. Niemand kann sie stören.

Die Folter mit einer Dornenkrone wie gegen Jesus ist eine extrem grausame Handlung, die das Opfer beschämt und beleidigt. Seine Gestalt mit der Dornenkrone ist die Gestalt der Buraku, die im täglichen Leben beleidigt werden. Jesus wurde bis zum Ende seines Lebens geringschätzig behandelt und ging den selben Weg mit uns und nahm teil am Kampf für Befreiung. In diesem Sinne ist er der Vater der Befreiungsbewegung. Er gibt uns immer die Hoffnung auf Befreiung des Menschen.

3. Was bedeutet die Kirche für uns?

Ich dachte, dass Kirchen die Diskriminierung gegen Buraku nicht akzeptieren und dass Kirchen nicht Menschen diskriminieren, aber das war eine Illusion. Die japanischen Kirchen sind auch auf der Seite der diskriminierenden Gesellschaft und Mitglied der diskriminierenden Menschen. Ich gebe ein Beispiel für die Diskriminierung durch Kirchen. Ein Geistlicher einer Kirche in der Nähe eines Buraku-Viertels sagte zu einem anderen Geistlichen: „Predige nicht zu den Buraku. Wenn die Buraku in unsere Kirche kommen, dann wird es unserer Kirche schlecht gehen.“ Ich bringe noch weitere Beispiele von anderen Menschen: „Heirate keinen Buraku. Die Familie wird unrein sein“. „Lade keinen Geistlichen aus einer Buraku-Familie ein. Er wird schreckliche Dinge tun“. „Halte keine Hochzeit in einer Buraku-Kirche ab, sonst wird die Ehe unglücklich“. „Lass die Buraku nicht in unser christliches Heim. Wenn wir sie hereinlassen, wird unser christliches Heim zerstört werden“. „Kirchen sollen nichts mit Buraku zu tun haben. Andernfalls werden wir eine Buraku-Kirche genannt werden“. „Buraku stehen niedriger als Hunde oder Vieh“. „Man sollte keine Buraku in diesem christlichen Krankenhaus beschäftigen“. Es gibt viele weitere solcher Beispiele.

Ich dachte, dass die Kirche mit den diskriminierten Menschen lebt und die Diskriminierung verurteilt. Die Realität ist jedoch nicht so, sondern die Kirche lässt die Diskriminierung zu und hilft ihr, und sie wird dadurch ein Mitglied der beleidigenden Gesellschaft. Sie bereuen nicht, die Menschen zu diskriminieren, sondern klagen die diskriminierten Menschen als schuldig an.

Ich war sicher, dass auch die Kirche die Dornenkrone trägt und die Auferstehung von Jesus Christus mit uns teilt. Aber ich wurde enttäuscht. Die Kirche trägt nicht die Dornenkrone, sondern möchte nur den angenehmen Teil des Christentums haben. Sie vermeiden vorsätzlich die Dornenkrone der Buraku. Die Freude der Auferstehung wird die Kirche nie erreichen, die den Schmerz vermeidet.

Die Kirche befindet sich noch immer in dieser Situation, aber wir verlieren nicht die Hoffnung der Auferstehung Jesu. Jesus wurde von Menschen extrem beleidigt und verfolgt, aber er hat nie aufgehört, sich für die Befreiung der Menschen einzusetzen. Er gab nie auf, seine Meinung zu behaupten, obwohl er gekreuzigt wurde. Er hat seine Aufgabe ausgeführt, obwohl er von Menschen, der Gesellschaft und den Kirchen gefoltert wurde. Wir möchten diese Aufgabe Jesu erben, Weil wir sicher sind, dass die Zeit kommen wird, in der keine Menschen mehr diskriminiert werden und in der es keine Diskriminierung mehr geben wird.

Übersetzung: ANEGAWA Yoshiko aus dem Japanischen ins Englische, Gisela Köllner aus dem Englischen ins Deutsche.

 

Pfarrer TANIMOTO Kazuhiro

Über die Buraku-Diskriminierung

Ich bin in einem diskriminierten Ghetto in der Präfektur Hyōgo geboren. In diesem kleinen Dorf wohnten 15 Familien. Sie waren alle arm und hatten keine andere Möglichkeit, denn als Tagelöhner zu arbeiten. Mein Vater war wie seine Vorfahren als Viehhändler tätig. Oft nahm er mich auf den Viehmarkt oder den Schlachthof mit, damit ich seine Arbeit kennen lernen und ihm helfen konnte.

Fast alle Kinder meines Dorfes mussten schon nach der Mittelschule mit 15 Jahren arbeiten, weil sie so arm waren. Sie durften nicht in das Gymnasium gehen. Wir gehörten zwar zur Mittelschule, gingen aber oft nicht hin.

Die Diskriminierung gegen uns war sehr stark. Wir konnten keine feste Arbeitsstelle bekommen. Allein aufgrund der Tatsache, in diesem Dorf geboren zu sein, konnten junge Leute oft nicht ihren Freund oder ihre Freundin heiraten. Wegen dieser Diskriminierung begingen einige meiner Freundinnen und Freunde traurigerweise Selbstmord. Meine eigene Schwester konnte ihren Freund nicht heiraten. Mein Bruder erhielt bei keiner Firma Arbeit. Jeweils war der Grund, dass die Familie bzw. die Firma entdeckt hatten, dass wir aus diesem Dorf stammen. Einwohner unseres Dorfes wurden in diskriminierender Weise mit verächtlichen Namen bezeichnet. Es gab außerdem unzählige andere Formen der Diskriminierung gegen uns.

Warum gibt es in Japan diese Diskriminierung?

Schon ab 1600, vor der Regierung der TOKUGAWA, griff diese Vorstellung in der japanischen Gesellschaft um sich. Besonders im Kansai-Distrikt, dessen Zentrum Kyoto, die damalige Kaiserstadt, war, wurden verschiedene Menschen diskriminiert. Sie waren z.B. Abdecker, Reinigungsarbeiter, Brunnenbauer, Gärtner, Henker, Totengräber, Schauspieler oder wohnten im Flussbett. Sie wurden diskriminiert, weil sie schmutzige Arbeit taten oder an schmutzigen Orten wohnten. Die Religionen haben das System der Diskriminierung durch religiöse Lehren verstärkt, z.B. durch Aussagen wie: “Wenn man Unreine berührt, wird man selbst unrein. Man soll nicht Unreine berühren und keinen Kontakt mit ihnen haben.“ Noch schlimmer ist, dass die beiden Religionen (des Shintō und des Buddhismus) den Unterschied zwischen den so genannten normalen Menschen und den Diskriminierten noch verstärkten. Besonders haben sie eine hierarchische Gesellschaft verstärkt, an deren Spitze der Tenno steht. Und sie betrachteten die Diskriminierten als die Unreinen.

Durch die Tokugawa-Regierung wurde das Kastensystem eingeführt. Die Samurai bildeten die oberste Schicht (Kaste), dann kamen die Bauern, dann die Handwerker und schließlich die Händler (Kaufleute). Die Menschen aus einem diskriminierten Buraku wurden „Eta“ oder „Hinin“ genannt und als niederste Schicht betrachtet bzw. aus der Kastengesellschaft ausgeschlossen. Sie wurden in der Gesellschaft als „Nichtmenschen“ wie Tiere behandelt. Die Entstehung und Entwicklung des Kastensystems beraubte die Menschen aus diskriminierten Buraku ihrer Menschenrechte. Sie hatten daher keine Freiheit mehr in Bezug auf Arbeit, Ehe oder Ausbildung.

Gegenaktionen gegen die Diskriminierung

Trotz der starken Diskriminierung gab es einige Leute, die gegen die Diskriminierung gekämpft haben.

1. SHINRAN (1173 1262), buddhistischer Priester.

Mit neun Jahren trat er ins Kloster ein. Im Kloster Hieizan (bei Kyoto) hat er 20 Jahre lang asketische Übungen gemacht. Mit 29 Jahren verließ er den Hieizan. Er kritisierte den damaligen Buddhismus, der ein Buddhismus der Oberschicht geworden war. Er forderte einen Buddhismus für einfache Leute. Deswegen entzog ihm die damalige Regierung das Recht, Priester zu sein, und verwies ihn aus Kyoto, der damaligen Hauptstadt. Nach seiner Rehabilitierung zog er in das Kantō-Gebiet und engagierte sich in der Mission. Erst 20 Jahre nach seiner Rehabilitierung kehrte er nach Kyoto zurück und entwickelte dort den Buddhismus des Reinen Landes. Er lehrte einen Buddhismus, der auf der Seite der Diskriminierten steht. Er sagte: „Alle sind vor Buddha gleich. Selbst wenn Menschen andere Lebewesen töten, selbst wenn Arme kein Geld für den Tempelbau spenden können, dürfen alle in das Reine Land gehen. Unabhängig von ihrem Beruf sind alle Menschen gleich und können in das Reine Land eingehen.“ So diente seine Lehre der Bekämpfung der Diskriminierung. Er war religiöser und sozialer Reformer.

2. SAIKO MANKICHI (1895 1970)

Er wurde in der Familie des Oberpriesters des Saieiji-Tempels geboren, einem Tempel der Honganji-Richtung in einem diskriminierten Buraku im Nara-Distrikt. Er ging nach Tokyo, um Kunstmaler zu werden. Aber dort wurde er mit Diskriminierungsvorfällen konfrontiert, kehrte nach Nara zurück und trat mit jungen Leuten des Dorfes für die Buraku-Befreiung ein. Längst bevor er sich der Buraku-Befreiung anschloss, hatte die Meiji-Regierung 1871 mit dem Befreiungsgesetz (Abschaffung von „Eta“ und „Hinin“) die Abschaffung des Kastensystems der Tokugawa-Regierung beschlossen, aber dieses Befreiungsgesetz stand nur auf dem Papier, die Buraku wurden dadurch nicht befreit. Die Diskriminierung drückte wie zuvor schlimm auf die Menschen aus diskriminierten Buraku. 1922 gründeten Saiko Mankichi und etwa 3000 Freunde aus diskriminierten Buraku die Suiheisha (Gleichberechtigungsbewegung), die Buraku-Befreiung der diskriminierten Buraku selbst. Aus 6000 diskriminierten Buraku aus dem ganzen Land nahmen 3 Millionen Menschen an der Bewegung für die völlige Befreiung der Buraku teil und kämpften gegen die Diskriminierung.

Darüber hinaus schrieb er mit der Erklärung der Suiheisha die Menschenrechtserklärung Japans. Auf der Grundlage dieser Suiheisha-Erklärung geht die Befreiungsbewegung bis heute weiter. In diesem Sinn kann man sagen, dass für Japan Saiko Mankichi die Rolle des Pioniers bei der Befreiung der Menschen von Diskriminierung spielte.

3. MATSUMOTO JIICHIRO (1887 1966)

Er wurde in einem diskriminierten Buraku im Fukuoka-Distrikt auf Kyūshū geboren. Er ging zwar zur Grund- und Mittelschule, konnte aber wegen massiver Hänselei gegen ihn nicht auf der Schule bleiben. Er ging nach China und zog dort 10 Jahre lang umher. Nachdem er nach Japan zurückgekehrt war, gründete er das Matsumoto Baugewerbe. Außerdem engagierte er sich in der Befreiungsbewegung der Buraku. 1923 gründete er die Suiheisha von ganz Kyūshū und wurde deren Vorsitzender. Er führte eine Anhörung gegen die Familie Tokugawa durch und kam wegen falscher Anschuldigungen ins Gefängnis. 1925 wurde er Landesvorsitzender der Suiheisha, 1936 zum Abgeordneten des Unterhauses gewählt und, nachdem 1955 die Burakukaihōdōmei (Buraku-Befreiungsliga) als Nachfolgeorganisation der Suiheisha gegründet wurde, deren Vorsitzender. Eine Audienz beim Tenno lehnte er ab. Er führte mit dem Vater der indischen Dalit-Befreiungsbewegung, Ambedkar ein Gespräch und schwor den Kampf gegen Diskriminierung. Außerdem engagierte er sich für den Erlass des Gesetzes für spezielle Maßnahmen zur Verbesserung diskriminierter Wohngebiete.

Matsumotos Grundsatz „die Menschenwürde anerkennen, nicht rauben“ ist auch heute noch eine der Grundgedanken der Buraku-Befreiung. Er wird von den diskriminierten Buraku als der „Vater der Buraku-Befreiung“ verehrt.

Die Geschichte der Buraku-Befreiungsbewegung

Im Jahre 1922 wurde die Suiheisha-Erklärung verabschiedet. Der Anlass zur Gründung der Suiheisha (Gleichberechtigungsbewegung) lag darin, dass trotz der Aufhebung der Klassen (Kasten) durch die Meiji-Reform die Diskriminierung der Buraku in Form allgemeiner Überlegenheits- und herablassender Mitleidsgefühle seitens der Bevölkerung andauerte. Das Problem der Diskriminierung war also keinesfalls gelöst. Deshalb schlossen sich die Buraku zusammen, um in gemeinsamer Arbeit ihre Situation selbst zu verbessern.

Das Programm der Suiheisha nennt die folgenden drei Punkte:

„Als Angehörige der diskriminierten Buraku streben wir eine vollständige gesellschaftliche Befreiung durch unser eigenes Engagement an.

Wir verlangen von der Gesellschaft die Gewährleistung unserer wirtschaftlichen und beruflichen Rechte.

Wir betrachten es als unsere Aufgabe, das Humanitätsideal zu fördern und so das höchste Menschheitsziel tatkräftig zu verfolgen.“

Dieser Erklärung haben sich in etwa 6000 diskriminierten Buraku-Gebieten in Japan etwa 3 Millionen Menschen angeschlossen.

Die Angehörigen der diskriminierten Buraku begannen nun, selber Basisbewegungen zu organisieren und gegen die Diskriminierung zu kämpfen. Zunächst wurden Einzelpersonen mit ihren diskriminierenden Verhaltensweisen konfrontiert. Seit 1951 hat sich die Strategie geändert, es wurden nun kommunale Verwaltungen zur Rede gestellt. In den 60er Jahren stellte die Buraku-Befreiungsliga die öffentliche Verwaltung zur Rede, die im Blick auf die weiter bestehende Diskriminierung nichts unternahm. Diese Kritik hat dazu geführt, dass die diesbezügliche Verantwortung des Staates und der japanischen Bürger in einem neuen Gesetz festgehalten wurde. Es gab nun staatliche Bemühungen, die Wohnsituation, die Situation am Arbeitsplatz und in der Ausbildung zu verbessern. Bei Eheschließungen und im Blick auf die allgemeine emotionale Einstellung gibt es freilich nach wie vor Probleme (und Diskriminierung).

Religion und die Buraku-Diskriminierung

Der Buddhismus, der ja in Indien entstanden ist, kam über China nach Japan. In Japan haben vor allem KUKAI (774 835, Begründer des Shingon-Buddhismus) und SAICHO (767 822, Gründer der Tendai-Richtung) den Buddhismus verbreitet. Sie lehrten den Esoterischen Buddhismus, der in Indien durch den Hinduismus aus dem Buddhismus entstand (in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts). Er nahm die Auffassung von „rein“ und „unrein“, die die Grundlage des hinduistischen Kastensystems in Indien bildet, in den Buddhismus hinein. Unrein wurde demnach, wer mit Leichen zu tun hatte oder auf dem Schlachthof mit den Kadavern von Kühen und Pferden, wer Blut vergoss, wer Gerber war und wer kein Obdach hatte, ….

Insbesondere wurden die Menschen aus Buraku „Eta“ genannt und in vollkommen gleichem Sinn wie die indischen „Sandala“ verstanden. Es wurde gelehrt, sie nicht zu berühren und dass es selbstverständlich sei, dass sie diskriminiert werden. Der Grund für ihre Diskriminierung war die Ausübung der genannten Tätigkeiten bzw. das schlechte Verhalten ihrer Vorfahren.

Buddhisten haben solche Verunreinigung zu meiden. Da eine Ehe mit Menschen aus einem diskriminierten Wohngebiet das Blut verunreinigt, durfte man sie nicht heiraten. Die Grabstätte durfte man nicht mit Menschen diskriminierter Wohngebiete gemeinsam haben. Auf den Grabsteinen der Diskriminierten waren herabsetzende Bezeichnungen als Namen für das kommende Leben zu verwenden, die eigenen Tempel waren von den Tempeln der Buraku abzusondern. Daraus ergab sich der Brauch, die Tempel der Buraku in Abscheu als „Eta-Tempel“ zu bezeichnen. Es wurde gelehrt, dass den Menschen aus diskriminierten Wohngebieten in dieser Welt nicht geholfen werden kann, sondern erst im Jenseits. Dafür hätten sie sich in dieser Welt in Geduld und Demut zu üben.

Wegen solcher religiöser Diskriminierung führte die Buraku-Befreiungsliga 1980 gegen die buddhistischen Vereinigungen Anhörungen durch. Ziel sollte sein, die Diskriminierung durch die Religion zu überwinden. 1981 kehrten sich die buddhistischen Vereinigungen von der bisherigen Diskriminierung ab und beschlossen die Gründung der „Vereinigung Japanischer Religionen zur Bearbeitung des Integrationsproblems“. Seither setzen sie sich grundlegend für die Überwindung religiös legitimierter Diskriminierung ein.

Auch in den christlichen Kirchen gab es Diskriminierungsvorfälle. Pfarrer äußerten sich zum Beispiel in der Weise, dass man mit Menschen von Buraku-Herkunft keine Ehe schließen dürfe, dass man von einem Pfarrer mit Buraku-Herkunft nicht getraut werden dürfe und dass die Kirche verunreinigt werde, wenn Menschen aus diskriminierten Wohngebieten die Kirche besuchen. Außerdem empfahlen manche, die Kirche solle sich davor hüten, in Buraku-Gebieten Mitglieder zu werben oder mit Menschen aus Buraku Umgang zu haben. Nach dem Krieg wurde deutlich, dass die Kirche sich auf den Weg der Buraku-Befreiung begeben muss. Im Laufe dieses Prozesses richtete der Kirchenbezirk Kyoto der Unierten Kirche Japans 1992 in der Friedenskirche Omi ein Buraku-Befreiungszentrum ein und schloss sich der Buraku-Befreiungsbewegung an. In diesem Sinne wollen wir uns auch weiterhin nach Kräften für die Buraku-Befreiung einsetzen.

Übersetzung aus dem Japanischen: Drs. Carola und Andreas Hoffmann-Richter

 

Pfarrer SEKI Masato

Der Nächste werden

Predigt über Lukas 10, 25-37, gehalten in der Johanneskirche Schwenningen am 22.9.2002 und in der Johanneskirche Ravensburg am 29.9.2002.

Herzlichen Dank für die Möglichkeit, an diesem Gottesdienst teilnehmen und mit Ihnen zusammen über das Wort Gottes nachdenken zu können. Mein Name ist Masato Seki. Ich bin 1938 geboren. Zurzeit bin ich Pfarrer einer Gemeinde im Kirchenbezirk Kyoto, der aus den Präfekturen Shiga und Kyōto besteht, sowie Vorsitzender der Synode des Kirchenbezirks.

Das Wort Gottes aus dem Evangelium für diesen Gottesdienst ist das bekannte Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ein Jude, der auf der Reise war, wird von Räubern überfallen, ausgeraubt, verwundet und fällt ohnmächtig zu Boden. Wenn niemand kommt, ihm zu helfen, stirbt er…

Da kam ein Priester vorbei. Heute würden wir sagen ein Pfarrer. Er überlegte: „Ich habe eine wichtige Arbeit, die ich tun muss. Es gibt viele Leute, die mich brauchen. Ich kann mich nicht nur einem zuwenden.“ Er wandte das Gesicht ab und ging zielstrebig weiter.

Der nächste, der vorbeikam, war ein Levit, heute würden wir sagen ein eifriger Kirchgänger. Wie der Priester ging auch er vorüber. Er dachte vielleicht: „Wie schlimm, der Mann hat sicher Schmerzen. Leider habe ich es eilig. Wenn ich Zeit hätte, würde ich ihm ja helfen.“

Eigentlich ist es nicht nötig, die Fortsetzung zu erzählen. Aber ich tue es. Als nächstes kommt ein Samariter vorbei. Gewöhnlich versteht er sich schlecht mit den Juden. Der Verletzte dachte: „Ich habe wirklich kein Glück.“ Aber überraschenderweise verbindet der Samariter ihn sehr sorgfältig und hilft ihm.

Da sagt Jesus: „Wer ist dem, der unter die Räuber gefallen und verwundet ist, der Nächste?“

Wir fragen wie die Gesetzeslehrer Jesus: „Wer ist mein Nächster? Wer passt mir denn als mein Nächster? Wer, wenn ich ihm näher komme, ist mir denn ein sympathischer Nächster?“ Ich selbst bin absolut der Mittelpunkt. Aber Jesus sucht den, der für den Menschen in Schwierigkeiten, für den Schwachen, für den, der Hilfe braucht, zum Nächsten wird.

In Japan gibt es Menschen, die mit dem unter die Räuber Gefallenen zu vergleichen sind. Das sind die Menschen, die in einem so genannten „Buraku“ wohnen. Es gibt verschiedene geschichtliche Details, aber obwohl sie Japaner sind wie andere, müssen sie unter schlechteren Lebensbedingungen leben. Wirtschaftlich schlecht gestellt, deshalb auch ohne zufrieden stellende Ausbildung und ohne normale Arbeit. Auch bei Heirat werden Menschen, die als „Buraku“ gebrandmarkt sind, abgelehnt, und es gibt Menschen, die aus diesem Grund Selbstmord begehen. 3 Mill. Menschen gehören zu den diskriminierten Buraku. Sie leiden trotz der vielen Verbesserungen, die mühsam durch die Befreiungsbewegung erreicht wurden, immer noch unter starker Diskriminierung.

Der Kirchenbezirk Kyoto setzt sich ernsthaft mit dem Problem der Buraku-Diskriminierung auseinander. Genauer hat der Kirchenbezirk 1973 beschlossen, sich mit diesem Problem zu beschäftigen, und einen Sonderausschuss für das Problem der Buraku-Diskriminierung gegründet. Etwa 20 Jahre lang ist diese Arbeit nun fortgesetzt worden, und die Probleme und Themen sind klar und deutlich geworden. Einerseits gibt es Gemeinden, die diese Arbeit unterstützen, andererseits gibt es Gemeinden die dies nicht tun. Es wird nicht offen gesagt, aber es gibt leider auch Menschen, die meinen, dass dies nichts mit der Arbeit der Kirche oder mit dem persönlichen Glauben zu tun habe.

Außerdem engagieren sich in Japan noch andere Aktionsgruppen für die Burakubefreiung, zum Beispiel die Buraku-Befreiungsliga (Burakukaihodomei) oder eine Organisation von Religionsvertretern des Buddhismus, Shintoismus und anderer religiöser Gruppen, die sich mit der Buraku-Diskriminierung (Dowa-Mondai) auseinandersetzen. Die christliche Kirche hat dabei eine große Verantwortung.

Des Weiteren gibt es eine Solidarität mit Befreiungsbewegungen von unterdrückten und diskriminierten Menschen in anderen Ländern, zum Beispiel mit der Befreiungsbewegung der indischen Dalit.

Die Arbeit war sehr vielfältig und umfangreich geworden, so dass ein einziger Sonderausschuss diese Arbeit nicht mehr bewältigen konnte. So wurde 1992 das Burakubefreiungszentrum des Kirchenbezirks Kyoto gegründet, um die weiteren Probleme und Themen zu verfolgen. Pfarrer Hoffmann-Richter, der hier übersetzt, arbeitete während seines Aufenthaltes in Kyoto als ökumenischer Mitarbeiter in diesem Burakubefreiungszentrum mit.

Kehren wir noch einmal zum Bibeltext zurück.

Ein neues Verständnis ist notwendig. Und zwar dass der Räuber in diesem Gleichnis ich selbst bin.

Ich denke so: Es ist nicht so, dass das Problem bei den diskriminierten Buraku in Japan liegt, das Problem liegt bei uns, die wir die Buraku diskriminieren und im Stich lassen. Die, die ihnen die Ausbildung und die Arbeit stehlen, die sie in unwürdigen Wohnverhältnissen, in die sie getrieben wurden und unter denen sie leiden, im Stich lassen, die Gelegenheiten versäumen, dagegen aufzustehen, das sind wir. Ich bin nicht nur ein Priester oder ein Levit, ich bin auch ein Räuber.

Und noch ein Gesichtspunkt: Der verwundete und zu Boden gefallene Mensch, ist das nicht Jesus selbst?

Lesen Sie doch bitte nachher noch Matthäus 25, 3146.

Begegnet uns nicht Jesus selbst in dem, der durch die Kälte der Menschen verwundet und zu Boden gefallen ist und Hilfe sucht? Verhalten wir uns nicht wie der Priester oder der Levit, indem wir irgendeinen Grund vorschieben, das Gesicht abwenden und fliehen von dem Platz, an dem wir stehen müssten. Werden wir damit am Ende nicht selbst zu Räubern?

Übersetzung aus dem Japanischen: Drs. Carola und Andreas Hoffmann-Richter

 

 

Symbol der Buraku-
Befreiungsbewegung

 











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