Vorgeschichte des AK
Arbeitskreis Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg
Vorgeschichte des AK Sinti/Roma und Kirchen BW
(Nachschrift eines mündlichen Berichts von Andreas Hoffmann-Richter
im WAW-AK Ostasien vom 17.06.2013 in Ulm-Wiblingen)
Vor der Gründung des Arbeitskreises Sinti/Roma und Kirchen in Baden-Württemberg gab es sporadisch Kontakte und Arbeit von christlichen Gruppen unter Sinti oder Roma, stellenweise auch in Kooperation mit Sinti. Eine ständige Kooperation war daraus nicht hervorgegangen. Das war der Grund, warum die japanische Delegierten 1995 in Deutschland keine kirchliche Arbeit fanden, mit der das japanischen Buraku-Befreiungszentrum der Vereinigten Kirche Christi in Japan (Kyodan) hätte kooperieren können. Die Delegierten der EKD auf der Deutsch-Japanischen Kirchenkonsultation 1993 in Leipzig gingen noch davon aus, dass die Kirchen in Deutschland eine solche Kooperation zu bieten hätten.
Greifen wir jedoch gut hundert Jahre weiter zurück, so gab es in Nordhausen/Südharz eine Mission unter Sinti. Immer wieder gab es danach neupietistische oder pfingstlerische Missionsbestrebungen, die zur Entsendung einzelner Personen zur Mission oder Seelsorge unter Sinti und Roma führten (u.a. in Hamburg, Braunschweig, Rheinland, in Hessen oder im oberen Rheintal beiderseits der badisch-französischen Grenze). Die Deutsche Bischofskonferenz der Katholischen Kirche hatte eine „Nomaden- und Zigeunerseelsorge“ (bis zum ökumenischen Kirchentag in München tatsächlich unter diesem Namen. Zu deren Geschichte vgl. den Artikel von Dirk Brieskorn in: Sinti und Roma im KL Auschwitz-Birkenau 1943-44, Auschwitz 1998).
Früher oder später erschien involvierten Sinti und Roma die jeweilige Mission zu paternalistisch und zu sehr von außen kommend. Die Folge war und ist vielfach die Bildung unabhängiger Gemeinden, die ihre Gottesdienste teilweise in Romanes durchführen und sich mit der Pfingstbewegung verbunden wissen.
Das jeweilige Engagement konnte mit sozialer Beratung, mit diakonischen Aspekten oder Verbindungen zur Charitas einhergehen.
Es gab aber auch den umgekehrten Weg, dass der Kontakt mit der Sozialberatung seinen Anfang nahm. So zu dem judenchristlichen Vikar Fritz Majer-Leonhard in Stuttgart, der von 1945 an neben der evangelischen Gemeindearbeit in Stuttgart eine Beratungsstelle für nichtarische ehemalige Verfolgte des Naziregimes betrieb, anfangs hauptsächlich für Judenchristen, später auch für Sinti und Roma. Deutsche Sinti, deren Antrag auf Entschädigung für ihre KZ- Zeit abgelehnt worden war, wandten sich an ihn. Er beschrieb gegenüber dem Diakonischen Werk Württemberg die Diskriminierung der Sinti im Blick auf Bildung, Arbeit, Wohnung, Gesundheit. Er stieß jedoch nicht auf ein Verständnis, das so weit gereicht hätte, dass man für die Arbeit, die er getan hatte, einen Nachfolger gesucht hätte.
Was das Verhältnis der EKD zu Sinti und Roma betrifft, so reagierte man nur jeweils kurzfristig auf Anfragen. Längerfristig stellte man sich weder dem Thema noch hielt man feste Kontakte.
Eine neue Art von Anfragen kam an die Kirchen, als Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts die Deutschen Sinti und Roma eigene Verbände gründeten. Nun ging es um die Frage der Solidarität mit diskriminierten Menschen, denen noch immer ihre Rechte vorenthalten wurden. Durch das (erst einmal von den Organisatoren abgewiesene) Auftreten von Romani Rose auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag und nach der Besetzung des KZs Dachau durch Sinti konnte man vor diesen Anfragen die Ohren und Augen nicht mehr ganz verschließen.
Nicht hinreichend vorbereitet wollte man jedoch in der Evangelischen Akademie Bad Boll Verbände einladen, die damals einander ausschlossen. Die Spannungen erwiesen sich bei einer Boller Tagung als so stark, dass die Organisatoren danach für eine gewisse Zeit von weiteren Tagungen absahen.
Eine Arbeitsgruppe „Sinti und Roma in der Bundesrepublik Deutschland“ fand sich bei der EKD zusammen. In Kooperation mit dieser gaben 1984 Torsten Böhmer und Erhard Meueler ein Heft der kirchlichen Erwachsenenbildung in Hessen–Nassau heraus (Mitten unter uns: Sinti und Roma), das sich u.a. mit der Vertreibung von Roma aus Darmstadt im Jahr 1983 befasste.
Die EKD berief Ende der 80er Jahre eine Gruppe zur Vorbereitung des Textes für eine Denkschrift zum Thema „Sinti und Roma“, vermied es jedoch, den Zentralrat mit an den Tisch zu laden. In der Folge lehnte der Zentralrat diese Denkschrift ab. Auch wenn gute Ansätze in der Denkschrift formuliert worden waren, blieben sie bedeutungslos. Sie wurden nicht umgesetzt.
Die Evangelische Landessynode von Rheinland-Pfalz verabschiedete 1990 eine Stellungnahme der Solidarität mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma Rheinland-Pfalz. Als jedoch kurze Zeit darauf der Vorsitzende der dortigen Landessynode in seinem Hauptberuf als Intendant eine diskriminierende Sendung des Pfälzischen Fernsehens gegen Sinti zu verantworten hatte und diese Sendung daraufhin gerichtlich unterbunden wurde, solidarisierte sich die Synode mit ihrem Vorsitzenden und stand nicht mehr zu ihrer eigenen Erklärung. Vielmehr wurde das Thema erst einmal wieder gemieden.
Diese Beispiele erscheinen mir als repräsentativ für den „Stand der Dinge“, als sich 1993 die Deutsch-Japanische Kirchenkonsultation in Leipzig mit dem Thema von diskriminierten Minderheiten befasste. Teruo Kuribayashi, der in einem sehr bewegenden Vortrag die japanische Burakudiskriminierung und die Theologie der Dornenkrone darstellte, weckte das Interesse auch der deutschen Delegierten. Der Hinweis auf die säkulare Kooperation zwischen Buraku-Befreiungsliga und dem Zentralrat Deutscher Sinti und Roma im Rahmen von IMADR (International Movement against all Forms of Diskrimination and Racism) führte zu dem Vorschlag und Beschluss, einen Austausch zwischen der Solidaritätsarbeit der Kirchen in beiden Ländern mit den genannten diskriminierten Minderheiten durchzuführen.
Für die Reise von japanischen Delegierten nach Deutschland konnte das Referat Ostasien der EKD jedoch keinen Kontakt zu einer diesbezüglichen kirchlichen Solidaritätsarbeit in Deutschland vermitteln. So wäre der Austausch gescheitert, hätte nicht der Arbeitskreis für Burakubefreiung des Kirchenbezirks Kyoto gewünscht, stattdessen Verbände der Deutschen Sinti und Roma zu besuchen und sie über die Rolle der Kirchen in Deutschland zu befragen.
Das Fazit der Reise 1995 nach Deutschland war der Befund, dass es derzeit keine kontinuierliche Kooperation zwischen den Verbänden und kirchlicher Solidarität zur Überwindung der Diskriminierung der Sinti und Roma in Deutschland gebe. Damit stand für den Kyodan als einer mit der japanischen Minderheit der diskriminierten Buraku solidarischen Minderheitskirche der Sinn eines Austausches mit den über das EMS verbundenen deutschen Kirchen in Frage. Der AK für Burakubefreiung Kyoto mit dem damaligen Moderator Seki des Kirchenbezirks (Kyoku) Kyoto entdeckten jedoch in diesem Manko einen Auftrag, eine Mission des Kyodan in Deutschland. Sie baten um Gründung eines Arbeitskreises „Sinti Roma und Kirchen“ bei den deutschen Partnerkirchen. Dies wurde exemplarisch in Württemberg versucht, von wo Andreas Hoffmann-Richter als Mitarbeiter bei der Burakubefreiungsarbeit des Kirchenbezirks Kyoto in Japan tätig war. Kirchenrat Jürgen Quack wandte sich an alle Pfarrer der Evang. Landeskirche in Württemberg mit der Bitte um Rückmeldung, wer Interesse am Thema „Sinti und Roma“ habe. Keiner meldete sich. Er schrieb daraufhin nach Japan, es bestehe kein Bedarf.
Darauf reagierte Moderator Seki aus Kyoto, dann stehe die Kooperation des Kyodan mit dem EMS in Frage. Die damalige EMS-Ostasienreferentin Sabine Bauer und Gisela Koellner jedoch wollten den Kyodan als Partnerkirche nicht verlieren und versuchten nun, bei der EMS einen Arbeitskreis ins Leben zu rufen. So wurde der Initiative aus Kyoto Rechnung getragen. Der Kirchenbezirk Kyoto des Kyodan lud zur Vorbereitung eines künftigen AK zwei Gruppen von deutschen Delegierten zur Vorbereitung nach Japan ein, um dabei die Methoden der Befreiungsarbeit vorzustellen. Beide Reisegruppen der Jahre 1996 und 1998 wurden von Pfarrer Tanimoto und Moderator Seki entsprechend nach ihrer Bereitschaft zur Kooperation befragt. Außerdem wurde Andreas Hoffmann-Richter 1999 in einem Aussendungsgottesdienst für diesen Dienst in Deutschland vom Kyodan beauftragt und nach Deutschland entsandt. Der „Arbeitskreis Sinti/Roma und Kirchen in BW“ wurde schließlich im Frühjahr 1999 gegründet. Pfarrer Dr. Andreas Hoffmann- Richter bekam nach seiner Rückkehr nach Deutschland eine Stelle im DiMOE Württemberg (konkret in Ulm) und bald wurde die Hälfte seines Dienstauftrags als Arbeit in Kooperation mit dem Landesverband Deutscher Sinti und Roma BW und mit dem AK Sinti und Roma ausgewiesen. Jedoch wurde seine Stelle 2004 im Rahmen der Streichungen von Stellen im Bildungsbereich mitgestrichen. Seither geschieht diese Arbeit auch von ihm wie von den anderen Mitgliedern des AK ehrenamtlich.
Nachtrag (PS):
Im Jahre 2002 fand eine Studientagung der DOAM in der Ev. Akademie Neudietendorf statt unter dem Thema: „Ohne Angst verschieden leben können – Minderheiten in Japan, Indien und Deutschland“. Daran wirkten Delegationen aus Indien und Japan mit. Zum 10jährigen Bestehen des AK lud dieser 2009 nach Ulm ein. Zu dieser Feier kam auch eine Delegation des Buraku-Befreiungszentrums aus Osaka/Japan.