2005: Berlin
Mahnwache 2005, Berlin, Pfr Gerd Decke
Japan ist nicht Deutschland, und Deutschland ist nicht Japan. Aber beide haben viel im Hinblick auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs mit einander gemeinsam: Sie sind Täter-Nationen, die sich in irgendeiner Weise mit der Vergangenheit und deren Schuld auseinandersetzen müssen. Allerdings macht es die christliche Prägung in Deutschland leichter, sich der eigenen Schuld zu stellen. Eigenes Unrecht und Verbrechen, die man begangen hat, zu bekennen und um Vergebung dafür zu bitten, wird in unserer christlich geprägten Kultur, positiv gewertet. Unsere Kultur, wenn sie auch säkularisiert ist, baut auf Erkenntnis von Sünde, Bekenntnis von Schuld und Bitte um Vergebung. Die japanische Kultur, geprägt durch Konfuzianismus, Shintoismus, Buddhismus ist auf Scham und Ehre aufgebaut. Man darf nicht das Gesicht verlieren. Sonst verliert man Selbstachtung und die Achtung der anderen. Vielleicht erklärt das, warum sich Japan so viel schwerer tut mit der Anerkennung seiner Kriegsschuld.
Es gibt aber noch einen zweiten Grund: Japan hat sich durch die menschenverachtenden Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki mit ihrem unvorstellbaren Grauen geworfen wurden, am Ende des Krieges als Opfer-Nation gefühlt. Die Kriegsverbrechen Japans wurden dadurch im Gefühl der Japaner relativiert wegen der Langzeitschäden über die Generationen hinweg an Hunderttausenden von Opfern.
Die Opfer des Bombenkrieges gegen die deutschen Städte mit ihren Hunderttausenden von Zivilopfern haben eine ähnliche Wirkung gehabt. Allerdings wogen die deutschen Kriegsverbrechen durch das industriell betriebene Morden schwerer in der internationalen Öffentlichkeit als die japanischen.
Was den deutschen Kriegsverbrechen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern am nächsten kommt, sind die Schicksale der Millionen von Zwangsarbeitern und der Hunderttausenden von Zwangsprostituierten unter der japanischen Kriegs- und Besatzungsherrschaft in den eroberten asiatischen Ländern. Besonders schlimm war es in Korea.
Deutschland hat in den letzten Jahren, es war schwer genug und nur durch politischen und juristischen Druck von außen möglich, Deutschland hat seit 2000, die Summe von 10 Mrd. DM, das heißt 5 Mrd. Euro, zur Hälfte vom Staat, zur Hälfte von den Firmen aufgebracht. Damit werden die ca. 300.000 noch lebenden Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter von ursprünglich 10 Millionen, entschädigt. Ihnen wird wenigstens eine kleine Anerkennung zuteil.
Warum kann Japan nicht Ähnliches für die Zwangsarbeiter/innen und besonders die Zwangsprostituierten, die sogenannten "Trostfrauen", tun? Warum kann Japan nicht Ähnliches für die 40.000 koreanischen Zwangsarbeiter und deren Nachkommen tun, die in Hiroshima genauso umkamen wie die japanischen Einwohner? Und Hiroshima war nicht einfach unschuldig, sie war voller militärischer Einrichtungen.
Heute fordern wir von der japanischen Regierung, dass sie das Leiden der Zwangsprostituierten aller besetzten Länder, besonders der ca. 200.000 Koreanerinnen, durch eine wirkliche öffentliche Entschuldigung, eine öffentliche Bitte um Vergebung, anerkennt. Damit sollen diese Frauen als unschuldige Opfer öffentlich anerkannt und ihnen und ihren Familien eine Entschädigung als Zeichen der Anerkennung gewährt werden.
Japan würde durch solch ein Tun große Anerkennung als Nation erfahren. Seine Identität als Volk würde nicht geschwächt, sondern gestärkt, wenn es bereit ist, eigene Kriegsverbrechen, grausame Verbrechen gegen die Menschlichkeit als eigene Schuld zu bekennen und den Opfern wenigstens eine geringe Entschädigung als Anerkennung zu geben. Die Frauen, die zur sexuellen Sklaverei gezwungen wurden, haben viele Jahrzehnte auf Grund von gesellschaftlicher Diskriminierung in ihrer eigenen Kontexten nicht gewagt, sich zu äußern. Deshalb ist es umso wichtiger, den wenigen Überlebenden jetzt noch Ehrerbietung und Genugtuung und einen, wenn auch symbolischen, materiellen Entschädigungswert zu gewähren.
Japan kann durch eine solche Haltung nur gewinnen.
Wir fordern Anerkennung der zur sexuellen Sklaverei gezwungenen Zwangsprostituierten als Opfer eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit, Entschädigung für die Opfer und ihre Familien, und Ächtung sexueller Folter und Sklaverei in allen Kriegen und Bürgerkriegen unserer Zeit.
In diesen Tagen jährt sich das Ende des II. Weltkriegs zum 60ten Mal. Der Krieg endete ja nicht am 8. Mai mit der Kapitulation Deutschlands, sondern am 15. August mit der Kapitulation Japans. Und nicht nur Deutschland wurde geteilt, sondern auch Korea. Gerade in diesen Tagen, in denen sich auch der Atombombenabwurf über Hiroshima und Nagasaki zum 60ten Mal jährt, ist es wichtig für Japan wie für Deutschland, sich nicht vor allem als Opfer-Nationen des Bombenterrors zu verstehen. Sondern die verbrecherischen Atombomben und Flächenbombardements, denen insgesamt Millionen zum Opfer fielen, waren Konsequenz der brutalen, menschenverachtenden, ausbeuterischen, kriegsverbrecherischen Angriffskriege Japans und Deutschlands.
Die Schuld und die Opfer dieser Verbrechen anzuerkennen, bedeutet nicht Schwächung, sondern Stärkung der eigenen Identität. Dazu fordern wir Japan heute positiv heraus. Nur eine gebrochene Identität ist für unsere Völker und ihre historische Schuld wahrhaftig. Nur Anerkennung historischer Schuld kann zur Aussöhnung mit den Opfern der eigenen Aggression führen - und damit zu einem dauerhaften, umfassenden Frieden!
Kanon: Herr, gib uns deinen Frieden.
Pfr. Gerd Decke
stellvertr. Direktor und
Referent für Korea und Japan des Berliner Missionswerks
Als pdf-Datei hier anklicken pdf