2010: Gegen den nationalen Strom schwimmen - Schulbuchgespräche

Interpretation der Geschichte in China, Japan und Korea

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Prof. Dr. Unsuk Han (Korea University, Seoul)

Mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers

“Die Vergangenheit, die nicht vergehen will“, dieses Wort, das in den 1980er Jahren in der Bundesrepublik Deutschland den ‚Historikerstreit‘ auslöste oder anspornte, scheint mir eher geeignet zur Beschreibung der Erinnerungskultur in Ostasien zu sein. Das alte Problem der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit wird verstärkt durch die neue offensive nationalistische Erinnerungspolitik der japanischen neu- und altkonservativen Politiker und Kultureliten und die in nicht weniger nationalistischer Stimmung mobilisierten Gegenreaktionen in Sued-Korea und China.[1] Aber diese gefährliche Konstellation hat auch grenzüberschreitende zukunftsweisende Aktivitäten auf zivilgesellschaftlichen Ebenen hervorgerufen. Das sind bilaterale und trilaterale Schulbuchgespräche unter den Historikern, Geschichtsdidaktikern und Geschichtslehrern in Ostasien. Ich werde hier besonders auf die bilateralen Kooperationen zwischen Korea und Japan eingehen. Das bilaterale oder trilaterale Schulbuchgespräch mit China hat erst nach dem Jahrtausendwechsel begonnen. Aber das bilaterale Gespräch zwischen Suedkorea und Japan hat eine viel längere Geschichte. Wie entstanden diese Schulbuchgespräche und wie entwickelten sie sich? Wie unterschiedlich haben Koreaner und Japaner die Ursachen und den Charakter des Schulbuchstreits beurteilt? Wie wollten sie den Streit loesen? Welche Auswirkung übten die früheren Schulbuchgespräche in Europa, wie die zwischen Deutschland und Frankreich, und besonders zwischen Deutschland und Polen, auf die zwischen Korea und Japan aus? Welche Hindernisse mussten sie ueberwinden, um gemeinsame Lehrmaterialien für den Geschichtsunterricht zu produzieren. In bezug auf welche Ereignisse waren sie weit auseinander bei ihren jeweiligen historischen Deutungen? Welche Fortschritte haben die Schulbuchgespräche erzielt? Welche Aufgaben warten noch auf ihre Lösung? Auf diese Fragen wird im folgenden eingegangen.

Ich habe mich seit 2002 intensiv mit den Fragen der Schulbuchkonflikte und den Bemühungen um deren Lösung beschäftigt. Ich habe die bilateralen und trilateralen Schulbuchgespräche in Ostasien ganz in der Nähe aufmerksam beobachtet. Aufgrund dieser Erfahrungen werde ich zwar aus koreanischer Perspektive, aber möglichst differenziert die Leistungen und Grenzen der Schulbuchgespräche in dieser Region zu bewerten und einige Vorschläge zur Weiterentwicklung der Schulbuchgespräche zu machen versuchen



Hintergründe für die Schulbuchgespräche

Die ‚zweite Schulbuchattacke‘ von 1982 in Japan -> die ersten Schulbuchgespräche

Schulbuchverbesserungen bis Mitte 1990er Jahre
Der Versuch des japanischen Kultusministeriums im Jahr 1982, in japanischen Schulbuechern fuer den Geschichtsunterricht an Oberschulen (10. bis 12. Klasse) den Begriff „Agression“ auf dem asiatischen Kontinent durch harmlos klingendes „Vorruecken“ zu ersetzen, hatte massive Proteste seitens Suedkoreas und Chinas ausgeloest. Dieser konservative Angriff auf das Geschichtsschulbuch gilt in Japan als die zweite Schulbuchattacke nach der ersten Attacke gegen das Schulbuch von Prof. Ienaga Saburo, der ueber die japanische imperiale Vergangenheit kritisch geschrieben hatte. Die japanische Regierung musste einsehen, dass die Proteste fuer Japans internationales Ansehen äußerst schädlich sein mussten. So verkuendete sie einen Richtungswechsel in der Schulpolitik, welcher sich in der sogenannten „Klausel hinsichtlich der Nachbarstaaten“ niederschlug. „Selbst sogenannte ‚dunkle Kapitel‘ wie das Nanjing-Massaker von 1937, die Geschichte der ‚Trostfrauen‘ bzw. der Zwangsprostitution in der japanischen Armee während der Kriegszeit oder die der militärischen Einheit 731, welche in der Kriegszeit in der Mandschurei Versuche mit biologischen Waffen an Kriegsgefangenen durchfuehrte, wurden nach und nach in die Schulbuecher aufgenommen.“[2] Dieser Wandel in der japanischen Erinnerungspolitik gipfelte Mitte der 1990er Jahre, politisch mit der „Murayama-Erklärung“ (Schuldbekenntnisse des japanischen Ministerpräsidenten) von 1994.

Auswirkung der deutsch-polnischen und deutsch-französischen Schulbuchgespräche

Die progressiven Historiker in Japan wie Masao Nishikawa und Hiroshi Bando haben in ihrer Reaktion auf die Schulbuchattacke im Jahr 1982 auf die deutsch-polnische Schulbuchgespräche aufmerksam gemacht. Aber Ihr Augenmerk richtete sich eher auf die Kritik am japanischen Zensursystem im Vergleich mit dem deutschen Zulassungssystem als auf die Bemühung, durch Schulbuchgespräche gemeinsam Schulbücher zu verbessern.[3] Aber einige konservative Wissenschaftler in Japan wandten sich mit unterschiedlichen Argumenten gegen das Modell des deutsch-polnischen Schulbuchgesprächs. Watanabe Shjoizi weigerte sich, dem deutschen Modell zu folgen, weil das Vorkriegsjapan dem Hitlers Nazi-Deutschland gar nicht gleichzusetzen sei. Nishi Joshiyuki übertrieb den innergesellschaftlichen Streit in der Bundesrepublik absichtlich und verurteilte die Weglassung wichtiger Ereignisse wie das Massaker in Katyn scharf. Bekki Atzhiko argumentierte, dass deutsch-polnische Schulbuchgespräche den Frieden dadurch bewahrten, dass sie die unangenehme Vergangenheit aus der Empfehlung wegließen.

Information zu den deutsch-polnischen Schulbuchgesprächen in Korea: Kisang Mun(1983), Minho Lee(1988), dann wieder intensiv Unsuk Han, Seung-ryul Kim seit 2001 ...


Die konservative Tendenzwende seit Mitte der 1990er Jahre in der japanischen Gesellschaft und Politik und deren Hintergründe:

In den 1990er Jahren formierte sich aber der heftige Widerstand gegen die Verbreitung eines sog. „masochistischen“ Geschichtsbildes in Japans Schulbuechern unter konservativen Politikern v.a. in der Liberaldmokratischen Partei. Die „Gesellschaft fuer das Studium einer lieralen Sicht der Geschichte“ von Fuzioka Nobukatsu wollte die selbstkritische Perspektive der Nachkriegs-Historiographie grundsätzlich revidieren. Die 1996 gegruendete „Vereinigung zur Schaffung eines neuen Geschichtslehrbuchs“ (kurz „Tsukuru-kai“ genannt) war das Sammelbecken fuer Historiker, Publizisten, Manga-Zeichner, Politiker und auch Vertreter der Wirtschaft, welche eine Geschichtserziehung forderten, die Schulkindern „gesunden Nationalismus“ und „Stolz auf das Japanersein“ vermittelt. In dieser Sichtweise duerfen die dunklen Kapitel der japanischen Geschichte wie die Geschichte der Zwangsprostitution in der Armee oder die der Einheit 731 in den Schulbuechern nicht vorkommen. Das von der Tsukuru-kai im Jahr 2001 erstellte sog. „Neue Geschichtslehrbuch“ für Mittelschulen präsentiert ein solches verschönertes Bild der Nationalgeschichte, auf das man ganz stolz sein sollte.


Unterschiedliche Analyse der Ursachen in Korea und Japan:

A new dimension of globalization, the beginning of a new phase of stagnant economic growth after the collapse of the so-called „bubble economy“ in 1990, the end of the so-called „55 system“, dadurch verursacht anxiety and uncertainty. „The problems accompanying an aging society along with the changes that emerged through the direct linking of the domestic labour market with a challenging material reality.“ (S. Richter, p. 49) ...

Aber in Korea wurde der Geschichtsrevisionismus ueberwiegend auf den neuen Nationalismus der japanischen Rechten zurueckgefuehrt. In dieser Atmosphäre wurde die These der Modernisierung während der japanischen Kolonialherrschaft, die auch von einigen koreanischen Wirtschaftshistorikern (sog. Naksungdae Schule = New Right Scholars) vertreten wurde, scharf kritisiert.

Neue Welle der Schulbuchgespräche:

Diese Erinnerungspolitik der japanischen konservativen Eliten konnte nicht umhin, auf den heftigen Widerstand in Nachbarstaaten zu stossen. Für eine neu-nationalistische Identität wollten sie die Verletzung des „Nachbarstaatenklausels“ von 1982 in Kauf nehmen. Diese dritte Schulbuchattacke hat eine starke Solidarität unter den NGOs in Korea und Japan mobilisiert. Sie haben nicht nur gemeinsame Aktionen gegen die Genehmigung und Verbreitung des „Neuen Geschichtslehrbuchs“ von Fusjosja Verlag gemacht, sondern auch ein mehrjähriges bilaterales oder trilaterales Projekt für die Publikation gemeinsamer Lehrmaterialien für Geschichtsunterricht durchgeführt. Die sehr bedeutenden Ergebnisse dieser Kooperationen erschienen in den letzten Jahren. Das sind Koreanische Spezialgesandten (4, 2005), Zukunft eröffnende Geschichte (6, 2005), Koreanisch-japanische moderne und Zeitgeschichte, aus einer Frauenperspektive gesehen (10. 2005), Sich gegenseitig anschauende koreanisch-japanische Geschichte I, II (8. 2006), Beziehungsgeschichte zwischen Korea und Japan (3. 2007). Im Folgenden wird auf diese fünf gemeinsame Geschichtsbücher eingegangen.



Ergebnisse der Schulbuchgespräche: Lehrmaterialien für den Geschichtsunterricht

Streitpunkte in den Konferenzen
Reaktionen auf die Publikationen in Korea und Japan
Plan zur Fortsetzung der Projekte

„Zukunft eröffnende Geschichte“ war auf die Jugend der Mittel- und Oberschule ausgerichtet. Sie will ihre Leser unter Studenten und Akademikern finden. Sie will die Kritikpunkte gegen die Vorgänger weitgehend überwinden....

Sich gegenseitig anschauende koreanisch-japanische Geschichte I/II (Aug. 2006)
Träger: koreanischer Geschichtslehrerverband sowie Geschichtslehrer der Gesellschaft für Geschichtsunterricht in Japan

Dieses Projekt begann mit dem Nachdenken darueber, was zu tun ist, damit sich die Jugend beider Länder besser untereinander verständigen können. Die Lehrer haben die Loesung darin gesehen, dass man zunächst die Geschichte, Kultur und Gesellschaft des Nachbarlandes nicht bruchstueckartig sondern von der Antike bis zur Gegenwart in einer Kontinuität und in einem integrierten Bild gut verstehen sollte, bevor man auf die Geschichte der gegenseitigen Beziehung und des Austausches eingeht. Nur dann koenne man Vorurteile abbauen und die Eigenartigkeit einer Gesellschaft und Kultur schätzen. Die beiden Bände haben die Zeit bis vor den Beginn der japanischen Kolonialherrschaft 1910 behandelt. Die weiteren Bände für das 20. Jahrhundert werden bald erscheinen.

Beziehungsgeschichte zwischen Korea und Japan (März 2007)
Träger: Koreanische Gesellschaft zur Forschung der Schulbücher sowie Japanische Gesellschaft zur Forschung der Geschichtsdidaktik

Dies waren die Ergebnisse der über 8 Jahre bewährten intensiven Zusammenarbeit von 1997 bis 2005. Historiker und Lehrer haben zusammengearbeitet. Der Schwerpunkt der Kooperation lag darin, die Geschichte des beidseitigen Austausches und der Beziehungen besser zu verstehen. Die Verfasser beider Länder bemühten sich, die Kenntnisse bekannt zu machen, dass es zwischen Korea und Japan nicht nur Geschichte von Aggression und Widerstand, sondern auch Geschichte des friedlichen Austausches gab und dieser Austausch war nicht einseitig sondern wechselseitig.

Koreanisch-japanische Moderne und Zeitgeschichte aus Frauenperspektive (2005)
Träger: Zentrum für Krieg und Menschenrechte der Frauen in Korea sowie Wissenschaftliche Gesellschaft für Frauen, Krieg und Menschenrechte in Japan

Das Projekt wurde möglich auf der Grundlage der internationalen Solidarität zur Lösung des Problems der Sexsklaven für das japanische Militär. Schwerpunkt der Darstellung lag in dem Problem der Zwangsprostituierten für das japanische Militär, Menschenrechte der Frauen, die unter der imperialistischen Aggeression litten. Hier wird der japanische Staat als patriarchaler Familienstaat mit dem Tenno an der Spitze charakterisiert.

Zukunft eröffnende Geschichte (Mai 2005)
Träger: Korea, Asia Peace and History Education Network sowie Japan, Children and Textbook Network 21, und China, Akademie der Sozialwissenschaften / Pädagogische Hochschule in Shanghai/Gedenkstätte für Nanjing-Massaker

Im März 2002 in Nanjing wurde unter chinesischen, koreanischen und japanischen Historikern vereinbart, gemeinsames Lehrmaterial fuer moderne und Zeitgeschichte zu verfassen. Nach 11 internationalen Konferenzen wurde das Lehrmaterial im Mai 2005 publiziert.

Veranlasst wurde dies durch die Reaktion auf die Geschichtsverfälschung und Verharmlosung bzw. Verschönerung der japanischen Kolonialherrschaft und des asiatisch-pazifischen Kriegs. Schwerpunkt: Aggression des japanischen Imperialismus und Widerstand dagegen, das geopferte Volk, die grenzüberschreitenden Personen und ihre Tätigkeiten, Notwendigkeit der Schuldbekenntnisse/Reue und Aussöhnung, Streitigkeiten unter den Verfassern und Kritiken an diesem Buch:
- Dominanz der nationalstaatlichen Perspektive
- japanischer Imperialismus als Subjekt der Geschichte, koreanisches und chinesisches Volk als dessen Objekt dargestellt
- Zeitpunkt, an dem Japan als imperialistischer Staat entsteht
- Kolonialisierung Koreas durch Verträge – völkerrechtlich legal oder illegal?
- Zahlenangaben der Opfer der Massaker, der Zwangsarbeiter wissenschaftlich vertretbar?
- Fehlen des ostasiatischen regionalgeschichtlichen Konzepts

Dieses trilaterale Projekt hat in den letzten Jahren an weiteren zwei Büchern gearbeitet. Sie werden im Frühling 2011 erscheinen. Das eine behandelt die internationale Poitik in Nordostasien. Das andere behandelt die sozio-ökonomische und kulturellen Beziehungen in der Region.


Leistungen und Grenzen der „Kommission für die koreanisch-japanische gemeinsame Geschichtsforschung

Da der Streit um das neue japanische Geschichtsschulbuch die diplomatische Beziehung zwischen Korea und Japan schwer belastete, vereinbarten der südkoreanische Präsident KIM Dae-jung und der japanischer Ministerpräsident Koizumi beim Gipfeltreffen vom Oktober 2001, eine Kommission für die gemeinsame koreanisch-japanische Geschichtsforschung zu gründen. Die Kommission begann ihre Arbeit mit der ersten Vollversammlung vom Mai 2002 in Seoul und endete im März 2005 in Tokyo. Die Kommission bestand aus der Vollversammlung und drei Teilkommissionen jeweils fuer Antike, Mittelalter/Frühe Neuzeit und Moderne/Zeitgeschichte. Die Kommission wählte 19 Forschungsthemen aus und veranstaltete 45 Konferenzen der Teilkommissionen und eine Gesamtkonferenz, alle als geschlossene Sitzungen. Die dritte Teilkommission für moderne und Zeitgeschichte behandelte 13 Themen:
1) verschiedene Verträge zwischen Korea und Japan seit 1876 bis 1910
2) Modernisierung der internationalen Beziehungen in Ostasien
3) Koreanisch-japanische Beziehung während des chinesisch-japanischen Krieges von 1894 und russisch-japanischen Kriegs von 1905
4) Die Lage der in Korea stationierten japanischen Armee 1876-1945
5) Die japanische Herrschaft über die koreanische Kolonie und die Reaktion der koreanischen Nation
6) Wandel der koreanischen Kultur und Gesellschaft während der Kolonialherrschaft
7) “Diskurs zur Entwicklung (Modernisierung)“ und „Diskurs zur Ausbeutung“ unter der Kolonialherrschaft
8) Koreanisch-japanische Konferenzen und der Vertrag von 1965
9) Beziehung zwischen Nordkorea und Japan seit 1945
10) Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Suedkorea und Japan und ihre Entwicklung
11) Die gegenseitige Wahrnehmung in Korea und Japan in Moderne und Zeitgeschichte
12) Die Forschungsgeschichte über die koreanisch-japanische Beziehung

Die Mitglieder dieser dritten Teilkommission waren sich in der Meinung einig, dass die japanische Aggression gegenüber Korea und die Kolonialherrschaft nicht zu legitimieren waren und dass man die Geschichte dieser Zeit nicht dichotomisch unter dem Gesichtswinkel von Agression oder Widerstand, Modernisierung oder Ausbeutung beurteilen sollte. Aber wenn man einzelne Themen betrachtet, haben beide Seiten der Kommission ganz unterschiedliche und unversoehnliche Meinungen vertreten.

Was das erste Thema betrifft, ist die Bestimmung des Charakters der Verträge von 1904/05 und 1910 zur Einverleibung Koreas von grosser Bedeutung. Die koreanische Seite betrachtet die Verträge in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts als ungueltig, weil sie unter militärischem Druck gezwungen worden und illegal gewesen seien. Die Behauptung der Legalität auf der japanischen Seite sei der Versuch, die imperialistische Agression zu verheimlichen. Aber die japanischen Historiker behaupteten, dass die Verträge gültig seien, weil sie völkerrechtlich legal vereinbart worden seien. Über die Kolonialherrschaft nachzudenken sei eine Sache, aber die Legalität der Verträge anzuerkennen sei eine andere Sache. Der Großteil der japanischen Historiker einschließlich der progressiven Historiker scheinen diese Meinung zu vertreten. Die Schwierigkeit, eine Annäherung bei dieser Problematik zu finden, ist nicht zuletzt daraus zu erklären, dass dies mit dem ungelösten Problem der Entschädigung für die koreanischen Kriegsopfer eng verbunden ist. Die koreanischen Historiker sind einerseits der Meinung, dass das Voelkerrecht dieser Zeit der Ausdruck der Interessen der imperialistischen Großmächte ist. Andererseits seien auch aus dem damaligen Völkerrecht die Verträge als illegal anzusehen.

Die japanischen Historiker sehen Chosun (die letzte Dynastie Koreas) in starker Abhängigkeit von China. Dieses Verhältnis der Unterordnung sei zusammengebrochen mit dem japanischen Sieg und eine moderne internationale Ordnung habe sich in Ostasien konstituiert. Demgegenueber messen die koreanischen Historiker dem Tributverhältnis mit China nur eine rituelle Bedeutung zu und behaupten, dass Chosun in Wirklichkeit ein unabhängiges Land gewesen sei. Die koreanischen Historiker argumentieren, dass hinter der Behauptung der Modernisierung der internationalen Beziehung in Ostasien die heimliche Absicht der japanischen Historiker steckt, die japanische Aggression zu verheimlichen oder sogar zu legitimieren.

Die Frage der Modernisierung während der japanischen Kolonialherrschaft war eine der umstrittensten Fragen sowohl zwischen koreanischen und japanischen Historikern, als auch unter den koreanischen Historikern(in der Debatte mit einem Teil der Wirtschschaftshistoriker von der sog. New Right ausserhalb der Kommission). Die japanischen Historiker in der Kommission hoben hervor, dass dank der japanischen Kolonialpolitik moderne Aspekte (modernity) wie wissenschaftliches Management, ein großes Kaufhaus, „neue Frauen“ (d.h. moderne Frauen), Eisenbahnen und Strassen, Hygiene usw. entstanden seien. Demgegenueber argumentierten die koreanischen Historiker, dass zwar etwaige Modernität zu beobachten sei, aber dies sei lediglich das Nebenprodukt der Ausbeutungspolitik. Sie befuerchteten, dass die Betonung der Modernität zur verschönernden Darstellung über die Kolonialherrschaft ausgenutzt werden könnte.

In den koreanischen Schulbüchern werden einerseits die Unterdrueckung und die Ausbeutung des koreanischen Volks durch die japanische Kolonialherrschaft, andererseits der nationale Widerstand sowohl innerhalb als auch ausserhalb der koreanischen Halbinsels stark hervorgehoben. Aber die japanischen Historiker in der Kommission haben dieses Geschichtsbild frontal angegriffen, einerseits durch die These der Modernisierung durch die Kolonialherrschaft, andererseits durch die Geringschätzung der koreanischen Widerstandskraft. Bezueglich der koreanischen antijapanischen Nationalbewegung haben sie darauf bestanden, dass der koreanische Nationalismus an der Schwäche des Staats- und Nationalbewusstseins der Bevölkerung und der mangelnden Leadership gelitten habe. Sie fragten sogar provozierend danach, warum sich die Koreaner damals von der Kolonialherrschaft nicht befreien konnten, wenn der nationale Widerstand wirklich so stark gewesen wäre. Bezüglich der Kriegsmobilisierung der Zwangsarbeiter haben sie behauptet, dass es wenig Widerstand vonseiten der koreanischen Bevölkerung gegeben habe. Demgegenüber haben sich die koreanischen Historiker bemüht quellenmäßig zu belegen, wie die japanischen Kolonialherrscher die koreanische Bevölkerung unterdrückten, um sie zu Untertanen des Tennos zu verwandeln. Sie warfen den japanischen Historikern vor, dass sie die Tatsache ignorierten, dass die koreanische Bevoelkerung in den letzten Jahren des zweiten Weltkriegs wegen der in der Welt beispiellosen Härte der Unterdrückung kaum nennenswerten Widerstand leisten konnte.

Die Kommission publizierte den sechs-bändigen Schlussbericht mit ca. 2000 Seiten im Mai 2005. Beide Seiten haben viel mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten konstatiert und offen gelegt. Die Probleme der Schulbuchdarstellung konnte gar nicht behandelt werden. Man zweifelt am ehrlichen Willen beider Regierungen, die Geschichtskonflikte ernsthaft zu lösen. Sie wollten nur die weitere Verschlechterung der Lage vermeiden. Diese Kritik gilt besonders fuer die japanische Regierung. Die Aussenministerien beider Regierungen waren zuständig für die Gründung der Kommission und die Zusammensetzung der Mitglieder. Das koreanische Aussenministerium beauftragte wichtige Historikergesellschaften, Kommissionsmitglieder zu empfehlen. Sonstige Geschäfte wurden vom Bildungsministerium unterstützt und deshalb wären die Ergebnisse der Kommission leicht in die Schulbuchrevision umzusetzen. Aber das japanische Außenministerium selber wählte meist konservative und einige moderate Historiker aus, damit die Kommission die aus ihrer neonationalistischen Sicht unakzeptablen Kompromisse nicht vereinbaren kann. Die Kommission spielte nur eine Rolle als Vorwand dafür, dass die japanische Regierung mindestens Maßnahmen zur Beilegung der Schulbuchkonflikte getroffen hat.

Beide Regierungen haben Ende 2005 vereinbart, eine zweite Kommission zu gründen. Aber bis zur Zusammensetzung der japanischen Mitglieder sind anderthlab Jahre vergangen. Die zweite Kommission hat ihren Job erst im Juni 2007 begonnen. Eine Teilkommission behandelt jetzt zwar das Schulbuchproblem. Aber sie kann keinen Einfluss auf die Schulbuchrevision ausueben. Darueber hinaus ist die Zusammensetzung der japanischen Mitglieder mit Aufnahme einiger neonationalistischer Historiker verschlechtert worden. Die Atmosphäre in der Kommission ist gespannter und konfliktreicher geworden. Die zweite Kommission hat Ende des letzten Jahres ihre Arbeit beendet. Man weiss noch nicht, ob sie durch die dritte Kommission ihre Arbeit fortsetzen wird. Man kann jetzt die Schlussberichte der Kommission in koreanischer und japanischer Sprache im Internet sehen und runterladen.

Trotz der mangelnden Bereitschaft (besonders der japanischen Seite), die Schulbuchprobleme ernsthaft zu verbessern, haben beide Seiten Gemeinsamkeiten und Differenzen in der historischen Deutung der koreanisch-japanischen Beziehung konstatiert. Dies ist eine bedeutende Grundlage, mit der sich die künftigen Schulbuchgespräche auseinandersetzen müssen. Ausserdem haben die koreanischen Mitglieder der Kommission die Ergebnisse der eigenen Forschungen ueber die konfliktreichen Themen in der Geschichte der koreanisch-japanischen Beziehung in zehn Sammelbänden publiziert. Aber es gibt auch sehr kritische Stimmen gegen die Leistungen der Kommission in beiden Ländern. Im Vergleich zu der Zeit- und Geldverschwendung seien die Ergebnisse zu mangelhaft. Die Kommission werde nur als Vowand gegen die Forderungen nach Beilegung der Schulbuchkonflikte in beiden Ländern missbraucht.


Leistungen und Grenzen der Schulbuchgespräche und ihre Aussicht

Leistungen: Perspektivenwechsel und Verhaltenswandel der Teilnehmer, allmähliche Überwindung nationalistischer und nationalstaatlicher Sichtweise, mehr Verständnis für die Geschichte der Nachbarländer, geschichtsdidaktischer Lernprozess

Die Teilnehmer an den Schulbuchgesprächen haben im Lauf der Zeit einen aufklärenden Lernprozess durchgemacht. Sie haben zwar auf ihr nationalstaatlich orientiertes Geschichtsbild nicht ganz verzichtet, aber sie mussten es stark revidieren. Dies gilt in stärkerem Ausmaß für die koreanischen und chinesischen Historiker und Geschichtsdidaktiker als fuer ihre japanischen Kollegen. Aber auch die japanischen progressiven und gewissenhaften Historiker und Schulpraktiker haben in den trilateralen Gesprächen kennengelernt, dass ihr Nachkriegsgeschichtsbild nicht ohne weiteres von den Nachbarländern aufgenommen werden kann. Sie haben ihre Kenntinsse ueber die Geschichte der Nachbarländer stark erweitert und unterschiedliche und differenzierende Geschichtsdeutungen in den Nachbarländern kennengelernt. Sie haben in diesem Prozess sowohl durch die Vermittlung der einheimischen Historiker als auch direkt bei ihren Treffen mit Schulbuchexperten aus GEI oder anderen europäischen Ländern viel gelernt. Was ich hier besonders betonen moechte, obwohl dies von meinen koreanischen Kollegen in ihren Erfahrungsberichten über ostasiatische Schulbuchgespräche meist übersehen wird, ist die Tatsache, dass koreanische Teilnehmer von ihren japanischen Kollegen sowohl historiographisch als auch geschichtsdidaktisch und nicht zuletzt von ihrem kosmopolitischen Wert, ohne sich dessen bewusst zu sein, viel gelernt und allmählich verinnerlicht haben. Das Motto der japanischen Eliten seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der von dem europäischen und amerikanischen Eindringen verursachten Gesellschaftskrise war „脫亞入歐“ („weg von Asien, hin nach Europa“). Die japanischen Historiker und Geschichtsdidaktiker haben die Entwicklungen in der Geschichtswissenschaft und Geschichtsdidaktik in Europa frueher importiert, praktiziert und verinnerlicht. In der Geschichtswissenschaft haben sie Sozialgeschichte und den historischen Vergleich längst praktiziert und in der Geschichtsdidaktik geht es ihnen längst weniger um Wissensvermittlung als vielmehr um Foerderung des Geschichtsbewusstseins. Sie haben ihr Schulbuch dementsprechend in Richtung auf Arbeitsbuch weiter entwickelt. Sie haben die Multiperspektive zu schätzen gelernt, während ihre koreanischen Kollegen länger dazu neigten, an eine historische Wahrheit zu glauben. Dieser allmähliche und stillschweigende Lernprozess sowohl unter Historikern als auch Geschichtslehrern, glaube ich, hat eine Grundlage gelegt, auf der eine konstruktive Kooperation erleichtert worden ist.

Aber die japanischen Historiker und Geschichtsdidaktiker sind nicht konsequent und mutig genug, um ihre Schulbuecher ihrer Theorie entsprechend zu revidieren. Manchmal geraten sie in den Relativismus, der in Richtung auf „Everything goes“ geht.

Hartnäckigkeit der nationalstaatlichen Perspektive?

Trotz des großen Fortschritts bei der Ueberwindung der nationalstaatlichen Denkweise spielt sie in den bilateralen und trilateralen Schulbuchgesprächen immer noch eine starke Rolle, bei den chinesischen Teilnehmern am stärksten, bei den koreanischen Teilnehmern in der Mittelstärke. Aber auch viele japanische Befürworter der Historikergespräche seit den 1980er Jahren haben die Historiographie und Geschichtsdarstellung als von der nationalen Kultur und staatlichem und gesellschaftlichem Erziehungsziel geprägt betrachtet und waren der Meinung, dass die Schulbuchdarstellung nicht von einer mit den Nachbarstaaten vereinbarten gemeinsamen Geschichtsdeutung kuenstlich reguliert werden kann und darf. Es ging ihnen bei Schulbuchgesprächen im Wesentlichen darum, die Differenzen in der Geschichtsdeutung in Nachbarstaaten kennen- und schätzen zu lernen. Demgegenueber betrachteten die koreanischen Historiker, dass sie angesichts der Tradition der nationalen Befreiungskämpfe unter der japanischen Kolonialherrschaft und der Wiedervereinigungsbewegung seit der Teilung Koreas auf die Schätzung der fortschrittlichen Rolle des Nationalismus und die Unvermeidlichkeit einer gewissen nationalstaatlichen Perspektive nicht verzichten koennen. Aber man darf diese Nationalperspektive nicht als das große Hindernis gegen die Schulbuchgespräche betreiben. Es gibt auch unter Beibehaltung dieser Perspektive und gegenseitiger Anerkennung immer noch vieles zu tun.

Ostasiatische Perspektive als Alternative? unterschiedlicher Kontext und Stellenwert des Ostasien-Diskurses in Korea, China und Japan

Ein großes Manko bei bilateralen und trilateralen Schulbuchgesprächen ist die Suche nach Alternative zu nationalstaatlichen Geschichtsbildern. Man sucht sie in der neuen ostasiatischen Perspektive, die aber noch nicht konkretisiert wurde. Wie kann man Ostasien räumlich und zeitlich bestimmen? Mit der Nutzung von Essstäbchen und Monsun, wie dies der Bonner Historiker Reinhard Zoellner tut? Oder mit chinesischer Schriftkultur und Konfuzianismus? An die „Zukunft eröffnende Geschichte“ wurde vielfach wegen der Weglassung von Vietnam, Mongolei, Nordkorea und Taiwan heftig kritisiert. Was Ostasien konstruieren sollte, das ist immer noch sehr umstritten. Das Interesse am Ostasiendiskurs ist in den drei Ländern sehr unterschiedlich. Chinesische Historiker sind wegen ihres traditionellen Chinazentrismus nicht sehr begeistert. Die japanischen Intellektuellen sind gegenüber diesem Begriff skeptisch, weil er sie an die Kriegspropaganda des japanischen Militärs für den sog. „Großostasiatischen Raum für gemeinsamen Wohlstand“ erinnert. Ihr geringes Interesse ist nicht zuletzt aus ihrer oben geschilderten Neigung für das Motto „weg von Asien, hin nach Europa“ zu erklären. Der Ostasiendiskurs ist seit den 1990er Jahren in Korea am stärksten geprägt. Das koreanische Bildunsministerium will im Jahr 2012 ein neues wählbares Schulfach „Geschichte Ostasiens“ einfuehren. Aber in Korea ist die regionalgeschichtliche Perspektive noch nicht ausreichend entwickelt. Vielleicht wird man auch hier wieder von Europa lernen können.

Schwieriges Problem – Territorialkonflikt, wie sollte man im Schulbuchgespräch damit umgehen?

Das Thema, das das koreanische Nationalgefuehl am heissesten provoziert, ist nicht die Schulbuchverfälschung, sondern der Konflikt um Dokdo (einsame Insel in Ostsee/Japanischem Meer, auf Japanisch Takeshima). Hier trifft man auf eine fundamentalistische Denkweise und Argumente. Man will in Suedkorea die japanischen Argumente gar nicht hoeren und die japanischen Beweismaterialien gar nicht sehen. ... Man sollte zunächst eigene Ansicht zu relativieren lernen und sich bemuehen, um zu verstehen, warum die andere Seite so und nicht anders argumentiert. Nur dann können Gespräche zur vernünftigen Lösung angefangen werden.

Sollte man die Vergangenheit lieber vergehen lassen für eine friedliche gemeinsame Zukunft?

Die Bejahung dieser Fragestellung ist unter der japanischen Bevoelkerung weit verbreitet. Der immer wieder aus Übersee kommende Wind der moralischen Kritik veranlasst oft viele Japaner zur Gegenwehr. Diese Gegenwehr wandelt sich nicht selten in antikoreanisches Ressentiment. Auch viele japanische Intellektuelle scheinen die Meinung zu vertreten, dass man jetzt die Vergangenheit lieber vergehen lassen sollte, weil sie glauben, keine überzeugende Lösung aus diesem Teufelskreis finden zu können. Aber der Großteil der koreanischen Intellektuellen ist der Meinung, dass es ohne zufriedenstellende Aufarbeitung der belasteten Vergangenheit keine gesicherte Zukunft geben wird. Viele machen die amerikanische Besatzungspolitik in der Nachkriegszeit in Japan, und besonders den Vertrag von San Francisco, für den falschen Anfang der unbewältigten Vergangenheit verantwortlich.

Seit der Demokratisierung der koreanischen Gesellschaft ab 1987 wurde in Korea die Erinnerungskultur radikal demokratisiert. Frueher waren die Erinnerung der Bevoelkerung an die japanische Kolonialherrschaft von dem diktatorischen Regime von Park Chung-Hee und Chun Duhwan stark unterdrueckt. Aber nach der Befreiung der Erinnerung neigt man dazu etwas fundamentalistisch zu denken. Dieses Phänomen eskaliert mit dem Rechtsruck der Erinnerungspolitik der japanischen konservativen Eliten. Wir sollten aber die japanische Aufarbeitung nicht an dem europäischen Maßstab messen. Dies scheint mir eher die Loesung der Probleme oder Verständigung beider Völker zu erschweren. Wir sollten eine ostasiatische Lösung und Maßstab zu finden versuchen. Wir muessen selbst den kleinen Fortschritt bei dem Versuch der japanischen Gesellschaft, die Vergangenheit aufzuarbeiten, schätzen lernen. Wir sollten unsere Augenhöhe herabsetzen und sie Schritt um Schritt geduldig und gemeinsam mit japanischen Bürgern erhöhen.

Rolle des Staats bei der Loesung der Geschichtskonflikte: Sollte sich der Staat lieber nicht einmischen? Oder doch eher eine aktive Rolle spielen?

Längerfristige Projekte können staatlich gut gefoerdert werden. Wir koennen die Leistungen der staatlichen Foerderungen z.B. in der insgesamt konstruktiven Rolle der Nordostasiatischen Geschichtsstiftung in ihrer Bemuehung um die historische Aussöhnung durch ihre Förderungen vieler bilateraler und trilateraler Projekte bestätigen. Aber was die Rolle der „Kommission für die gemeinsame koreanisch-japanische Geschichtsforschung“ betrifft, muss die Zusammensetzung stark verbessert werden. Sie sollte viel mehr moderate und liberale Historiker aufnehmen. Nur dann kan man von der Kommission etwas Positives erwarten. Unter dieser Voraussetzung sollten Schulbuchgespräche auf zwei Schienen laufen, d.h. sowohl auf der staatlichen als auch auf der zivilgesellschaftlichen Schiene. Die Kommission muss Schritt um Schritt mit dem langfristigen Ziel der gegenseitigen Schulbuchrevision handeln. Die Leistungen der Nordostasiatischen Geschichtsstiftung in Seoul zeigen, dass der Staat einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Foerderung der grenzueberschreitenden Kooperationen, zur Vertiefung der Kenntisse ueber die Geschichte der Nachbarländer, zur Überwindung nationaler Vorurteile, zur Foerderung des Regionalbewusstseins, leisten kann. Die Kultur der Sponsoren ist in Korea noch gering entwickelt. Ohne staatliche Förderung wären viele grenzüberschreitende (wissenschaftliche und zivilgesellschaftliche) Projekte für eine geschichtskulturelle Verständigung nicht möglich gewesen.

Wir sollten hier aber kritisch bemerken, dass der Stiftung eine enge Grenze gesetzt ist, was den Territorialkonflikt betrifft. Sie darf in dem Streit um Dokdo (Takeshima) keinen Schritt nachgeben. Die Stiftung muss die oeffentliche Meinung aufmerksam verfolgen und beruecksichtigen. Dies macht nicht selten den Fortschritt bei ihrer Bemuehung um historische Versöhnung mit Nachbarländern schwierig.

Ostasiatischer Typus vs. Europäischer Typus der Schulbuchgespräche?

Ist der klassische Weg der Schulbuchgespräche (von gemeinsamen Empfehlungen angefangen), wie zwischen Deutschland und Frankreich/Polen, in Ostasien nicht moeglich oder nicht sinnvoll? Ju-back Shin betont, dass das ostasiatische Schulbuchgespräch, das einen anderen Weg als in Europa wählte, Produkt der besonderen Konstellation in der Region war. Das Gespräch mit nationalen Mandaten sei nicht zu erwarten gewesen und die politische Lage habe eine sofortige Handlung verlangt. Deshalb habe man unter diesen Bedingungen einen anderen Weg gewählt, nämlich gleich zu dem Unternehmen überzugehen, gemeinsames Zusatzmaterial unter den progressiven Intellektuellen zu verfassen und dadurch Aufklärung und Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit hervorzurufen, Anregung für weitere Schulbuchgespräche zu geben und die Regierungen zum Handeln zu provozieren.

Kann die Verbesserung der Geschichtsdidaktik und des Schulbuchkonzepts zur Lösung der Schulbuchkonflikte beitragen?

Ich kann diese Frage nur bejahen. Ich nenne nur zwei Beispiele, nämlich Multiperspektive und Global History. Multiperspektive ist in Deutschland längst ein leitendes Prinzip der Geschichtsdidaktik geworden. Aber dies gilt noch nicht fuer Korea und Japan. Wenn man mit diesem Konzept ein Schulbuch konzipiert, dann braucht man nicht auf einem eigenen nationalen oder nationalistischen Argument zu beharren. Global History hat auch bei einem Teil der koreanischen Historiker eine starke Resonanz gefunden. Ein positiver Aspekt der Global History ist ihr Versuch, enge nationalstaatliche Perspektive zu ueberwinden und die transnationale und globale Verflechtung der wichtigen Phänomene sowohl unseres als auch früherer Zeitalter stärker hervorzuheben.

Von der ostasiatischen Region wird mit ihrer immer wachsenden Wirtschaft eine konstruktivere Rolle fuer Frieden in der Welt verlangt. Aber wir koennen dieser Rolle nur dann gerecht werden, wenn uns gelingt, ein friedliches Miteinander zu schaffen. Die wichtigste Voraussetzung dazu ist die historische Aussoehnung, fuer die wiederum die Schulbuchgespräche und Schulbuchrevision eine zentrale Rolle spielen werden. Die historische Aussoehnung ist nur moeglich, wenn man die problematische Vergangenheit nicht verdrängt sondern sich ihr mutig stellt.

Professor Dr. Unsuk Han (geb. 1954) lehrt seit 1996 moderne europäische Geschichte und Geschichtsdidaktik an der Korea University in Seoul. Nachdem Han 1995 an der Universität Bielefeld promoviert hatte, war er unter anderem als Gastprofessor am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam tätig. Han war von 2007 bis 2009 Generalsekretär der koreanischen Gesellschaft für deutsche Geschichte. Zu seinen wichtigsten Buchveröffentlichungen zählt die Monographie One Nation, Two Pasts: German Nation in the 20th Century and the Question of Reunification (Seoul: Sinseowon, 2003). *The East Asian History in History Education in Europe and the USA (Seoul: Northeast Asian History Foundation, 2009). (Editor and Co-author) *Historical Compromise and History-Education in Germany(Seoul: Sinseowon, 2008).(author), *Overcoming the division of the ‘Opfer’ und ‘Täter’. The schoolbook dialogues between the Germans and the Polish (Seoul: Northeast Asian History Foundation, 2008) (Editor and Co-author) Er beschäftigt sich in den letzten Jahren intensiv mit Problemen der historischen Aussöhnung in Ostasien in enger Kooperation mit dem Georg-Eckert-Institut in Braunschweig.

 

(Quelle u.a.: www.goethe.de/ins/jp/lp/prj/wza/ver/de2725934.htm)

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