Nordkoreaner in Südkorea

Podiumsdiskussion  am 4.2.2015
Integrartion geteilter Gesellschaften
Mit freundlicher Erlaubnis vom Korea-Verband
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Nordkoreaner in der Gesellschaft Südkoreas: Zwischen Diskriminierung und Anerkennung
Yi Hee Young


1. Grenzgänger, illegale Einwanderer (nach China) und nordkoreanische Flüchtlinge

Die Teilung Koreas infolge des Koreakrieges (1950-53) erzeugte zwischen den Menschen des Südens und des Nordens eine Beziehung substantieller Feindschaft. Abgesehen von Gesprächen zur Normalisierung der Beziehungen auf Regierungsebene und gegenseitigen Verwandtenbesuchen unter staatlicher Aufsicht war während der vergangenen mehr als 70 Jahre kein privater Kontakt zwischen den Bürgern beider Länder möglich. Eine Modifikation des Verhältnisses zwischen den Menschen im Süden und im Norden ist seit Mitte der 1990er Jahre zu verzeichnen, als infolge der Nahrungsmittelknappheit in Nordkorea viele Menschen 'illegal' den Tumen nach China überquerten. Die nordkoreanischen Flüchtlinge lassen sich in drei Gruppen einteilen, je nachdem welche Wege sie nach ihrer Flucht nahmen. Die Mehrheit derjenigen, die den Tumen überquerten, deckte sich bei in China lebenden Verwandten mit Nahrungsmitteln ein und kehrte dann in den Norden zurück. Die Erfahrungen dieser Menschen zählen zu den Faktoren, die zu Veränderungen innerhalb der nordkoreanischen Gesellschaft führen. Die zweite Gruppe setzt sich aus denjenigen zusammen, die aus verschiedenen Gründen nicht wieder in den Norden zurückkehren konnten und von denen sich der größte Teil auf vielfältige Art und Weise in die chinesische Gesellschaft integrierte. Meldungen besagen, dass derzeit noch immer circa 200 000 bis 300 000 nordkoreanische Flüchtlinge ohne legalen Aufenthaltsstatus in China leben. Die Regierung der VR China jedoch erkennt basierend auf den diplomatischen Beziehungen zu Nordkorea diese Menschen nicht als Flüchtlinge an, weshalb ihre Lage in China recht unsicher ist. Zur dritten Kategorie zählen jene Menschen, die wegen illegalen Aufenthalts in China verhaftet wurden und sich – um der Auslieferung nach Nordkorea zu entgehen – für eine Übersiedlung in den Süden entschieden. Bis Ende 2014 ließen sich in Südkorea offiziell mehr als 27 000 nordkoreanische Flüchtlinge nieder. Durch sie wurde es möglich, dass sich im südkoreanischen Alltag nun Menschen aus beiden koreanischen Staaten begegnen können.

Die Besonderheit der ersten nordkoreanischen Flüchtlinge in Südkorea war, dass sie die Nahrungsmittelknappheit im Norden direkt miterlebt hatten. Nordkoreaner, die ihr Land in der Absicht verließen, nach Südkorea zu emigrieren, waren von Anfang an selten. Mit Beginn des neuen Jahrtausends jedoch verbreiteten sich in Nordkorea selbst immer mehr Informationen über das Ausland und infolgedessen erhöhte sich allmählich der Anteil jener Nordkoreaner, die ihrem Land mit dem direkten Ziel 'Südkorea' den Rücken kehrten. Das heißt, es strömte eine neue Kategorie von Flüchtlingen in den Süden: jene 'Auswanderer', die für ein besseres Leben und eine aussichtsreichere Zukunft nach Südkorea gingen.


2. 'Politik der Teilung' auf der koreanischen Halbinsel und staatliche Unterstützungsmaßnahmen in Südkorea für nordkoreanische Flüchtlinge

Auf der Grundlage des am 14. Juli 1997 in Kraft getretenen ‚Gesetzes zum Schutz und zur Ansiedlung nordkoreanischer Flüchtlinge‘, im Folgenden ‚Gesetz zur Flüchtlingshilfe‘, für die zahlreichen über die VR China oder andere Drittländer nach Südkorea eingereisten nordkoreanischen Flüchtlinge realisiert die südkoreanische Regierung Maßnahmen, welche den Schutz und die Unterstützung dieser Menschen als Mitglieder der südkoreanischen Gesellschaft garantieren. Flüchtlinge, die mindestens das Verfahren zur Identitätsfeststellung durchlaufen haben, bekommen die Staatsbürgerschaft der Republik Korea sowie materielle Unterstützung. Das bis heute mehrfach novellierte ‚Gesetz zur Flüchtlingshilfe‘ gewährt Flüchtlingen die notwendige materielle Unterstützung, um ihnen ein Mindestmaß an medizinischer Betreuung, Wohnraum sowie Schul- und Berufsausbildung zu garantieren. Der größte Teil dieser Hilfe jedoch konzentriert sich auf materielle Dinge, wohingegen das System der Hilfe im geistigen und psychischen Bereich noch unzureichend ist. Desweiteren weist das Gesetz insofern Grenzen auf, als die Voraussetzungen für den Bezug von finanzieller Unterstützung zur Umschulung oder Berufsausbildung unrealistisch sind. Dennoch weißt es viele Besonderheiten im Vergleich zu Gesetzen auf, die in Südkorea für Einwanderer anderer Staaten Anwendung finden (Verleihung der Staatsbürgerschaft, kostenlose Bildung, finanzielle Unterstützung bei der Anmietung von Wohnraum usw.). Diese Maßnahmen sind vor dem folgenden Hintergrund zu verstehen: Die Tatsache, dass die nordkoreanischen Flüchtlingen sich trotz der Gefahren durch die Feindseligkeit zwischen Nord- und Südkorea für die südkoreanische Gesellschaft entschieden haben, wird stillschweigend als Symbol für die Überlegenheit des Systems der südkoreanischen Gesellschaft verstanden. Unter diesem Aspekt kann das Gesetz zur Unterstützung der nordkoreanischen Flüchtlinge als ein Resultat der Teilung auf der koreanischen Halbinsel angesehen werden.


3. Diskriminierung im Alltag

Nordkoreaner, die sich basierend auf dem ‚Gesetz zur Flüchtlingshilfe‘ in Südkorea ansiedelten und dort leben, erfahren zahlreiche Diskriminierungen im Alltag. Erstens werden sie infolge des Kalten Krieges und politischer Spannungen, welche in und um Korea weiter anhalten, manchmal als ‚innere Feinde Südkoreas‘ betrachtet. Bei Zwischenfällen wie den nordkoreanischen Raketentests oder dem Untergang der Korvette Ch'ŏnan werden sie direkt mit solchen politischen oder militärischen Problemen in Zusammenhang gebracht, müssen Vorwürfe über sich ergehen lassen oder werden als Spione verdächtigt. Zum Zweiten traut man ihnen keine sichere Kenntnis der kapitalistischen Marktwirtschaft zu, was zu Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt führt. Insbesondere die Gruppe der 20 bis 40-Jährigen hat Schwierigkeiten, den gewünschten Arbeitsplatz zu bekommen, und ist deswegen auch nicht in der Lage, sich eine sichere wirtschaftliche Basis zu erarbeiten. Auf dem südkoreanischen Arbeitsmarkt beispielsweise erfahren die Arbeitskräfte aus dem Norden eine schlechtere Behandlung als ihre Kollegen aus Südkorea oder Vertreter der koreanischen Minderheit aus China, obwohl alle koreanischen Muttersprachler sind. Oft werden sie als so genannte Bürger dritter Klasse bezeichnet. Drittens wird im Alltag der von antikommunistischen Ressentiments und konsumorientierten Effektivitätsdenken beherrschten südkoreanischen Gesellschaft sehr stark zwischen Menschen aus dem Süden und solchen aus dem Norden unterschieden. Das erschwert zwischenmenschliche Beziehungen im privaten Bereich enorm. Im Fall der jungen Generation beispielsweise ist es schwer, in der Schule oder im regionalen Umfeld die eigene nordkoreanische Herkunft zu offenbaren. Außerdem existieren im Hinblick auf die persönlichen Beziehungen (Nachbarschaft, Freundschaft, Liebe, Heirat) unsichtbare Grenzen zwischen Süd- und Nordkoreanern. Als 'nicht erkennbare Immigranten', welche die gleiche Sprache sprechen und sich auch äußerlich nicht von den Südkoreanern unterscheiden, werden sie in der kulturellen Hierarchie des Landes mit Schwierigkeiten konfrontiert, die über das Alltägliche hinausgehen. Alle Bürger aus Nordkorea – angefangen bei den Kindern und Jugendlichen bis hin zu den Senioren – sehen trotz großer Anstrengungen, sich in der südkoreanischen Gesellschaft zu verwirklichen und gesellschaftliche Anerkennung zu gewinnen, mit wenig Optimismus in ihre persönliche Zukunft.


4. Nordkoreanische Flüchtlinge, die in Drittländer (re)emigrieren

In letzter Zeit mehren sich die Fälle, in denen einige der in Südkorea lebenden ehemals nordkoreanischen Bürger z.B. in die USA, nach Kanada, Großbritannien oder Deutschland emigrieren. Als Gründe für diese (Re)emigration sind das ‚US-Menschenrechtsgesetz für Nordkorea‘, das 2004 in den USA erlassenen wurde, und die jüngsten Aktivitäten der Untersuchungskommission zu Nordkorea des UN-Menschenrechtsrats zu nennen, sowie die vielfältige Diskriminierung Nordkoreaner in Südkorea, wie bereits oben erläutert. Nordkoreaner, die 'unter Lebensgefahr den Tumen überquerten', versuchen der Diskriminierung in Südkorea zu entgehen und emigrieren aus diesem Grund in alle Welt, wo sie auf ein besseres Leben hoffen. Laut Statistik der Flüchtlingsorganisation den UN stellten in den zehn Jahren von 2004 bis 2013 mehr als 4000 aus Nordkorea stammende Menschen in Nordamerika oder Europa Asylanträge. Vermutlich besitzen die meisten von ihnen einen südkoreanischen Pass.


5. Fazit

Die in Südkorea lebenden Nordkoreaner sind als Menschen, welche sowohl den Sozialismus Nordkoreas als auch den Kapitalismus in Südkorea erlebten, eine Gruppe, deren Bedeutung auch darin liegt, dass sie 'gesellschaftliches Potential' aufweisen. Über die Grenzen ideologischer Feindschaft und politischer Konflikte hinweg befinden sie sich in der Position eines gesellschaftlichen Vermittlers, der zum gegenseitigen Verstehen der Menschen im Süden und Norden sowie zu deren Zusammenschluss beitragen kann. Es ist notwendig, dass sie in der südkoreanischen Gesellschaft größere Aufmerksamkeit bekommen.