02. November 2013
30. Oktober 2013 - Pusan - 30.10.-8.11.2013 WCC Assembly
Ein Mittagessen mit KIM Jin Suk
Laut Tageszeitung Hankyoreh vom 11.11.2011 wurde das Herabsteigen von KIM Jin-Suk vom Kran Nr. 85 von Tausenden von Arbeitern gefeiert: „Kim’s aerial protest was key to a provisional labor-management agreement that reinstates 94 workers and provides compensation for dismissed HHIC workers“. (Mehr zur Vorgeschichte siehe http://www.doam.org/index.php/projekte/menschenrechte/arbeitswelt-in-korea)
Jetzt will ich KIM Jin-Suk wiedersehen und Mitglieder der Gewerkschaft kennen lernen, wenn ich schon in Pusan bin. An diesem Samstag gibt es um 11 Uhr eine Sitzung der Gewerkschaft, aber gegen 13 Uhr können wir uns zum Mittagessen treffen. Vielleicht kommen noch 1 oder 2 Gewerkschafter mit, wie sie meiner Pusan-Guide Jay mitteilt. Eine Stunde dauert die Fahrt mit Bus oder U-Bahn. Der Bus ist bereits überfüllt, als er an der Kyungsung Universität ankommt. Wir gehen zur U-Bahn, steigen aus am Fischmarkt und werden von einem großen Obstmarkt überrascht. Der Fischmarkt ist nur ein paar Schritte entfernt. Der Geruch und die Fische erinnern mich an den Fischmarkt im Hafen von Nakaminato/Japan. Wir suchen das Restaurant, in dem wir uns treffen wollen. KIM Jin Suk ist bereits mit zwei Gewerkschaftern da. Herzliche Begrüßung mit ihr, verhaltener mit den Gewerkschaftern. Sie wissen ja nicht, was sie von einem Pfarrer aus Deutschland zu erwarten haben. So stellt man sich zuerst einander vor. Weitere drei Gewerkschafter kommen noch dazu. Und die Freunde von Gangjeong. Man kennt einander, weil mancher der Gewerkschafter aus Solidarität mit Gangjeong schon dort war und seine Solidarität gezeigt hat.
DO Jin Hae (48), in der Gewerkschaft der Hanjin Heavy Industries (HHIC) die Nr.2
HAN Sang Chul (53)
HWANG Tae Ho (42)
CHU Min Su (39)
SUH Oo Young (41)
Dazu KIM Jin Suk und ihre Mitarbeiterin
HWANG Yi Ra
Und die Freunde aus Gangjeong:
Paco Michelson
Silver, seine Frau, die eigentlich PARK Hee Eun heißt
Jay, die eigentlich LEE Chae Hee heißt
KIM Dong Won, der in Gangjeong auf dem Kran stand….
So sind wir 12 Personen bei diesem Essen.
Die Geschichten von der Hanjin-Gewerkschaft sind vielschichtig. Schon weil im Januar 2012 eine neue, der Firma genehme Gewerkschaft gegründet wurde. Viele aus der alten sind übergelaufen. Die Versprechungen angesichts drohender Arbeitslosigkeit bei hungernder Familie: es ist kein Wunder. Diese neue Gewerkschaft ist aber durchsetzt mit Leuten, die nicht nur für die Firma arbeiten, sondern die ihr auch berichten.
Der erste Arbeiter der durch Selbstmord starb war KIM Chu Ik. Das war schon 2003. Auch er war auf den Kran 85 gestiegen. Aber nach 429 Tagen erhängte er sich. Er ist der erste Märtyrer von Hanjin’s Hand. Die Firma ließ eine shamanistische Zeremonie durchführen, um die „bösen Geister“, die Stimmung unter den Arbeitern, den Protest der Gewerkschafter zu dämpfen oder zu ersticken. Sie änderte auch die Farbe der Arbeitskleidung von blau zu grün.
Zum 10. Jahrestag, am 17. Oktober, gedachten die Gewerkschafter seines Todes auf dem „Platz der Einheit“. Er liegt auf dem Firmengelände. Ein Gedenkstein mit Inschriften ist zu sehen: 3 Namen stehen dort, drei Tote: KIM Chu Ik (2003), KWAK Chae Kyu (2003, Selbstmord) und PARK Chang Su (schon 1991. Ob Tod durch Folter weiß man nicht).
Dann 2012: ein 36jähriger junger Mann, CHOI Kang Seo, verheiratet und 2 Kinder, wurde von der Firma entlassen, nachdem ihm versprochen worden war, dass er nach seiner Erkrankung wieder arbeiten darf. Er sah sich am Ende seines Weges.
Unweit des Gedenkplatzes eine mit Stacheldraht bewehrte Mauer um ein Gehöft: hier lagern die Waffen der militärischen Reserve - damit die Arbeiter im Notfall schneller bereit stehen.
Hier, an diesem Ort, in dieser Werft wurde 1982 die Chonnam gebaut. Keiner, der damals dabei war, glaubt die Geschichte, die die Regierung zum Untergang der Chonnam entwickelt und veröffentlicht hat. „Sie kann nicht stimmen“, „Die Einzelheiten bei der Beschreibung von Schiff und Unfall passen nicht zusammen.“.
Das alles wird mir auf unserem Spaziergang berichtet. „Wir können ja nicht in die Werft, es wird nicht gearbeitet. Aber in den letzten Tagen kamen Aufträge herein und die Arbeit wird wieder aufgenommen.“ Ein kleines Schiff der südkoreanischen Kriegsmarine liegt schon im Hafen für kleinere Reparaturen. Aber auch dort bewegt sich heute nichts.
So wie es das große Vorbild Hanjin vormachte, tun es andere japanische, schwedische und deutsche (?) Firmen ihr nach. Bei einer Adresse in Seoul kann ich nähere Informationen einholen.
Wir klettern den Berg hoch, steil geht es hinauf zwischen den Häusern die am Hang kleben. Einst Wohnungen der Hanjin-Arbeiter, heute kann sich hier jeder einmieten. Nur wenige sind bei Hanjin übrig geblieben: Hanjin hat sein großes Geschäft nach Subic Bay auf den Philippinen verlegte. Arbeit ist dort billiger.
Wir haben einen guten Überblick über den Hafen und die Werft. Immerhin ist Hanjin die größte Werft hier neben Sega, Taeson und kleineren wie Songkan. Der Standplatz von Kran 85 wird mir angezeigt – er ist inzwischen abgebaut. Die Symbolkraft des Krans 85 hatte die Arbeiter geeint. Der Gedenkstein für die Märtyrer ist wohl noch auf Hanjin-Gelände, aber eben etwas abseits, jenseits der Strasse, die am Hanjin-Gelände entlang verläuft, direkt neben dem Waffenlager für die militärische Reserve.
Die Gewerkschafter, die mich bis hierher begleitet haben, freuen sich alle darauf, dass es demnächst wieder Arbeit für sie gibt. Sie vertrauen darauf, dass die Zusagen der Firma auch eingehalten werden. Lange bleiben wir stehen, nehmen die Werft und den Hafen in uns auf, gedenken an die Verstorbenen und hoffen auf eine bessere Zukunft.
Als wir aufbrechen werde ich gefragt, ob ich noch Zeit habe. Um 19 Uhr habe ich einen Termin für ein Abendessen in der Nähe der Kyoung Sung Universität. Dafür muss ich mich spätestens um 18 Uhr auf den Weg machen. Dann haben wir noch zwei Stunden Zeit … Also soll ich doch mitkommen zu einer Gedenkdemonstration für einen andern Arbeiter, der vor zwei Tagen Selbstmord begangenen hat. Ein Arbeiter von Samsung. Erst später wird mir gesagt, ich müsse vielleicht die Demonstrierenden grüßen ...
Unsere kleine Kolonne von zwei Fahrzeugen fährt ein paar Straßenzüge weiter. Direkt vor einer Niederlassung von Samsung bzw. einem Subunternehmen. Groß prangt der bekannte Schriftzug von Samsung an Wand und Fenstern des Gebäudes. Schon ist die Polizei aufgestellt, etwa 50-60 Mann stark. Nur zum Schutz der Firma, des Gebäudes. Die demonstrierenden Arbeiter bleiben unbehelligt. Nach und nach füllt sich der breite Gehweg, auch einfach Passanten reihen sich ein. Man setzt sich auf den Boden, schön in Reih und Glied. Auch wir werden eingereiht. Man kennt sich, man hilft sich, man ist solidarisch.
Diesmal geht es um den viel zu frühen Tod des ach noch so jungen Familienvaters, CHOI Jong Beom. Samsung erlaubt keine Gewerkschaft. Vor 2 Tagen hat sich der junge Mann das Leben genommen. Er stammt aus der Gegend um Chonan. Seine Angehörigen sollen auch hier sein. Reden werden gehalten, die Fäuste gereckt, Slogans gerufen und im Chor beantwortet. Polizeifotografen umkreisen uns, auch welche die sich Notizen machen sind dabei. Eine Rede brauche ich nicht zu halten, aber der Moderator der Sitzdemo, ein Samsung-Mitarbeiter in gehobener Stellung, stellt den Deutschen vor. Klatschen. Dazu muss er zumindest aufstehen und sich verbeugen.
Dann wir es schon Zeit zu gehen. Und wieder die Überraschung: einer der Arbeiter fährt mich mit seinem Auto direkt zur Universität, eine dreiviertel Stunde quer durch Pusan. Der Tag bleibt unvergessen. Immer wieder neue Opfer.