2014 Mainz - Botschaft

Ökumenische Versammlung Mainz, 29.4.-4.5.2014

Mainzer Botschaft der Ökumenischen Versammlung 2014
„Die Zukunft, die wir meinen – Leben statt Zerstörung“

Der seit Jahrzehnten stattfindende ökumenische Prozess für „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ findet einen Ausdruck in einer Reihe Ökumenischer Versammlungen. Durch den jüngsten Aufruf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Busan 2013 zu einem auf sieben Jahre angesetzten „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“ ermutigt, fanden sich über 500 engagierte Menschen aus Österreich, der Schweiz, Deutschland und anderen Ländern (u.a. Ukraine), darunter viele Expertinnen und Experten, in Mainz vom 30. April bis 04. Mai 2014 zusammen. In vielen Workshops, Vorträgen, Open Space-Phasen und Diskussionsforen beschäftigten wir uns mit den aktuellen Problemen unserer kapitalistische Wirtschafts- und Lebensweise. Mit Papst Franziskus sind wir der Meinung: „Diese Wirtschaft tötet.“ Wir suchen eine „Ökonomie des Lebens“.


Aspekte von Gerechtigkeit heute
Menschen sind noch immer den Zwängen der Ungleichheit und des Hungers ausgesetzt, obwohl genug für alle da ist.
Deshalb setzen wir uns ein:
• für eine weltweite solidarische Sicherung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen
• für die Angleichung von Einkommen und Vermögen
• für einen für die heutige und zukünftige Generation gerechten Zugang zu den Ressourcen
• für eine Geldschöpfung in öffentlicher Hand nach demokratisch gefassten Regeln


Aspekte von Frieden heute
Menschen befinden sich in einer zerstörerischen Spirale der Gewalt, wie sie mit sich und anderen umgehen.
Deshalb setzen wir uns ein:
• für einen sofortigen Stopp von Rüstungsexporten
• für einen Militärausstieg in Schritten
• für die Anerkennung von gewaltfreier Kommunikation und ziviler Konfliktbearbeitung als Lebensmaxime


Aspekte der Bewahrung der Schöpfung heute
Die Menschen, die sich als „Krone der Schöpfung“ verstanden haben, sind zur Krone der Erschöpfung der Welt geworden.
Deshalb setzen wir uns ein:
• für die Abkehr vom Wachstumsdogma
• für das Ende der Ausbeutung der Mitwelt (Natur und Mensch)
• für Anerkennung der ökologischen Vielfalt der Kulturen


Darum ist eine große, gemeinsame Transformation not-wendig.
Im Folgenden werden die Aspekte noch weiter ausgeführt.


„Niemand kann zwei Herren dienen…
Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (Mt 6,24)

Wir, als ökumenisch-christliche Basisbewegung, stehen vor einer solchen Entscheidungssituation, die Jesus hier vor 2000 Jahren zum Ausdruck gebracht hat. Die zeitgemäße Übersetzung des aramäischen Wortes Mammon heißt „Kapital“. Der entscheidende Zeitpunkt (Kairos) für eine grundlegende Einsicht zu einem bewussten Handeln ist gekommen. Das aktuelle Zivilisationsmodell steht sozial, ökologisch und ökonomisch grundsätzlich in Frage. Frühe jüdische Propheten, Vertreter anderer Weltreligionen und Jesus von Nazareth traten öffentlich auf – so auch wir, weil Gerechtigkeit, Frieden und Ablassen von der Schöpfungszerstörung Anliegen der Menschen- Gemeinschaft sind.

Vision (via positiva)

Die Ökumene ist ein lebendiger Prozess in der Welt. Sie findet ihren Ausdruck in vielfältigen lokalen, regionalen und internationalen Gruppen. Trotz zunehmender Krisen der letzten 30 Jahre und trotz des Mantras der Alternativlosigkeit, das uns die regierungsamtliche Politik einreden will, arbeiten wir weiter, ermutigt und gestärkt durch die Kraft Gottes.

Die Vision vom Reich Gottes und die Lebensmaximen von Schalom, Buen Vivir, Sangsaeng, Humanitas und Ubuntu geben uns eine Vorstellung von dem, was wir uns für die Welt wünschen.

Skandal (via negativa)

Häufig fehlt uns die Rückendeckung von den offiziellen Kirchenleitungen. Auf internationaler Ebene wird von Versammlung zu Versammlung die Kritik an der bestehenden Situation vertieft und Alternativvorschläge erarbeitet. Trotz allen Wissens spielen sie aber im Alltag leider nur eine untergeordnete Rolle.

Der aktuellen gemeinsamen Sozialinitiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutsche Bischofskonferenz widersprechen wir deshalb in ihrer Akzeptanz eines neoliberalen Sozialstaats mit ökologischem Anstrich. Wir sagen: Unser derzeitiges Wohlstandsmodell und unsere Wirtschaftsordnung sind ethisch und ökologisch nicht akzeptabel.

Das ganze Leben wird von einer kapitalistische Anhäufungs- und Wachstumslogik beherrscht, die zur „Staatsreligion“ geworden ist. Diese beherrscht unseren Alltagsverstand. Zwar erkennen viele, dass wir Nutznießer des Systems sind, aber wir lassen uns immer noch benutzen dieses System bereitwillig oder gedankenlos zu legitimieren.

Wir machen uns dabei eines Verbrechens gegenüber einem Großteil der Menschheit schuldig. Dieses Verbrechen hat viele Gesichter: Ausbeutung und Missbrauch unserer Mitwelt, soziale Gegensätze (wie z.B. einerseits Hungertote, andererseits Lebensmittelvernichtung), Ausgrenzungsmechanismen, Abwehr schutzsuchender Flüchtlinge

(„Festung Europa“), Rüstungsproduktion und bewaffnete Konflikte auch für wirtschaftliches Wachstum, die mit unserem Steuergeld finanziert werden.


Herausforderung und Wandel (via transformativa)


Was können Kirchen tun?

Wie wichtig eine Bündelung der Alternativen gerade auch im kirchlichen Bereich ist, haben uns diese Tage wieder eindrücklich vor Augen geführt. Der Realität eines „Guten Lebens“ von Wenigen, muss die Realität eines „Gutes Zusammenleben“ aller Menschen entgegengestellt werden.

Dafür sollte die Ökumene die Transformation auf sozialer, ökologischer, ökonomischer und politischer Ebene voranbringen. Wir können dabei auf unsere Fülle an biblischen Überlieferungen, aber auch anderer Philosophien und Religionen zurückgreifen. Das tätige Mitgefühl für die Mitmenschen, die Ehrfurcht vor dem Leben, die Bewahrung und Heilung der Schöpfung, die Gewaltfreiheit, das sind Handlungsansätze für uns, die für eine radikale Veränderung des derzeitigen Zivilisationsmodells sorgen können. Die gestörten Beziehungen zwischen Menschen, zwischen Menschen und Natur, zwischen Vergangenheit und Zukunft, sind nicht durch eine Entwicklung zu überwinden, die die Spaltungen vertieft, sondern im gemeinsamen Schaffen einer weltumspannenden Gesellschaft des „Guten Zusammenlebens“.

Kirchengemeinden können Orte der Transformation werden, Werkstätten für soziale, ökologische und gewaltüberwindende neue Wege. Die Pilger auf dem Lernweg der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung brauchen diese Orte der Einkehr und des Ausprobierens. Wir alle sind deshalb zu Aufbauprojekten, die sich am paulinischen Begriff der "oikodome" inspirieren, aufgerufen, denn jeder Hausbau und Wegabschnitt ist nur gemeinsam zu bewältigen. Wir sind zur Zeit auf so einem wichtigen Abschnitt, der via transformativa. Gehen und gestalten wir ihn in der Gesellschaft!


Was kann Zivilgesellschaft tun?

Wir lehnen die derzeitige „marktkonforme Demokratie“ ab, stattdessen wollen wir eine demokratiekonforme Wirtschaftsweise und das Abschaffen jeglicher oligarchischer Strukturen. Wir brauchen Verfassungskonformität der Wirtschaft. In unseren Verfassungen sind Kooperation und Gemeinwohl und nicht Konkurrenz, Ausbeutung und profitorientierte Bereicherung festgeschrieben.

In der solidarischen Ökonomie finden sich die beiden Prinzipien „Kooperation statt Konkurrenz“ und „Sinn statt Gewinn“. Diese erweitert um die Ideen einer gemeinwohlorientierten Ökonomie münden in konkreten politischen Forderungen. Die derzeitige private Geldschöpfung muss in die öffentliche Hand mit demokratisch gefassten Regeln übernommen werden. Jeder Kredit soll an seiner Gemeinwohlorientierung überprüft werden, damit koppelt man die Geldmenge an den Fortschritt einer solidarischen, gemeinwohlorientierten Ökonomie. Das biblische Zins-Verbot und die prophetische Anklage von Nahrungsmittelspekulation sind als konkrete Forderungen zu beachten.

Als weitere konkrete Forderung auf dem Weg ist die Befreiung jedes Menschen auf der Welt aus den Zwängen von Hunger, Krankheit und fehlender Entfaltungsmöglichkeit zu nennen. Daher ist eine solidarische weltweite Grundsicherung umzusetzen. Diese beinhaltet den Zugang zu Nahrungsmittel, Trinkwasser, Wohnraum, Gesundheitsfürsorge, Bildungseinrichtungen und regionaler Mobilität als Gemeingüter für jeden Menschen. Sie wird durch die Gründung lokaler und regionaler, profitfreier Kooperativen ermöglicht, wie bereits weltweite Beispiele zeigen. Eine solche kann auch die Kirchengemeinde vor Ort sein.

Den Illusionen der kapitalistischen Ökonomie wird damit eine konkrete Alternative entgegengestellt. Diese dezentral verwaltete solidarische Ökonomie kann neben der Ernährungssouveränität auch die Energiesouveränität durch erneuerbare und nachhaltige Energien erreichen. Vor allem im Hinblick auf die CO2-Reduzierung auf 2 t pro Person pro Jahr und dem 2 Grad-Ziel sind Energiesuffizienz (verantwortungsvoller Verbrauch) und Energiesubsistenz (Selbsterzeugung) wichtig. Daher ist auch eine industrielle Abrüstung vonnöten.

Wir lehnen die aktuell diskutierten transatlantischen Freihandels- und Investitions-abkommen TTIP (EU-USA) und CETA (EU-Kanada) gerade auch vor diesem Hintergrund ab. Sie müssen durch einen breiten und starken zivilgesellschaftlichen Protest und Lobbyarbeit verhindert werden, da sie all die erreichten und noch angestrebten Standards einer Wirtschaft im Dienst des Lebens aushebeln würden. Wir unterstützen daher die zivilgesellschaftlichen Kampagnen, u.a. des Bündnisses „Unfairhandelbar“, die dazu aufrufen, die Europawahl zur Entscheidung gegen das TTIP und CETA zu nutzen. Wir brauchen Strukturen, die faires Handeln wirklich ermöglichen und die sich an ökologischen, sozialen und friedensfördernden Bedingungen messen lassen müssen.

Wir regen an, dass das Ökumenische Netz in Deutschland einlädt zu einer Strategiekonferenz mit den Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und allen Initiativen, die sich für die große Transformation der Gesellschaft einsetzen.

Entschieden widersprechen wir dem militärischen Engagement der Bundesrepublik Deutschland und aller anderen Länder. Aus dem Teilnehmerkreis der Ökumenischen Versammlung wurde eine Idee einer Arbeitsgruppe eingebracht, die sich aus Fachleuten der zivilen Konfliktbearbeitung, des Entwicklungsdienstes, von Organisationen der alternativen Ökonomie und Ökologie und der Friedensbewegung zusammensetzen soll. Aufgabe wäre ein Konzept für den Militärausstieg - Friedenssicherung und Schutzverantwortung ohne Militär - zu erarbeiten. Dieses wird zur öffentlichen Diskussion gestellt. Die Ächtung der Drohung und Anwendung von militärischer Gewalt in Konflikten ist die Voraussetzung, dass internationale völkerrechtliche Vereinbarungen zum Schutz des Weltklimas und einer fairen Weltwirtschaft endlich zu Stande kommen. Zudem ist es notwendig für die überfällige Beendigung der skandalösen Rüstungsforschung, -produktion und -export.

Die technologische Entwicklung hat einen Stand erreicht, der die umfassende Überwachung ermöglicht. Durch die Enthüllungen bezüglich NSA und anderer Geheimdienste ist bekannt, dass diese Möglichkeiten auch genutzt werden. Wir lehnen jegliche Art der Überwachung ab und fordern den Schutz der Privatsphäre.

Die universale Achtung der Menschenrechte lässt keinen Raum für ihre Einschränkung oder Nichtbeachtung. Menschenrechtsverletzungen müssen benannt, zur Anklage gebracht und bestraft werden, von wem und an wem auch immer sie begangen werden.

Fraglos ist es für das Überleben der Menschheit elementar, dass wir unseren Kindern und Enkeln ermöglichen, das sie das, was sie beim Eintritt in diese Welt mitbringen, weiter entfalten können: ihr urwüchsiges Vertrauen, ihre Neugierde auf die Welt, ihre Freude und Kreativität. Der Wandel von Lebenseinstellungen in unserer Kultur, zu der auch das Bildungswesen gehört, vollzieht sich durch die Begegnung auf Augenhöhe, der Gleichwertigkeit der Meinungen und gegenseitiger Wertschätzung. Damit wird den Kindern der Raum geöffnet, Vielfalt stärker als Chance begreifen zu können. So können sie in achtsamem, vertrauens- und liebevollem Umgang miteinander zu Konsenslösungen kommen. Das ist die kulturelle Voraussetzung für friedlichen, Kriege ausschließenden, Umgang miteinander. So leben wir unsere Allverbundenheit in heilsamer Weise. Wir haben uns auf diesen Weg begeben und bitten dabei um die Unterstützung aller gesellschaftlichen Kräfte, die sich für das Überleben der Menschheit engagieren und bieten allen diesen Kräften unsere Unterstützung an.


Was kann die/der Einzelne tun?

Die Frage des „Genug“ ist eine sehr persönlich zu beantwortende Frage. Deswegen haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Versammlung eine konkrete Selbstverpflichtung verfasst.


Selbstverpflichtung:

Hiermit verpflichte ich mich, __________________________________________________,

zu einem persönlichen Aufbruch. Ich will am sieben Jahre langen Pilgerweg der Ökumene zu Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung teilnehmen.
Ich verpflichte mich daher:
- einen Lebensstil anzustreben, der ein „Gutes Zusammenleben“ aller Menschen ermöglicht
- Gemeingüter wie Wasser, Land und Luft zu schützen.
- mir Wissen anzueignen, dieses mit anderen zu teilen und dadurch Strukturzusammenhänge (wie z.B. der Schere zwischen Arm und Reich und ungleich verteilte Ressourcennutzung) zu erkennen und zu verändern
- zu einer Ökumene des Miteinanders aller Religionen und Weltanschauungen gegen Intoleranz und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
- zu größerer Wertschätzung von allen Formen von Arbeit
- zu einer Willkommenskultur für Schutzsuchende und Flüchtlinge
- zu einer Überprüfung des eigenen Konsumverhaltens und zum Teilen eigener finanzieller Mittel
- zu einer Weitergabe der oben genannten ethischen Lebensmaximen in der eigenen Familie und im engsten Umfeld.

Allein schaffen wir das nicht. Wir brauchen einander und wir brauchen den göttlichen Beistand auf unserem Weg der Transformation.
Mit den Worten von Dorothee Sölle können wir beten:

Nicht du sollst meine probleme lösen
sondern ich deine gott der asylanten
nicht du sollst die hungrigen satt machen
sondern ich soll deine kinder behüten
vor dem terror der banken und militärs
nicht du sollst den flüchtlingen raum geben
sondern ich soll dich aufnehmen
schlecht versteckter gott der elenden

Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt

Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen
des lebens 

Dorothee Sölle, Ich dein baum, in: Den Rhythmus des Lebens spüren, Freiburg i.Br. 2001, 187. 


Diese Ökumenische Versammlung erfordert eine Fortsetzung in 3-4 Jahren zur Überprüfung der eingegangenen Verpflichtungen und Vorhaben.

Mainz, am 4.Mai 2014

Übergeben an den ÖRK zu Händen von Dr. Martin Robra






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