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WATANABE Sadao (1913-1996): Gemalte Stimmen des Himmels

Gemalte Stimmen des Himmels
Ein Blick in die Welt von WATANABE Sadao

Von Reinhilde Freise

Dem Himmel Raum auf der Erde zu geben, das war für Sadao Watanabe ein echtes Herzensanliegen. In einem Gespräch 1987 sagte der christliche Künstler aus Japan: "In dieser verkehrten Welt möchte ich vor allem fähig sein, der Stimme des Himmels besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Ich habe immer danach gestrebt, den tieferen Sinn der Geschichten und Episoden der Bibel darzustellen." Sein erster Eindruck vom christlichen Glauben allerdings war ganz anders, war eher abstoßend unjapanisch, war "batakusai": nach Butter stinkend, wie alles Ausländische genannt wurde. Damals ging er noch in die Grundschule. Seine Lehrerin, eine Nachbarin und Christin, nahm ihn manchmal mit in Gottesdienste, die wie in vielen Gemeinden Japans üblich nicht nur von Gemeindegliedern, sondern auch von Buddhisten und Shintoisten besucht werden, die sich informieren wollen. Mit 17 Jahren ließ sich der junge Sadao sein Name bedeutet "treuer Junge" taufen. Da war noch nicht abzusehen, dass aus ihm einmal ein sehr bekannter christlicher Künstler Japans werden würde. Heute finden Kunstbegeisterte seine Bilder nicht nur in verschiedenen Museen seines Heimatlandes, sondern auch in New York, Chicago, Boston, Cincinnati, Portland, Honolulu, Haifa, London und im Museum des Vatikans.


Fußwaschung, 1980

Sadao Watanabe, der 1913 in Tokyo geboren wurde und 1996 im Alter von 82 Jahren in seiner Heimatstadt verstarb, hat ausschließlich Bilder mit biblischen Inhalten künstlerisch gestaltet und alle in der besonderen Technik der Schablonenmalerei, die in Siebdrucktechnik vervielfältigt wird. Diese Technik hat ihre Wurzeln im Stoffdruck. Watanabe hat sie auf Papier übertragen. Sein Lebenswerk besteht aus über 400 Bildern, die immer das Ergebnis langer "Meditationen von Gottes Wort" waren. Watanabe ließ "die Stimme des Himmels", das Wort, auf sich wirken und "erschaute" die Frohe Botschaft Jesu, "die Liebe, Güte und Menschenfreundlichkeit" mit asiatischem Herzen. Dabei hielt er sich, wie er selbst sagte, "nicht für einen eifrigen Christen", sondern "nur für einen schlichten Gläubigen". Einige Themen aus dem Alten und dem Neuen Testament hat er immer wieder aufgegriffen. Die Arche Noah gestaltete er auf elf verschiedene Weisen, die Heiligen Drei Könige in 15 und das Abendmahl in 20 Variationen. Was war für ihn an den Heiligen Drei Königen so faszinierend? War es der "Aufbruch aus dem Osten, von den Aufgängen der Sonne"? Eine Bezeichnung für Japan ist "Land der aufgehenden Sonne". War es die Sinnsuche oder die Vorliebe der Japaner für "den Weg" Weg des Bogenschießens, Weg des Sitzens, Weg des Blumensteckens oder Weg der Tee-Zeremonie -, die ihn immer wieder inspirierten, dieses Unterwegssein der Sterndeuter aus dem Morgenland bildlich darzustellen? Oder vielleicht wollte er, besonders nach dem Hass und Irrsinn des Zweiten Weltkriegs, in dem Watanabe und seine Frau wie viele andere auch all ihr Hab und Gut verloren hatten, seine Landsleute mit den Heiligen Drei Königen zu dem Kind in der Krippe führen, zu dem Sohn Gottes in seinem unscheinbaren Stall in Bethlehem. In seiner großen Bescheidenheit hat Watanabe solche Fragen nie beantwortet. Er überließ es dem Zuschauer und Meditierenden, was das Bild der Magier und Gottsucher ihm selbst sagen könnte. "Meine Kunst", sagte er, "ist Teil meiner Religion. Ich möchte nicht in erster Linie belehren, sondern Wärme vermitteln. Ich möchte einen Weg finden, meinen christlichen Glauben im japanischen Stil auszudrücken."


Oikoumene

In diesem Sinn war Watanabe selbst ein Suchender, der zusammen mit den Drei Weisen aus dem Morgenland nach Bethlehem aufbrach. Auf Europäer wirken die Bilder völlig japanisch. Mit japanischen Augen gesehen, sind sie auch fremd, nicht nur in ihrem Inhalt, sondern auch in ihrer künstlerischen Gestaltung. Watanabe hat bewusst ein Stück weit verfremdende Elemente eingebaut, um seinen Landsleuten sichtbar zu machen, dass es Neues zu entdecken und zu suchen gilt. Die Kleidung der Heiligen Drei Könige zum Beispiel erinnert Europäer wohl spontan an einen Kimono. Japaner dagegen können in diesen Tunika ähnlichen Mänteln ihr traditionelles Kleidungsstück nicht wiedererkennen. Der Schnitt und die Stoffmuster passen einfach nicht zu einem Kimono. Auch die Gesichter sind nicht japanisch. Die Pferdeköpfe allerdings geben Japanern den Hinweis, dass hier ein Menschenkind in einem Stall geboren worden ist. Nicht Ochs und Esel, sondern Pferde, die als kostbar galten und nur im Militär eingesetzt wurden, übermitteln diese Nachricht.

Die biblische Botschaft in den japanischen Kontext einzupflanzen, war nach Meinung von Kennern seiner Kunst und theologischen Ausrichtung wohl kaum die Zielsetzung dieses Meisters der Schablonenmalerei. Am ehesten wenden sich seine gemalten Stimmen des Himmels an einheimische Christen. Der gesamte Kunststil hingegen entspricht japanischer Ästhetik, in der der Begriff "Wabi" wesentlich ist. "Wabi" bezeichnet den Geschmack für "das Einfache und Ruhige" und eine Vorliebe für eine bestimmte "Armut". Es ist die Armutshaltung eines Franz von Assisi, eine bewusste Annahme von Schlichtheit, Einfachheit und Bescheidenheit, die eine stille Freude hervorruft, weil das Herz sich nicht mit unnötigem Ballast abschleppt.


Barmherziger Samariter

Letztlich ist Wabi die große Zufriedenheit, die den Menschen geschenkt wird, die sich von aller Besessenheit durch materielle Güter und von allem Unwesentlichen befreien und dadurch das Glück finden, "bei sich selbst zu sein". Wabi lässt sich auf Schritt und Tritt in Watanabes Bildern finden: in den wenigen klaren Strichen, die das Wesentliche oft nur andeuten; in der Schlichtheit der Gestalten, die Ehrfurcht und Hingebung ausstrahlen; in dem Fehlen von Luxus und Überschwänglichkeit. Watanabe macht dabei in christlichem Sinn deutlich, dass dieser Weg zu sich selbst nicht aus eigenem Streben gefunden werden kann. Das "Bei Sich Selbst Sein" wird zu einem Geschenk an der Krippe des Gottessohnes. Und die Wanderung beginnt mit den gottsuchenden weisen Königen.

Peter Baumann aus der Schweiz, der Sadao Watanabe und seine Frau Harue Yoshimizu 1987 in Tokyo besuchte, charakterisiert den Künstler als "liebenswürdigen kleinen Mann, mit strahlenden Augen und weißem Haar und vom Alter gezeichneten Gesichtsfalten". Künstlerische Neigung und Begabung zeigte der junge Sadao schon als Kind und trat damit in die Fußstapfen seines Vaters, der besonders die Malerei liebte. Die Familie verlor den Vater, einen Druckereiarbeiter, als Sadao, der zweitgeborene Sohn, zehn Jahre alt war. Er musste schon früh einen Beruf ergreifen. Mit 17 Jahren erlernte er das Färberhandwerk und begeisterte sich bei seiner Arbeit in einer Druckerei für die Schönheit traditioneller japanischer Designs. Er begann selbst Muster zu entwerfen: Gräser, Blumen, Blätter und vieles mehr. Und er schloss sich der japanischen Volkskunstbewegung der 30er Jahre an.


Flucht nach Ägypten

Dann begegnete er Keizuke Serizawa, dem großen japanischen Meister im Schablonendruckverfahren, und wurde von ihm in diese Kunst eingeführt. Mitten im Krieg, im Jahr 1943, hatte er seine erste Ausstellung in Tokyo. Die Beschäftigung mit biblischen Themen und die Geburt seiner ersten Tochter halfen ihm und seiner Frau über die dunklen Zeiten hinweg. Das Wunder der Geburt lehrte ihn erkennen, dass Gott trotz allem mit den Menschen unterwegs ist. Immer tiefer erschloss sich ihm das Geheimnis der Nächstenliebe, die den Feind mit einschließt. Mit dieser Botschaft und seiner Kunst wollte er fortan zum Wiederaufbau seiner Heimat beitragen.

1958 kam mit einer Ausstellung in New York der internationale Durchbruch. Als sich 1978 erstmals christliche Künstler aus verschiedenen asiatischen Ländern trafen, galt Watanabe als einer der großen anregenden Meister, der mit seiner Art viel zu einem warmen Gemeinschaftsgefühl beigetragen hat. Watanabe wurde in der Folge einer der engagiertesten Gründungsmitglieder der "Asian Christian Art Conference". Weitere internationale Ausstellungen, Ehrungen und die Verleihung von Ehrendoktorwürden folgten. Doch Sadao Watanabe lebte weiterhin in der ständigen Einübung der Kunst des "Wabi" und in seiner zuhörenden, schauenden und malenden Gottessuche, ganz in dem Sinn, wie Japaner den Gottesdienst verstehen. Im Gottesdienst feiern sie, dass Gott den Menschen dient und nicht der Mensch Gott. So wie es das Kind in der Krippe als Erwachsener bis ans Kreuz, seiner und unserer Tür zur Auferstehung, vorgelebt hat: "Ich lebe und ihr sollt auch leben."

(Text-Quelle: EMS, "darum" 6/1999 (Dezember), S. 6-10)

WATANABE Sadao