TERAZONO, Dr. Yoshiki - Aufsätze

Professor Dr. Yoshiki TERAZONO,  Fukuoka, Japan

 


 

Vortrag
beim Symposium der OAM in Weimar, 2004

Das Thema: Nachwirkung der DOAM in Japan
0: kita tyousen no rachi kazoku(heute) und tyousen no hitotachi no kyousei renkou (vorkriegszeit)
1: Spinner und seine theologische Schule ”Neu-Theologie” in der Meijizeit
2: Danjō EBINA als der Vertreter der Neu-Theologie
3: Die Korea-Mission und ihre Vollzieher: Danjō EBINA
4: Die Vereinigung Koreas mit Japan durch die japanische Regierung und die bejahende Haltung der Kirchen in Japan
5: Schuld der Kirchen Japans und ihre Aufgabe heute



Die gegenwärtige religiöse Lage Japans

Japan hat sich vom mono-religiösen zum poly-religiösen Staat entwickelt. Es gibt den Buddhismus, den Shintoismus, das Christentum und verschiedene Neu-Religionen. Neben den „Neu"-Religionen gibt es das Phänomen der „neuen” „Neu"-Religion. Über die „Neu"-Religion und über die „neue” „Neu"-Religion möchte ich nun einen kurzen Überblick geben, zumal sie sehr großen Einfluss auf die japanische Gesellschaft ausüben.

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Zunächst möchte ich die von Guru S. ASAHARA geführte „AUM shinrikyō"-Sekte (AUM bedeutet soviel wie: Die Lehre von der Wahrheit) vorstellen. Diese Sekte ist für den Giftgasanschlag vom 30. März 1995 auf die U-Bahn in Tōkyō verantwortlich. Weil sie die Macht im Staat übernehmen wollte, verübte sie Gewalt. Sie beging mehrere Verbrechen und betrog die Schwachen um ihr Geld. Es wäre jedoch zu oberflächlich, die AUM-Sekte einfach als eine verbrecherische Gruppe zu verstehen.

Nach einer Analyse von religionssoziologischen Wissenschaftlern zählt die AUM-Sekte zu der Kategorie der „neuen” „Neu"-Religionen, wie sie von NISHIYAMA Shigeru genannt werden. Mit diesen Worten umschreibt er die religiösen Phänomene in Japan nach den 70er Jahren. Charakteristisches Merkmal ist für ihn die Negation des Rationalismus. Man spricht diesbezüglich auch von „Meta"-Rationalismus oder „Post"-Rationalismus. Die „neuen” „Neu"-Religionen suchen das Über-Rationale, das Post-Rationale und auch das Okkultische.

Entstanden sind die „Neu"-Religionen kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Sie haben sich seither ständig vermehrt. Heute zählen die Sōka-Gakkai, die Risshō-Kōseikai, die Pl-Kyōkai, die Tenri-Kyō usw. dazu, die nach wie vor viele Anhänger haben. Das Heil, das sie versprechen, bedeutet „die Befreiung von der Armut, von Krankheit und vom Streit”. Typische Anhänger der „Neu"-Religionen sind meistens Arbeiter in kleineren Fabriken ohne Gewerkschaften wie auch Kleinhändler und Hausfrauen, die traditionell auf dem Lande entfernt im weiten Umkreis einer Großstadt meist in Einsamkeit und Angst leben.

In der armen und chaotischen Nachkriegszeit hat der Staats-Shintoismus mit seinem Kaiserkult mehr und mehr seine Wirkung verloren, die traditionellen Religionen Buddhismus, Shintoismus und Christentum waren bereits schwach. Demgegenüber konnten sich die „Neu"-Religionen unter der Führung charismatischer Führer, die die weltlichen Belohnungen des Glaubens (d.h. die drei Befreiungen ) stark betonten, rasch vermehren. Die „Neu"-Religionen begleiteten die wirtschaftliche Entwicklung in der Nachkriegszeit. Man könnte sie auch als die Religionen des Reich-Werdens bezeichnen.

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Nachdem sich die wirtschaftliche Lage Japans seit den sechziger Jahren verbessert hatte, erschienen in den siebziger Jahren wieder andere religiöse Phänomene als die „Neu"-Religionen vergangener Zeiten: Die sog. „neuen” „Neu"-Religionen. Diese Religionsformen könnte man als die Religionen der reichen und friedlichen Zeit bezeichnen. Die AUM-Sekte ist eine der typischen Formen der „neuen” „Neu"-Religionen.

Vor einiger Zeit wurde in einer japanischen Zeitung über einen Anhänger der AUM-Sekte berichtet. Er war Schüler eines Gymnasiums in Osaka, das nur die begabtesten Schüler besuchen durften. Er studierte später Medizin an der Universität in Tökyö und wurde Arzt. Schon der Lebenslauf dieses jungen Arztes zeigt, daß er hervorragend begabt ist. Er sagte einmal zu seinem Freund: „Wenn ich so sein werde, wie ich bis jetzt gewesen bin, dann ist die Zukunft meines Lebens bereits jetzt transparent: Dann kommt nur noch der Tod. Wie kann ich den Tod Oberwinden?” Der Grundgedanke des jungen Arztes ist die gleiche Frage, die nicht nur von Anhängern der AUM-Sekte, sondern von vielen anderen jungen Leuten heute gestellt wird.

Eine andere Zeitung berichtete wenig später über das Forschungsprojekt der „Untersuchung und Forschung über die Religion und Bildung” von der Kokugakuin Universität. Bei diesem Forschungsprojekt sind insgesamt 3773 Studenten an 25 Hochschulen und sieben Fach(hoch)schulen befragt worden. Nur 6,7% aller Befragten sind Glaubende, die Mehrzahl von 58,7% haben kein Interesse an (irgendeiner) Religion. Bei den Studierenden, die Interesse für eine Religion zeigen, stehen die neuen religiösen Bewegungen an erster Stelle, gefolgt vom Christentum an zweiter und dem Buddhismus an dritter Stelle. Der Shintoismus schließt sich dem an vierter Stelle an. Obwohl die Mehrheit der Befragten keinerlei Interesse für die Religion zeigt, interessieren sich die Studierenden doch für den Zustand nach dem Tode: 67,1% von ihnen meinen, daß man die Todesstunde im Voraus erleben kann und 52,1% glauben an die Lehre von der Seelenwanderung. Wenn man der Meinung von Professor J. INOUE von der Kokugakuin Universität folgt, ist es verständlich, daß die Religion mit dem Dogma über die Seele (Seelenrettung und Seelenwanderung nach dem Tode usw.), wie sie bei der AUM-Sekte propagiert wird, die Gemüter der jungen Leute fasziniert und bewegt.

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Die AUM-Sekte ist das unerwartete Kind des reich gewordenen Japan nach dem Zweiten Weltkrieg. In der Zeit des Chaos und der Armut nach dem Krieg arbeiteten wir, genauer gesagt unsere Eltern, sehr fleißig, um die Ziele „Frieden und Wohlstand für die Gesellschaft” zu verwirklichen. In gewisser Hinsicht wurde dieses Bestreben unserer Elterngeneration von Erfolg gekrönt. Gerade von dieser friedlichen und reichen Gesellschaft in Japan wurde die AUM-Sekte in unsere Zeit hinein geboren. Mit anderen Worten: Die Problematik unserer heutigen Gesellschaft wird durch die Problematik, die von der AUM-Sekte ins Leben gerufen wurde, lediglich veranschaulicht. Heute sollten in Japan vor allem die Ethik der Verantwortlichkeit, die Erziehung nach Wertmaßstäben und die Frage der Menschlichkeit gründlich überdacht werden. Nichts anderes als die bestehenden Probleme in diesen Bereichen werden - exemplarisch - gerade durch die AUM-Sekte deutlich an die Öffentlichkeit gebracht.

(Quelle: Hamer, "damit wir einander nahe sind“, Egelsbach 1998, S. 96-98)

Der Aufsatz "Die gegenwärtige religiöse Lage Japans" wurde von Herrn Terazono bereits 1989 veröffentlicht. Er gibt einen kleinen Einblick in die Hintergründe der religiösen Welt in Japan.








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