Porträt: Die Roma-Aktivistin Magdalena Guttenberger

Buraku und andere Minderheiten
Quelle:  mission Nr 1 2007

Buraku-Befreiung - "Wissen ist alles": Sinti & Roma


Porträt: Die Roma-Aktivistin Magdalena Guttenberger


Roma-Aktivistin Magdalena Guttenberger

"Wissen ist alles"

von Gisela Köllner

Aus Angst vor Diskriminierung verbergen viele Roma und Sinti ihre Zugehörigkeit zu dieser Minderheit. Magdalena Guttenberger aus Ravensburg, Württemberg, geht offen auf die Nicht-Sinti zu und tritt für eine gerechte Behandlung der Roma und Sinti ein.

In Ravensburg kennen sie viele, und bei jeder Begegnung hat sie ein freundliches Wort oder eine humorvolle Bemerkung parat. Magdalena Guttenbergers Augen schauen manchmal besorgt, und sie benennt ihre bisweilen düsteren Gedanken zur Zukunft dieser Welt. Aber sie vermittelt ihrer Umgebung in der Gegenwart sehr viel Lebensfreude und menschliche Wärme.

Dabei hat die heute 50-Jährige in ihrem Leben manche Barrieren überwinden müssen. Als Jugendliche kam die Romni aus der Slowakei zu Verwandten nach Stuttgart, und neben den Slowakisch-, Ungarisch- und Romanes-Sprachkenntnissen wurde nun Deutsch die Alltagssprache. In einem Urlaub lernte sie ihren Mann Julius, einen deutschen Sinto, kennen, und wieder überwand sie eine Sprachbarriere: Sie lernte die Aussprache des Romanes der Sinti in Deutschland. Heute, nach mehr als dreißig Jahren Ehe, sagt sie: „Ich habe einen prima Mann und gute Kinder“. Und das sind drei Söhne und mehrere Pflegekinder. Ihr Mann und ihre Kinder unterstützen sie in ihrem Engagement. „Als meine Kinder klein waren, habe ich nach der Schule als erstes immer ihre Ranzen ausgeleert, um mitzubekommen, was sie lernen“, erzählt Magdalena Guttenberger. „Heute helfen mir meine Söhne, meine deutschen Texte zu korrigieren.“

Erst als sie Dreißig war, erfuhr sie, weshalb sie nur so wenige Verwandte hat: Ihre Eltern konnten Trauer und Schweigen überwinden und erzählten vom Tod der Großmutter und anderer Verwandter in Arbeits- und Vernichtungslagern der Nazis und vom Überleben des Vaters, das er vor allem auf seine blauen Augen zurückführte. Magdalena Guttenberger begann aufzuschreiben, was sie über die Angehörigen hörte. Und sie fühlte die Ähnlichkeiten im Familienschicksal, wenn manchmal ihre Schwiegermutter, Martha Guttenberger, über ihre Zeit in Auschwitz reden konnte. Auch darüber entstanden Notizen: Diese Nachrichten sollten der Welt erhalten bleiben.


Mahnmal für die deportierten Sinti vor der St. Jodok-Kirche in Ravensburg

Ihr öffentliches Engagement begann nicht geplant und Schritt für Schritt: In den neunziger Jahren, als Bundespräsident Roman Herzog zur Aufarbeitung der Geschichte aufrief, meldete sich eine Lehrerin und bat um Mithilfe bei einem Buch über Ravensburg im Dritten Reich. So fanden die notierten Ereignisse teilweise Eingang in dieses Buch. Und aus der Zusammenarbeit mit den Herausgebern und weiteren engagierten Menschen entstand die Idee für ein Mahnmal in der Stadt. Es ist jenen 29 Ravensburger Bürgern und Bürgerinnen gewidmet, deren Vorfahren als Sinti über Jahrhunderte am Ort ansässig waren und die am 13. März 1943 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet wurden. Die Schwiegermutter von Magdalena Guttenberger ließ sich nur mit Mühe überreden, die Einladung zur Einweihung im Jahr 1999 anzunehmen. Aus Angst vor Nazis im Publikum überklebte sie ihre eintätowierte Nummer aus Auschwitz mit Heftpflaster.

Sechs Überlebende, darunter Martha Guttenberger, kamen 1945 zu Fuß aus den befreiten Konzentrationslagern in ihre Heimat Ravensburg zurück. Eine erste Unterkunft gab es in einer kleinen Barackensiedlung im Stadtteil Ummenwinkel, die sie später mit Gastarbeitern teilten. „So entsteht ein Ghetto“, weiß Magdalena Guttenberger aus Erfahrung. Wer von dort kommt, wird von vornherein stigmatisiert, erhält auf Bewerbungen oft Absagen und findet außerhalb kaum eine Wohnung. Manche Eltern können den Kindern beim Lernen für höhere Bildungsabschlüsse nicht helfen, und einzelne Lehrer empfehlen einem Kind von hier vielleicht manchmal voreilig eine Förderschule. Um aus diesem Kreislauf heraus zu kommen, hält Magdalena Guttenberger Bildung für das wichtigste Gut, das man Menschen für ihren Lebensweg mitgeben kann. „Wissen ist alles“, das ist ihr Leitspruch bis heute.

1984 wurden die heutigen Häuser gebaut, auch die Spielstube für Kinder, wo sie zunächst aushilfsweise, dann fest angestellt bis heute mitarbeitet. Sie liebt diese Arbeit, in Kindern sieht sie die Zukunft, für sie muss möglichst viel getan werden. 2002 gründete sie zusammen mit anderen Engagierten den Verein „Bildung für Sinti & Roma in Ravensburg e.V.“, der die schulische und berufliche Bildung unter jungen Menschen vor allem im Ummenwinkel fördern will. Schulkinder bekommen Hausaufgabenbetreuung und Jugendliche Hilfe bei Bewerbungen um eine Lehrstelle.

Neben allen Aktivitäten als Vereinsmitglied, als katholische Kirchengemeinderätin und ihrem Einsatz für den Ummenwinkel in Gesprächen mit Lokalpolitikern und Schulleitern, ereilte sie eine weitere Aufgabe: Pfarrer Andreas Hoffmann-Richter hatte als Mitarbeiter des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland (EMS) in Japan Solidaritätsarbeit für die dort diskriminierte Bevölkerungsgruppe der Buraku gemacht. Mit dieser Erfahrung und der Bitte der japanischen Partnerkirche, für Sinti und Roma aktiv zu werden, kam er zurück nach Deutschland. Damit begann eine intensive Zusammenarbeit von Magdalena Guttenberger mit „ihrem“ Pfarrer, wie sie ihn nennt. In vielen gemeinsamen Veranstaltungen an Schulen und anderen öffentlichen Orten haben sie seitdem über die Geschichte und die Verfolgung von Sinti und Roma informiert.

Bald danach wurde sie Mitglied im „Arbeitskreis Sinti/Roma und Kirchen“, in dem sich Vertreter und Vertreterinnen der vier Kirchen in Baden-Württemberg regelmäßig mit Mitarbeitenden des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma sowie Engagierten treffen. Durch diesen Kreis entstanden Kontakte zum EMS und der Entschluss, eine Freiwillige aus der EMS-Partnerkirche in Indien, Anita Hebsibah, von September 2002 bis März 2003 im Kindergarten des Ummenwinkel zur Mitarbeit einzuladen. Anita gehört in Indien zur diskriminierten Gruppe der Dalit. „Wir konnten es kaum fassen, dass zum Beispiel die Zahlen in Anitas und meiner Sprache fast identisch sind“, erinnert sich Magdalena Guttenberger voller Freude. Das bestätigt die Theorie, nach der Sinti und Roma vor etwa tausend Jahren aus Indien ausgewandert sind. Auch Vertreter von Buraku-Gemeinden in Japan haben inzwischen den Ummenwinkel besucht.

Zu ihrem Engagement sagt Magdalena Guttenberger: „Ich habe es nicht angestrebt.“ Aber nun, nach all den Jahren, ist es ihr Herzensanliegen, dass alle Bevölkerungsgruppen im Gespräch miteinander bleiben. „Ein anhaltender Dialog ist erforderlich und braucht einen langen Atem.“ Sie ermutigt junge Sinti und Roma, sich diesem Dialog zu stellen, und hofft auf offene Ansprechpartner unter den Nicht-Sinti. Sie möchte ihre Kraft dafür einsetzen, dass es in fünfzig oder hundert Jahren keine Diskriminierung mehr gibt. „Es darf nicht sein, dass ein Sintikind sich dafür entschuldigen muss, wenn ein anderes nicht in die Schule kommt“, sagt sie empört. „In der Mehrheitsbevölkerung muss ich nicht dafür gerade stehen, was mein Nachbar macht! Warum dann bei uns?“ Ihr Anliegen ist, dass jeder für sich selbst steht und angenommen wird. „Man kann nicht alle Sinti und Roma gleichsetzen genauso wenig wie alle Deutschen gleich sind. Wenn ich einen Vortrag halte, dann erzähle ich von mir und meiner Familie und wie wir uns entschieden haben zu leben.“

Oft hält sie Vorträge in Schulen, geht ganz offen auf alle Schüler zu und hat bisher immer erlebt, dass sich die Jugendlichen offen auf Fragen zur deutschen Vergangenheit und ihre Erzählungen über die eigene Familie einlassen: „Ein Lob an die Lehrer, meist sind die Schüler sehr gut vorbereitet.“ Anders sind ihre Erfahrungen vor erwachsenen Zuhörern: „Sie sagen oft nichts oder dass sie damals nichts gewusst hätten.“ Aber sie setzt ihr Engagement fort: „Die Menschen können Gerechtigkeit schaffen auf dieser Welt, auch wenn es schwierig ist, und Gott hilft uns, wenn wir die Verantwortung übernehmen und aktiv werden.“

Gisela Köllner, Mitarbeiterin im Ostasien- und Indien-Verbindungsreferat des Evangelischen Missionswerks in Südwestdeutschland (EMS) und Birte Petersen

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