Perspektivwechsel: Taiwan trotzt dem Virus

Berliner Missionswerk
Quelle: https://www.berliner-missionswerk.de/aktuelles/

Perspektivwechsel: Taiwan trotzt dem Virus

von Barbara Deml, Ostasienreferention des BMW

Als „mutige Frau“ wurde Barbara Deml, Ostasienreferentin des Berliner Missionswerkes, vor drei Wochen von den Partnern der Presbyterian Church of Taiwan (PCT) in Taipeh begrüßt. Auch zu Hause in Deutschland war sie wiederholt vor dieser Fernreise in Corona-Zeiten gewarnt worden. In Taiwan selbst aber verschwand ihr mulmiges Gefühl: Das dortige Gesundheitssystem gehört zu den besten der Welt. Nun graute ihr plötzlich vor dem Rückflug nach Deutschland… Ein Perspektivwechsel. Barbara Deml, Ostasienreferentin des Berliner Missionswerkes, berichtet von ihrer Reise und ihren Erfahrungen in Taiwan.

„Willst Du wirklich nach Taiwan fliegen?“, wurde ich immer wieder gefragt, bevor ich Anfang März zu unseren Partnern aufbrach. Die Reise war lange geplant, Termine und Treffen vereinbart. In Berlin waren zu dieser Zeit sogar Menschen wegen ihres asiatischen Aussehens angegriffen worden. Jemand fragte in den sozialen Netzwerken ernsthaft, ob Essen aus einem chinesischen Restaurant ansteckend sein könne. Zwischen Ignoranz und Hysterie - so habe ich vor nur drei Wochen die Stimmung hierzulande vielerorts erlebt.

Ich selbst hatte zur Reisevorbereitung schon im Januar Mundschutzmasken zu normalen Preisen im Internet bestellt und mich in einer Drogerie reichlich mit Desinfektionsmittel eingedeckt. Was übrig bleibt, so dachte ich, kann ich ja in Taiwan verschenken.

Schon im Flugzeug der taiwanesischen Fluglinie wurden wir auf einen neuen Umgang miteinander eingestimmt: Die gesamte Crew trug Mundschutz und Handschuhe. Während der langen Flugreise gab es immer wieder Tücher und Desinfektionsmittel, um die Hände zu reinigen. Alles geschah auf freundliche und ruhige, selbstverständliche Weise. Viele Fluggäste hatten schon in Frankfurt beim Start einen Mundschutz angelegt und achteten auf körperliche Distanz zu den Nachbarn.

Angekommen in Taipei, musste ich mehrere Formulare ausfüllen, die über meine vorherigen Aufenthaltsorte und weiteren Pläne Auskunft gaben. Und natürlich: Fieber messen. Das Fieberthermometer - freundlich aber bestimmt an die Stirn gehalten in jedem Museum, Tempel und vor einem Gottesdienst und vor allem beim Betreten des Hotels - wurde zu meinem ständigen Begleiter. Neben dem Fieberthermometer durfte auch die Händedesinfektion nicht fehlen. Schnell gewöhnte ich mich an diese Rituale. Sie gaben mir Sicherheit und zeigten mir: Es gibt Regeln, die zum Schutz aller befolgt werden. An keiner Stelle habe ich erlebt, dass sich jemand beschwerte.

Weder Desinfektionsmittel noch Atemschutzmasken schienen wirklich knapp zu sein.

Als ich beim ersten Treffen von unseren Partnern bei der Presbyterian Church of Taiwan (PCT) als „mutige“ Frau begrüßt wurde, fühlte ich mich schon gar nicht mehr fremd und mutig, sondern als Teil einer Gesellschaft, die gemeinsam planmäßig handelt.

Das Gesundheitssystem von Taiwan gehört zu den besten der Welt. Die immer wieder reformierte nationale Krankenversicherung bietet den rund 23 Millionen Bürgerinnen und Bürgern Taiwans eine gute allgemeine Gesundheitsversorgung unabhängig von Alter, finanziellen Möglichkeiten oder Beschäftigungsstatus. Obwohl Taiwan selbst nicht Mitglied in der WHO ist, erfüllt das Land damit die Forderungen, die die WHO an ihre Mitgliedsstaaten stellt und gilt unter Experten als Vorbild. Leider ist darüber in den westlichen Medien nicht so viel bekannt.

Die Kombination aus diesem Gesundheitssystem und aus einer Gesellschaft, die ohne Angst vor Verlust des Individualismus dem Virus trotzt und sich dazu auch modernster Technik bedient, hat dazu geführt, dass Taiwan die COVID 19-Pandemie verhältnismäßig schnell eindämmen konnte.

Während meiner Dienstreise verfolgte ich die Entwicklung der COVID 19-Infektionen in Europa und besonders in Deutschland. Und auf die besorgten Anfragen von zu Hause, ob ich denn ‚noch gesund’ sei, konnte ich nur mit Erstaunen reagieren. Ich war doch in einem Land, wo die Infektionsraten gleichbleibend niedrig blieben!

In Taiwan bewegte ich mich an unterschiedlichen Orten des Landes: von Taipei, wo die Leitung unserer Partnerkirche PCT sitzt, ging es in den Süden nach Kaohsiung, wo ich unsere Freiwillige im Seamen’s und Fishermen’s Center besuchte und von dort noch nach Pingtung zu zwei Gemeinden taiwanesischer Ureinwohner. Trotz meines europäischen Aussehens wurde ich nirgends ausgegrenzt oder misstrauisch beäugt. Im Gegenteil, alle Menschen, mit denen ich zu tun hatte, behandelten mich mit äußerster Freundlichkeit. Wenn ich dann an die AsiatInnen dachte, die in Berlin wegen ihres Aussehens angegriffen worden waren, schämte ich mich zutiefst.

In den letzten Tagen vor meiner Rückreise traten in Deutschland immer schneller neue Bestimmungen in Kraft. Jeden Tag gab es zudem Änderungen im Flugplan. Mit Blick auf die steigende Infektionsrate in Berlin erfüllte mich die Aussicht auf die drei öffentlichen Verkehrsmittel, die ich auf dem Weg zur Arbeit immer nutzen muss, mit Sorge.

Während ich noch darüber nachdachte, erzählte mir unsere Freiwillige, dass sie nun bis April nicht mehr mit den Kindern einer Einrichtung der PCT zusammenkommen darf, weil sie mit mir Kontakt hatte. Und aus Berlin kam die Nachricht an mich, dass es doch gut wäre, wenn ich die ersten 14 Tage nach meiner Rückkehr erst einmal von zuhause aus arbeiten würde...

Innerhalb von nur zwei Wochen hatte sich meine Perspektive komplett verändert. Nicht Taiwan war das gefährliche Land, ich war nicht mutig, weil ich dort war – sondern ich musste meinen Mut zusammennehmen, um nach Deutschland zurückzukehren. Und für die Daheimgebliebenen war ich immer noch die, von der Gefahr ausging. Was für eine absurde Situation!“

Am Flughafen in Frankfurt war mein erster Gedanke: wo bleibt das Fieberthermometer, warum trägt hier niemand Atemschutzmasken und wieso traut sich mein Nachbar am Kofferlaufband so dicht an mich heran? Ich fühlte mich verunsichert.

Das Virus lehrt uns fürchten, es lehrt uns, bewährte Dinge in Frage zu stellen und unsere Deutungen zu überprüfen. Es ist global und ökumenisch. Es macht nicht Halt vor mir oder dir. Nur gemeinsam und solidarisch – ökumenisch – können wir es besiegen.

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Berliner Missionswerk

Auf einen Blick

Das Berliner Missionswerk pflegt u.a. Beziehungen zu Christen und Kirchen in China, Japan, Korea und Taiwan. Mit der Presbyterianischen Kirche in der Republik Korea (PROK) wie auch mit der Presbyterianischen Kirche in Taiwan (PCT) bestehen allgemeine Partnerschaftsvereinbarungen, die einem Informations-und Personalaustausch, gegenseitige Besuche und Unterstützung bestimmter Projekte vorsehen. Mit der Vereinigten Kirche Christi in Japan sowie der Kirche Christi in China gibt es keine vertragliche Regelung der Beziehungen, auch wenn diese schon über Jahre vielfältig bestehen. Schon 1882 begann die Berliner Missionsgesellschaft die „China-Mission". Nach der Integration der Deutschen Ostasienmission in das Berliner Missionswerk 1972 wurden die Kontakte nach Japan vertieft, zu Korea und Taiwan neu aufgenommen und nach China, das sich erst 1980 wieder öffnete, allmählich wieder aufgebaut.

 

 

Wichtige Jahreszahlen

4. Juni 1884
Gründung des Allgemeinen Evangelisch-Protestantischen Missionsvereins in Weimar

1929
Offizielle Umbenennung in Ostasienmission (OAM). Dieser Name hatte schon seit 1921 als Untertitel Verwendung gefunden. Das sollte aber nicht bedeuten, dass der Verein für alle Zeiten sich auf Mission in Ostasien beschränken wollte...

1945
Trennung des schweizerischen Zweiges und Gründung der Schweizerischen Ostasien-Mission (SOAM)

1952
Gründung der Deutschen Ostasienmission (DOAM)

1972
Gründung des Evang. Missionswerkes in Südwestdeutschland EMS

1973
Gründung des Berliner Missionswerks BMW

1992
Vereinigung von OAM (im Bereich der ehemaligen DDR) und DOAM (im Bereich der ehemaligen BRD) zur Deutschen Ostasienmission DOAM.

2007
Letzte Satzungänderung