09. September 2012
Sonntag, 9. September 2012
Einer alten Freundin wieder begegnet
Sonntag Vormittag ist reserviert für den Gottesdienst. Auch in Beijing. Hier wird die „Lobby“ der Deutschen Botschaft zur Kirche. Weil die chinesische Regierung keinen andern Raum zur Verfügung stellen kann. Sie, die Freundin, könne mich nicht im Hotel abholen, aber da sei doch Pfr. Dr. W. Metz auch gerade im Hotel, der noch dazu den Gottesdienst halten wird, der könne mich im Taxi mitnehmen. Wir treffen uns also kurz nach 9 Uhr in der Botschaft. Aber Ruth Hidaka hat gar keine Zeit: sie muss helfen, den Raum zu einem Gottesdienstraum umzufunktionieren. Der ortsansässige Pfarrer, Dr. Karl-Heinz Schell, ist seit Freitag bei der deutschen Gemeinde in Changchun. Pfr. Metz wird dem Gottesdienst, wie er sagt, ein klein wenig bayrisch-lutherische Färbung geben. Auch die Abendmahlsfeier wird einen eigenen Charakter haben. Ruth Hidaka wird aber alle Änderungen zuverlässig vorbereiten, wird sie doch dabei von Gemeindegliedern tatkräftig unterstützt.Wer an den Begegnungs- und Studientagungen der DOAM teilgenommen hat, erinnert sich sicher gerne an Ruth Hidaka aus dem Westerwald, die mit ihren Liedern uns, die anderen Teilnehmer, einfach mitgerissen hat. Sie lebt seit nun mehr zwei Jahren in Beijing. Sie ist Mitarbeiterin in der deutschen Gemeinde, hilft, wo immer Hilfe benötigt wird, und ist Missionarin aus Japan. Das war sie auch im Westerwald und darüber hinaus. Nun ist die Großstadt Beijing ihr Arbeitsfeld. Die Arbeit braucht sie sich nicht zu suchen, sie kommt zu ihr. Und sie hat trotz allem immer und für jeden ein Lächeln übrig. Deutsch zu sprechen (und zu denken) fällt ihr immer noch leichter als Chinesisch; aber das regelt sich von selbst, je länger sie in dieser Stadt leben wird.
Nach dem Gottesdienst muss aufgeräumt werden: am nächsten Morgen, wenn die Botschaft ihre Türen wieder öffnet, soll nichts mehr darauf hinweisen, dass sich hier Tags zuvor etwa 50 Erwachsene und Kinder zum Gottesdienst versammelt hatten. Es ist beglückend zu erleben, dass die deutsche Regierung der kleinen örtlichen Gemeinde diesen Freiraum gewährt. – Aber dann endlich gehen wir beide zum Mittagessen in einem Restaurant in der Nähe der Botschaft, in dem Speisen nach Yunnan-Rezepten gereicht werden. Erst jetzt erfahre ich, dass es in Yunnan ein großes Erdbeben mit der Stärke 5,7 gegeben habe, über 70 Tote zu beklagen seien und über 700.000 Menschen obdachlos wurden. Ich kann seit Tagen kein englisches Fernsehen sehen und keine englischsprachige Zeitung lesen. Ich versuche später, übers Internet mehr herauszufinden, ist aber sinnlos: das Internet öffnet mit keine einzige Seite.
In diesem Jahr war Ruth auch in Fukushima, dem Ort der Dreifach-Katastrophe am 11.3.2011. Sie hat dort für kurze Zeit als Freiwillige (volunteer) mitgearbeitet und so von den Nöten und Belastungen der Menschen ein Jahr danach erfahren. Jetzt plant sie mit einer kleinen Gruppe aus der deutschen Gemeinde für ein paar Tage nach Fukushima zu fliegen, um dort als Freiwillige mitzuhelfen. Berichte lesen ist wichtig, Betroffenheit erwacht, wenn man einmal von morgens bis abends mit Überlebenden und anderen Freiwilligen zusammen gearbeitet hat. Sie wird das sicher hinkriegen. – So tauschen wir unsere Erfahrungen aus. Ein anderes belastendes Thema ist die derzeit schwierige Situation der Partnerkirche Kyodan, an der Zusammenarbeit mit ihr ist uns viel gelegen: Der Streit um Formalien bei der Abendmahlsfeier, der zum Ausschluss eines Pfarrers aus der Kirche geführt hat; die Probleme des theol. Seminars des Kyodan, das nur ganz wenige Interessenten findet; Kommunikationsschwierigkeiten bei der Katastrophenhilfe für Nordost-Japan. Dazu kommt nun noch, dass auch im Nationalen Christenrat in Japan, der bisher ein sehr verlässlicher internationaler Partner war, neue Leitungsgremien gewählt wurden, die sich erst in zwischenkirchliche Beziehungen eingewöhnen müssen. Aber auch Erfreuliches stellen wir fest, vor allem wenn wir an die örtlichen Möglichkeiten denken, an die vielen Aktionen gegen den aufkommenden Nationalismus, an die Betreuung der ausländischen Arbeitnehmer, an die vielen Einsätze für die sog. Trostfrauen des jap. Militärs im 2. Weltkrieg oder zugunsten der Erhaltung der Verfassung, vor allem des Artikels 9, in dem Japan sich verpflichtet, nie wieder Krieg zu führen.
Ein weiteres Thema, das uns beide berührt, hängt mit Qingdao zusammen, der Stadt, in der Ernst Faber und Richard Wilhelm gewirkt, wo sie Krankenhäuser und Schulen gegründet haben, an die man sich noch immer gern erinnert. Das Interesse der deutschen Gemeinde Beijing richtet sich vor allem auf die Deutschen und die deutsche Geschichte in Beijing, meine Interessen gehen vornehmlich zu den chinesischen Gemeinden. Aber in der Christuskirche in Qingdao treffen beide Interesen aufeinander: sie wurde vom deutschen Kaiser finanziert und diente den Deutschen vor dem 1. Weltkrieg als Gotteshaus. Nach der Verfremdung durch die Kulturrevolution wurde sie als erste Kirche in Qingdao wieder an die chinesische Gemeinde zurückgegeben. Nun können im Jahr auch mehrere Gottesdienste in deutscher Sprache dort gefeiert werden – und gelegentlich, bei besonderen Gelegenheiten, auch ein gemeinsamer Gottesdienst mit der chinesischen Gemeinde. Am 23. September wird der Gottesdienst in Qingdao gemeinsam von den beiden Gemeinden in Qingdao und Beijing gefeiert. Karl-Heinz Schell wird ihn halten, Ruth Hidaka wird dabei sein. Fehlen wird allerdings wohl Pfr. DONG, der nach schwerer Erkrankung vor wenigen Wochen wenigstens aus dem Krankenhaus entlassen sein wird. Nachdem Ärzte und Angehörige fast alle Hoffnung aufgegeben hatten, gab es doch eine Wende zur Genesung. Wir freuen uns darüber und sind von Herzen dankbar. Denn er zeigte nicht nur viel Verständnis, sondern setzt sich immer wieder für die kleine deutsche Gemeinde in Qingdao ein.
Am kommenden Dienstagabend werden wir uns wieder treffen zu einem Gespräch mit einer indonesischen Ehefrau eines chinesischen Pfarrers in Qingdao, die derzeit in Beijing studiert und die ihrer Schwester in Indonesien helfen will, als Missionarin nach Japan zu gehen. Sie sucht Hilfe bei der DOAM, ich suche Hilfe bei Ruth Hidaka. Mission kennt auch heute keine Grenzen.