Elsbeth Strohm: Predigt von Thomas Hofer
Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer aus Braunschweig hielt die Predigt über den bekannten Paulus-Text: 2. Korinther 11, 18.23-30
18
Da viele sich rühmen nach dem Fleisch, will ich mich auch rühmen.
23
Sie sind Diener Christi – ich rede töricht: ich bin's weit mehr! Ich habe mehr gearbeitet, ich bin öfter gefangen gewesen, ich habe mehr Schläge erlitten, ich bin oft in Todesnöten gewesen.
24
Von den Juden habe ich fünfmal erhalten vierzig Geißelhiebe weniger einen;
25
ich bin dreimal mit Stöcken geschlagen, einmal gesteinigt worden; dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf dem tiefen Meer.
26
Ich bin oft gereist, ich bin in Gefahr gewesen durch Flüsse, in Gefahr unter Räubern, in Gefahr unter Juden, in Gefahr unter Heiden, in Gefahr in Städten, in Gefahr in Wüsten, in Gefahr auf dem Meer, in Gefahr unter falschen Brüdern;
27
in Mühe und Arbeit, in viel Wachen, in Hunger und Durst, in viel Fasten, in Frost und Blöße;
28
und außer all dem noch das, was täglich auf mich einstürmt, und die Sorge für alle Gemeinden.
29
Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach? Wer wird zu Fall gebracht, und ich brenne nicht?
30
Wenn ich mich denn rühmen soll, will ich mich meiner Schwachheit rühmen.
Predigt
Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer, Evang. Landeskirche in Braunschweig
Anlässlich des Symposiums zum 90. Geburtstag von Elsbeth Strohm
Am 12. Februar 2012 auf dem Schwanberg bei Würzburg
Predigttext 2. Korinther 11, 18. 23-30 (siehe oben)
In einer Gesellschaft, in der man stark sein und sich behaupten muss, ist es nicht so einfach zu seinen Schwächen zu stehen, ja aus Schwächen vielleicht sogar eine Stärke zu machen.
In einer Jahreszeit, wo es in vielen Gegenden Deutschlands närrisch zugeht, wird ein Wort des Paulus aus einer Narrenrede zu einer wirklichen Herausforderung – denn es geht um uns und unseren Glauben und wie wir ihn im Alltag leben.
Haben sie schon einmal so richtig angegeben, mit ihren Fähigkeiten geprahlt, dann muss uns diese Rede des Paulus mehr als merkwürdig vorkommen. Es ist ja nicht gerade schick, mit seinen Schwächen anzugeben, wenn es heute doch in allen gesellschaftlichen Bereichen darauf ankommt, sich von der besten Seite zu präsentieren, seine Stärken hervorzuheben, sein Können anzupreisen. Einen „Tränenbrief" in die Welt zu schicken und auf Gehör zu hoffen, das ist mehr als gewagt. Ein Narr, der sich auf so eine Stelle bewerben wollte, eine Beförderung erhoffen, von seiner Bank einen Kredit erbitten würde. Nein, ins richtige Leben passt ein solcher Gruß nun wirklich nicht.
Wir kennen Paulus ja ein wenig aus seinen unterschiedlichen Briefen und wissen, dass er sich sehr genau überlegt, wen er vor sich hat, wen er ansprechen will und mit welchen Mitteln er sein Ziel verfolgt. Er muss bei den Korinthern Gehör finden, sie mit seinen Argumenten überraschen und da wählt er hier sehr bewusst das Narrengewand. Wo andere sich ihrer geistlichen Fähigkeiten rühmen, da scheut Paulus sich nicht, sie mit einer schier närrischen Rede herauszufordern. Auf alle Fälle haben sie ihn angehört, vermutlich einige recht verärgert, denn Paulus durchkreuzt ihre Ansichten und Absichten, er kommt ihnen nicht mit seinen Ruhmestaten, sondern mit einer Theologie des Kreuzes in die Quere.
Er lebt ihnen keinen triumphalen Glauben vor, sondern einen sehr alltagsfähigen, bodenständigen, denn hier im Alltag nah am Boden und bei den Menschen muss sich jeder Glaube bewähren. Paulus kann mit seiner Schwäche prahlen, weil er auf Gott hört, weil er hört, was Gott zu ihm sagt. Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft. Weil Paulus diesem Wort vertraut, kann er von seinen Schwächen öffentlich reden und so sich zum Narren machen.
Wenn wir in die Bibel hinein schauen, dann erleben wir häufiger solche Antitypen: Johannes der sich von Heuschrecken ernährt und Wege bereitet. Von Christus ganz zu schweigen.
Oder eben Paulus, der sich trotz seiner hohen Intelligenz und Bildung zum Narren macht. Antitypen, die mit ihrem Glauben die Welt veränderten, etwas in Gang setzten, aber einen hohen Preis dafür zahlen mussten. Menschen, denen die Gottesliebe wichtiger war, als das scheinbare Lob, die Zustimmung der Menschen.
Was für ein Predigttext für den heutigen Tag. Der Herr hat es gut gefügt.
Sie werden sich vielleicht wundern, warum heute ein Braunschweiger bei Ihnen predigt. Danke, dass mir diese Ehre zuteil wird. In Ihrem Hause findet ein Japan-Symposium statt. Nicht ohne Grund – eine Missionarin, auch Oblatin Ihrer Gemeinschaft, Elsbeth Strohm, die im Auftrag der Braunschweiger Landeskirche in Japan gearbeitet hat, wird mit diesem Symposium zu ihrem 90. Geburtstag geehrt. Darum sind viele Japanerinnen und Japaner und viele Japan-Freunde bei Ihnen eingekehrt. Und unsere Jubilarin, Verzeihung Frau Strohm, ist so ein Antityp im guten Sinne. Wir brauchen nur in das Leben von Elsbeth Strohm, für das wir als Braunschweiger Landeskirche Gott sehr dankbar sind, zu schauen. Dafür habe ich in alten Akten gekramt. Zitat: „Wie ein großes Wunder kommt mir jetzt rückblickend die ganze Arbeit in Osaka vor. Als ich noch drin stand, war es ein Kampf." Kein Kirchenkampf, das wäre überzogen und die falsche Terminologie. Aber Frau Strohm, das möchte ich heute sagen, Sie haben einen guten Kampf gekämpft und Sie haben Glauben gehalten.
Selber haben Sie es so gesagt: „Es war nicht mein Weg nach Osaka, es war Gottes Weg mit mir für die lutherische Kirche dort in Japan. Und Gott hat da in zwei Jahrzehnten ein Ökumenisch-diakonisches Werk entstehen lassen." Weil Ihnen die Gottesliebe wichtiger war als das vermeintliche Lob. Da kann eine Verabschiedung auch schon mal 30 Jahre später stattfinden.
Wir alle, wirklich ein jeder von uns erlebt ja seine eigenen ganz persönlichen Schwächen. Die Schattenseiten, die ihn bedrücken. Die Niederlagen, die sich wie schmerzhafte Narben in der Biografie niedergeschlagen haben. Die Verlusterfahrungen, die dazu zwingen, sich einer veränderten Lebenssituation zu stellen. Kein Leben verläuft einfach nur erfolgreich und glatt, immer nur auf der Überholspur des Lebens. Und weil das unsere Realität ist, darum müssen wir uns fragen, wie wir damit umgehen. Ja wir werden gefragt, wie wir damit als Christen leben und welches Zeugnis unseres Glaubens wir gerade auch in solchen Lebensphasen und Lebenssituationen ablegen.
Überlegen wir uns eigentlich genug, wie wir Christen unsere Werte, auf die wir uns ja gern berufen, leben, und was das eigentlich für Werte sind, wenn immer wieder unser eigener Glaube und der Glaube anderer lächerlich gemacht wird? Was sagen wir Christen denn noch, wenn Jesus in Filmen oder in der Kunst mehr als zweideutig dargestellt wird? Wir selbst geben doch dadurch, dass wir jenseits der Aufklärung leben, uns scheinbar alles egal ist und jeder machen darf was er will, die Vorlage zur solchen Entwicklung. Stürzen über uns Dächer ein oder kommen Menschen durch Natur- oder Reaktorunfälle ums Leben oder werden auf Dauer verstrahlt, dann ist auf einmal Kirche und Religion gefragt, dann wünschen wir einen Rahmen für unsere sprachlose Trauer.. Doch wie leben wir selbst alltagfähig unseren Glauben, die Werte die sich auf ihn gründen.
Kein Mensch verflucht heute mehr Gott. Das würde ja noch von einer Auseinandersetzung mit Gott zeugen. Nein, es ist viel schlimmer. Gott ist uns gleichgültig geworden, kein Thema mehr für die Fragen und Herausforderungen des Alltags. Das aber hat natürlich Konsequenzen für das Leben und Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Gott wird dem modernen Menschen beliebig, denn er wird dann hervorgeholt, wenn er ihn einmal an einer der Schwellen in seinem Leben braucht. Aber immerhin, wenn das schon nicht von einem verwurzelten Glauben zeugt, so doch, dass Gott noch nicht ganz vergessen ist. Darum werden wir auch die Amtshandlungen an den Lebensübergängen sehr ernst nehmen.
Wenn Paulus es wagt, sich zum Narren zu machen, um in seiner Predigt nicht nur bis zu den Ohren sondern auch bis zum Verstand und zum Herzen seiner Hörer zu kommen, so sind wir nun gefragt, was können wir denn tun, um als Christen heute gehört zu werden.
Es ist überhaupt eine Anfrage an alle Religionen und Konfessionen, was wir geistig und geistlich noch in das öffentliche Leben einzubringen haben. Wir jedenfalls sollten dem Frieden dienen und nicht neue Konflikte schüren. So nehmen wir den Dienst des Glaubens in der Welt wahr, so erst können wir überzeugen, nicht dadurch, dass wir eigentlich und gelegentlich religiös sind und uns der Glaube ansonsten gleichgültig ist. Schauen wir noch einmal auf das Leben und Werk von Elsbeth Strohm. Da können wir sehen, was wir geistig und geistlich ins öffentliche Leben einzubringen haben. Elsbeth Strohm schreibt: „Die Arbeit hier in Osaka ist 1964 begonnen worden. Der allererste Anfang war mit kleinsten Kindern. Nicht, weil mir das besonders leicht gefallen wäre, sondern weil ich darum gebeten worden war. Dieser Anfang geschah in meinem Haus, mit meinem Geld. Andere Mittel, andere Räume standen uns damals nicht zur Verfügung. Ich arbeitete zwar als Missionarin der Ev.-luth. Kirche Japans, aber hier im Viertel war ich zunächst allein. Von 1970 an entstand dann eine ökumenische Gruppe hier in diesem Viertel. Zur Ökumene gehören heute, so schreibt Elsbeth Strohm 1982: Ein deutscher Franziskaner, japanische Vinzentinerinnen, spanische Schwestern, ein Jesuit, Laienbrüder und –schwestern der Pariser Mission und der Pariser Lumpensammlermission, ein japanischer Pastor der Vereinigten evangelischen Kirchen Japans, Pastor Shigeno und ich von der Japanisch-evangelischen Kirche in Japan. Innerhalb dieser Ökumene haben die Lutheraner folgende Arbeitsgebiete: Eine Tagesstätte für Kleinstkinder im Alter von eins bis drei Jahren. Schulkindgruppen. Programme für Jugendliche. Mütterkreis. Sonntagsschule. Gottesdienst. Bibelstunde. Alkoholikerfürsorge. Seminare. Beratung. Spieltherapie. Töpferstuben mit Brennofen. Kaffeestube. Bücherei und in Zusammenarbeit mit der Ökumene ein ausgedehntes Winterprogramm besonders für die Obdachlosen, für die Hungernden, für die Frierenden und die Kranken."
Das war der Grundstein für eine Gottesgeschichte. Auf Grund dessen ist „Kibo no Ie" zu einem Haus der Freude und der Hoffnung geworden. Auch dafür sind wir Gott dankbar.
In meinem Dienst erfahre ich immer wieder, dass wir Gehör finden, nicht durch närrische Reden, aber indem wir Position beziehen, indem deutlich wird, dass wir zu unserem Glauben, zu unserer Kirche stehen. Ich sehe oftmals erstaunte Gesichter, wenn ich von unserer Japanarbeit berichte, was da alles möglich war und heutzutage möglich ist.
Und ich sehe in Deutschland viele Menschen, die andere besuchen, ohne dafür eine Rechnung zu verlangen. Die sich um andere mühen, ohne sich dafür zu rühmen. Aber vielleicht macht uns ja gerade das heute schon wieder zu Narren, in einer Gesellschaft, in der jeder sich selbst der Nächste ist.
Ich glaube, dass, wenn wir Paulus recht verstehen, Christ sein immer eine Art Sonder-existenz ist, nicht von Mehrheiten bestimmt, sondern von einer Minderheit, die ihren Glauben lebt, auch wenn sie sich damit manchmal zum Narren macht. Aber gerade so wird man auch sie wahrnehmen. Die christlichen Kirchen, die westliche Welt hat also überhaupt gar keinen Grund, sich über andere zu erheben, zu meinen, besser als andere zu sein. Zunächst einmal müsste unser Leben und Zusammenleben ja etwas davon aufzeigen, wie unser Glaube in ganz konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen aufgenommen wird – bis hin zum Umgang mit Fremdheit und Andersartigkeit, die wir in anderen Religionen und Kulturen wahrnehmen. Und da bleibt noch viel zu tun für uns, da bleibt noch viel zu tun für unsere Kirchen hier in Deutschland und in Japan.
Lassen wir uns ermutigen, denn auch zu uns wird gesagt: Du brauchst nicht mehr als meine Gnade. Je schwächer du bist, desto stärker erweist sich an dir meine Kraft.