Reisebericht Oktober 2002

Aus einem Reisebericht vom Oktober 2002

Lutz Drescher  

Hilfreich war es auf dieser Reise ganz unterschiedlichen Menschen auf allen Ebenen zu begegnen, angefangen von einfachen Gemeindegliedern in einem Hauskreis bis hin zu den früheren und heutigen PräsidentInnen des China Christian Council (CCC).

Ein Wochenende verbrachten wir mit einer Gemeinde in Beihai in der Provinz Guangxi, einem Ort der trotz seiner 1,2 Millionen Einwohner in China als eine "Kleinstadt" gilt. Dass wir mit dem erst im Juni angeschafften Kleinbus der Gemeinde abgeholt wurden ist ein Hinweis darauf, dass auch in dieser erst 1992 geöffneten Provinz der Lebensstandard steigt. Nötig ist dieser Kleinbus, denn Pfarrer Zhang versorgt auch eine Reihe von kleineren Gemeinden und Außenstationen im Umland. Wir besuchten eine erst vor kurzem fertig gestellte Kirche in einem Dorf und sind dort einer Ärztin und einer Evangelistin begegnet, die liebevoll und weitgehend ehrenamtlich für diese ca. 70 Mitglieder umfassenden Gemeinde da sind.

Bewegend dann der Gottesdienst am nächsten Tag, bei dem ich das aus China stammende Gesangbuchlied "Auf und macht die Herzen weit" (454) einmal im Original hören und mitsummen konnte. In der sehr lebendigen und mit vielen anschaulichen Beispielen versehenen Predigt, die wiederum eine Evangelistin hielt, ging es um die Geduld. Das Chinesische Zeichen dazu zeigt eine Schwert und ein Herz und enthält in sich den Hinweis darauf, dass Geduld mit dem Aushalten von Schmerz zu tun hat. Nach dem Gottesdienst war die ganze Gemeinde dazu aufgerufen, sich an einer von der Gemeinde selbst organisierten Straßenausbesserungsaktion teilzunehmen. Auffallend war nicht nur bei dieser Gelegenheit, dass im Vergleich zu Korea die Hierarchien, sowohl was das Verhältnis von Männern und Frauen wie auch was die Altersunterschiede betrifft, flacher sind. Auch die in Korea weit verbreitete Ablehnung körperlicher Arbeit ist hier wenig anzutreffen. Die 50 Jahre sozialistischer Herrschaft haben sich an diesen Punkten wohl ausgewirkt.

In Nanning hatten wir ein Gespräch mit Pfr. Li, dem Vorsitzender des Provinzchristenrates, der in internationalen Angelegenheiten eher vorsichtig agiert. Es gibt in der Guangxi Provinz, die allein schon die Größe der ehemaligen BRD hat und in der 42 Millionen Menschen leben Ca. 70.000 80.000 ChristInnen. Diese leben in dieser bergigen, landwirtschaftlich geprägten Provinz sehr zerstreut. Der Provinzchristenrat unterstützt jährlich 6-7 Gemeinden beim Bau von Kirchen, wobei ein solches Bauvorhaben Ca. 80.000 Yuan (10.000.- EURO) kostet. Eine wichtige Information war, dass Spenden aus dem Ausland bis zu einer Höhe von 200.000 Yuan (ca. 25.000,.- EURO) der Regierung nicht gemeldet werden müssen.

Als wichtigste Aufgabe bezeichnete Pfr. Li die Fortbildung von Ehrenamtlichen. Im dortigen Laienfortbildungszentrum fanden bereits 17 Mal Kurse statt, die in der Regel ein Jahr dauern und an denen jeweils ca. 40 Menschen teilnehmen. Da es immer noch viel zu wenig Pfarrer gibt, übernehmen sie nach ihrem Abschluss dann selbständig teils haupt- teils nebenamtlich eine Gemeinde oder eine Hauskirche. Die Lebenshaltungskosten von monatlich 200 Yuan (ca. 25.- EURO) werden zur Hälfte vom Provinzchristenrat und zur anderen Hälfte von den Gemeinden getragen. Unterstützung vom CCC erhalten sie keine. Ein Höhepunkt war ein Gespräch mit Studierenden im Laienforschungszentrum, wobei mich die Ernsthaftigkeit mit der diese meist jungen Leute ihrer Berufung nachkommen sehr berührt hat. Sie wissen, dass in Deutschland die Zahl von Menschen, die am Gottesdienst teilnehmen rückläufig ist und haben sich darüber gefreut, zu hören, dass wir u.a. zu ihnen gekommen sind um etwas zu lernen. Auch der Bitte für uns zu beten, werden sie wohl nachkommen.

Auch in Changsha in der Hunan Provinz verbringt die Präsidentin des Provinzchristenrates, Frau Yao viel Zeit mit uns. 1999 hat sie u.a. mit Unterstützung der Liebenzeller Mission (die mit der China Inland Mission vor der Revolution in dieser Provinz tätig war) und mit Hilfe aus Norwegen eine Bibelschule eröffnet. An ihr studieren für zwei Jahre insgesamt 95 meist junge Menschen. Zur Erinnerung an den Beginn der norwegischen Mission vor 100 Jahren war gerade eine große Delegation zu Gast und in der Bibelschule gibt eine Ausstellung Auskunft über das damalige Wirken der Missionare, Vorgänge, die noch vor einigen Jahren kaum denkbar waren. Frau Yao ist auch unermüdlich sozial tätig und hat eine Schule für hörgeschädigte Kinder eingerichtet, die staatliche Anerkennung erhielt. In einer anderen ähnlichen Schule, die staatlich gefördert wird, sind auch zwei Mitarbeiter des Global Teams, der Sozialabteilung der Liebenzeller Mission tätig, die vor ihrer Einreise ausdrücklich erklärt haben, nicht missionarisch tätig zu sein. Dies ist auch eine bewusste Entscheidung der Kirche, die 1950 die Drei-Selbst-Bewegung gegründet hat: Selbstverwaltung, selbständige Finanzierung und selbständige Verbreitung des Evangeliums. Diese Bewegung wurde im Westen oft wegen einer zu starken Betonung des Patriotismus kritisiert, wobei häufig übersehen wurde, dass es Missionare waren, die diesen Grundsatz zuerst formuliert haben. Dieser Grundsatz kam durch John L. Nevius Anfang des 19. Jhdts. auch nach Korea und wurde dort von den Missionaren überaus erfolgreich angewandt und ist mit einer der Gründe, dass die koreanischen Kirchen so gewachsen sind. Wichtig ist auch den großen Zusammenhang zu verstehen. Es war in der Geschichte leider so, dass (ein Teil der Missionare) mit imperialistischen Kräften zusammengearbeitet hat. So war die Aufnahme des Drei-Selbst-Prinzips eine notwendige Korrektur. Heute sind durchaus nicht nur im universitären Bereich Ansätze zu beobachten, die Missionsgeschichte differenziert zu betrachten.

Was die Drei-Selbst-Bewegung betrifft gab es sicher Zeiten, in denen das "Patriotische" überbetont wurde, und vielleicht hat auch heute noch (ein Teil der Kirche) eine übergroße Nähe zum Staat und zur Partei. Auf der anderen Seite gibt es viel Grund zur Vermutung, dass gerade die Betonung, dass auch ChristInnen ihr Land lieben und bereit sind ihm zu dienen, Freiräume geschaffen hat, die ein Wachstum der Kirchen erst ermöglicht haben. Meiner Beobachtung nach ist die chinesische Kirche heute ein durchaus in sich plurales Gebilde so wie auch die chinesische Gesellschaft auf dem Weg zu mehr Pluralität ist. Dies gilt auch für die Büros für religiöse Angelegenheiten, wo es in manchen Städten und Provinzen eine gute bis sehr gute Zusammenarbeit gibt und in anderen das Wirken der Kirche immer noch Einschränkungen unterworfen ist. Grundsätzlich gilt, dass es die ChristInnen in China selbst sind, die über ihren Weg entscheiden. Ich habe stark empfunden, dass die Verantwortlichen in den Provinzchristenräten in einer Art Gratwanderung versuchen, auf der einen Seite die Freiheit der Religionsausübung und auf der anderen Seite die Freiheit des Glaubens zu wahren. Dieser Weg ist nicht einfach und meine Reaktion war zuallererst einmal ein tiefer Respekt. Ansonsten mache ich mir den paulinischen Grundsatz zu eigen: "Wir sind nicht Richter eures Glaubens sondern Gehilfen eurer Freude" (2. Kor 1,24).

Dass ein starkes Interesse auch am theologischen Austausch mit Deutschland besteht haben wir sowohl am Nanjing Theological Seminary wie beim Besuch bei Bischof Ting gehört. Ein solcher Austausch muss allerdings meiner Einschätzung nach gut vorbereitet werden und es ist unerlässliche Vorbedingung, dass die Beteiligten ein Gespür für die Situation der Chinesischen Kirche entwickeln. Gerade hier ist es wichtig sich des Grundsatzes bewusst zu sein, dass Theologie immer kontextuell ist. Falls ein solcher Dialog sensibel, liebevoll, mit Kenntnis asiatischer Höflichkeit und in echter Solidarität durchaus auch kritisch geführt wird, ist es denkbar, dass mittelfristig auch ein Theologe bzw. eine Theologin aus Deutschland für ein Jahr am Nanjing Theological Seminary unterrichtet, wie es bereits TheologInnen aus Kanada tun.

 

EMS-DOAM-BM & China

Im Oktober 2002 reiste der Geschäftsführer der DOAM und Ostasienreferent im EMS, Lutz Drescher, nach China. Hier fasst er seine Eindrücke für den Missions Council des EMS zusammen:

"Sowohl die DOAM, wie auch die Basler Mission hatten historisch Beziehungen nach China. Nach der Öffnung Chinas hat das EMS vertreten durch den damaligen Ostasienreferenten Dr. W. Glüer als eine der ersten Missionsgesellschaften wieder Kontakte nach China geknüpft und das Vertrauen der chinesischen Kirche erworben.

Auch wenn die Kirche in China nicht im Missionsrat vertreten ist (über einen Gaststatus wäre nachzudenken) gehört sie doch im Doppelsinn des Wortes "in besonderer Weise" zu unserer internationalen Gemeinschaft dazu. Sie ist auf unsere informierte Fürbitte und unsere Solidarität angewiesen. (Mit Beschämung habe ich wahrgenommen, dass sie bisher nicht einmal im Fürbittkalender des EMS auftaucht.). Dringend empfehle ich einen baldigen Besuch des Generalsekretärs und des / der Missionsratsvorsitzenden in China."

 

Der vollständige Bericht an den Mission Council des EMS als pdf-Datei >hier

Der vollständige Reisebericht als pdf-Datei >hier

 

Kirchen und Gottesdienst

Fotos von Lutz Drescher

CCC

Stichwörter zur Geschichte

7.-9. Jhd.
Nestorianer

1583 - 1717
Jesuitenmission, zeichnet sich durch starke Assimilation an die chinesische Kultur aus, zielt auf die Gewinnung der Oberschicht.
Matteo Ricci.
Ritenstreit beendet die Missionstätigkeit aller Orden

Beginn 19. Jhd.
protestantische Mission

1807
Robert Morrison, intensive Übersetzungstätigkeit

1814
erster Konvertit

1819
chinesische Bibel

1844
Kar1 Gützlaff

1832-1905
Hudson Taylor

1840
1. 0piumkrieg

1850-64
Taiping-Revolte unter Hong Xiuquan

1857-60
2. Opiumkrieg. Verlust der Zollautonomie, Konzessionen, verstärkte Ansiedelung von Ausländern

1865
China Inland Mission gegründet (1895 641 Missionare, 462 Assistenten, 260 Missionsstationen)

1912
Ausrufung der Republik China durch Sun Yatsen

1949
Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao Zedong, Ausweisung aller Missionare

1951
Beginn der Drei-Selbst Bewegung unter Schirmherrschaft von Ministerpräsident Zhou Enlai.

1965-75
Kulturrevolution

1978
Wiedereröffnung der ersten Kirchen

1980
Nationale Christenkonferenz gründet Chinesischen Christenrat.

1981
Lehrbetrieb des Theologischen Jinling Seminars in Nanjing wird wieder aufgenommen.

4. 6. 1989
Tiananmen "Zwischenfall"

1996
Nationale Christenkonferenz

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