Ein Shinto-Schrein, die Verfassung und der Friede
1976: Yasukuni Gesetzesvorlage
Yasukuni-Schrein in Tokyo
Yasukuni-Gesetz - ein gefährlicher Rückgang zum Staatsshintoismus
Von Hiroshi Murakami
Pfr. H. Murakami war von 1974-1978 der erste Mitarbeiter aus einer Partnerkirche in der EMS. Den vorliegenden Artikkel hat er für "Nachrichten aus dem Evang. Missionswerk/DOAM" 1976 Nr.3 geschrieben.
Seit 1955 ist in Japan ein Versuch im Gang, den Yasukuni-Schrein, der bis zum Kriegsende als Zentralgedenkstätte der Kriegsgefallenen galt, wieder staatlich zu verehren und natürlich auch mit den Steuermitteln des Staates zu finanzieren.
Nach anfänglichem Scheitern ist es der Regierung nun doch gelungen, den Entwurf des Gesetzes bei der Debatte im Unterhaus durchzubringen, allerdings nur mit der Zustimmung der regierenden Partei. Das ist zwar noch kein endgültiger Beschluss, denn das Oberhaus hat noch nicht zugestimmt, aber die Wahrscheinlichkeit eines Beschlusses ist groß.
Alle Oppositionsparteien sind gegen dieses Gesetz. Die stärkste Gegenstimme kommt aber nicht von den Parteien, sondern von den Religionen wie Buddhismus oder neuen Sekten und insbesondere von den christlichen Kirchen, mit der Begründung, dass das Yasukuni-Gesetz die Glaubensfreiheit verfassungswidrig verletze.
Nach der Verfassung von 1946 ist es aus der bitteren Erfahrung der Kriegszeit heraus eindeutig verboten, dass der Staat zu irgendeiner Religion eine feste, öffentliche Beziehung hat. Der Staat muss von der Religion getrennt und in diesem Sinne neutral sein. Er darf keine Religion finanziell unterstützen, auch keinen Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen erteilen. Der Yasukuni-Schrein ist natürlich ein Shinto-Schrein. Es ist also von der Verfassung her gesehen ganz und gar ausgeschlossen, dass er staatlich unterstützt wird. Wenn so etwas einmal passieren sollte, wäre das Streben nach echten Menschenrechten und Demokratie während der letzten 30 Jahre mit Sicherheit gescheitert.
Aber die Regierung und der gut organisierte Verband der Kriegshinterbliebenen sind außerordentlich energisch. Es ist dadurch soweit gekommen, dass die Soldaten 1966 offiziell angefangen haben, den Schrein zu besuchen, und dieses Jahr hat auch Ministerpräsident Miki dort einen Besuch abgestattet, wobei er erklärte, das sei seine Privatangelegenheit.
Nun, es geht nicht nur um den Yasukuni-Schrein als solchen, sondern auch um den gesamten Kontext der japanischen Gesellschaft in der Gegenwart. Hinter diesem Gesetz steckt eine ganze Reihe von Problemen, und es gilt, diesen politischen, gesellschaftlichen und geistigen Hintergrund richtig zu sehen.
Yasukuni ist im Jahre 1869 in Tokyo gegründet worden, natürlich als Shinto-Schrein. Aber diese Form des Shintoismus unterscheidet sich sehr scharf vom ursprünglichen Shintoismus.
Der ursprüngliche Shintoismus ist eine primitive Naturreligion, die in allerlei Formen unter dem Volk verbreitet war. Solche Formen des Shintoismus lassen sich auch heute noch finden. Sie sind ziemlich einfach strukturiert. Es gibt da Götter des Reisbaus, des geschäftlichen Profits, der leichten Geburt usw. Auch die Götter der Wissenschaft gibt es. Es ist also eine ganz harmlose, primitive Religion. Aber zur Zeit der Meiji-Restauration (1868) wurde bestimmt, dass der Shintoismus zur Staatsreligion erhoben werden solle, und so geschah es. Der Buddhismus wurde in dieser Zeit verbannt mit der Begründung, dass er eigentlich eine Fremdreligion sei. Die Regierung erklärte im Namen des Kaisers, dass Japan nun ein shintoistischer Staat sein wolle, und deshalb wurden theokratische Strukturen in die Politik eingeführt.
Das nennt man „Staatsshintoismus", und dieser ist, von der langen Geschichte der Religion her gesehen, völlig neu. Der Staatsshintoismus hat die vielfältigen Existenzformen des alten Shintoismus mit einem Mal aufgehoben und alles in ein total neues System eingeordnet, dessen Mitte der Kaiser ist. Die uralte Naturreligion hat sich also in eine staatliche Ideologie umgewandelt.
Der Yasukuni-Schrein ist das erste und wichtigste Beispiel des Staatsshintoismus gewesen. Dort sind die Kriegsgefallenen als Götter verehrt worden, aber nicht alle. Es war ein strenges Kriterium, ob man für den Kaiser gestorben war oder nicht. Bis vor der Restauration des Kaisertums gab es heftige Auseinandersetzungen in Japan, ja sogar Empörungen, Terror und Bürgerkriege. Viele Menschen sind auf beiden Seiten gefallen, aber nur diejenigen, die für den Kaiser gekämpft hatten, durften im Yasukuni-Schrein verehrt werden. Andere waren von der Verehrung ganz und gar ausgeschlossen. Dies wurde bis zum Ende des 2. Weltkrieges so beibehalten.
Früher haben Japaner alle Gefallenen betrauert, auf welcher Seite sie auch gestanden haben mochten, und gesagt, dass es keinen Unterschied gibt, wenn man einmal gestorben ist. Derart humanes Denken war beim Yasukuni nicht mehr zu spüren. Es wurde ersetzt durch eine harte Kaiser-Ideologie.
Der Yasukuni-Schrein gehörte bemerkenswerterweise zum Kriegsministerium. Alle Kriegsgefallenen wurden verehrt, und der Kaiser, der damals als Gott galt, besuchte den Yasukuni-Schrein und verbeugte sich. Das war eine sehr große Auszeichnung für die gefallenen japanischen Soldaten. Das Stichwort unter ihnen hieß damals: „Treffen wir uns wieder in Yasukuni!" Ohne Zweifel darf deshalb behauptet werden, dass der Yasukuni wichtigster Stützpunkt des japanischen Militarismus war.
Gewiss, jedes Denkmal hat seinen eigenen Charakter und dahinter steckt die jeweils herrschende Ideologie. Das sowjetische Ehrenmal in Treptow, Ost-Berlin, oder dasjenige für die „Opfer des Faschismus und des Militarismus" Unter den Linden z. B. zeigen dies ganz klar. Der Yasukuni hatte auch eine Ideologie: den Tenno-Absolutismus und die Rechtfertigung der Invasionskriege in Asien.
Nachdem der schreckliche Krieg zu Ende gekommen war, hat die amerikanische Besatzung mit Recht gefordert, den Staatsshintoismus abzulösen; denn sie wusste sehr wohl, dass er der Kern der militaristischen Entwicklung Japans gewesen war.
So ist der Yasukuni nur eine unter vielen religiösen Strömungen geworden, der im Sinne der Religionsfreiheit wie christliche Kirchen oder der Buddhismus arbeiten darf, ohne Privilegien genießen zu dürfen. Für die Opfer des Krieges hat man im Jahre 1959 ein neues Denkmal in der Nähe des Kaiserpalastes in Tokyo errichtet, das verfassungsgemäß keine Kontakte zu den Religionen hat. Jeder kann nach Belieben der Toten gedenken.
Aber dieses Denkmal (Chidorigafuchi) wurde allmählich vernachlässigt; statt dessen gewann der Yasukuni an Gewicht. Die Regierung hat immer wieder versucht, den Yasukuni gegen die Verfassung zu verstaatlichen und dabei erklärt, es gebiete das Nationalgefühl aller Japaner und sei ohne weiteres zu verstehen, dass sich der Staat um die „für das Vaterland Gefallenen" kümmere.
Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass Japan noch keinerlei Denkmäler errichtet hat für jene Koreaner, Chinesen, Philippinen und anderen Asiaten, die von den japanischen Soldaten vergewaltigt, gefoltert und ermordet worden sind. Andererseits sollen die Soldaten, die im Namen des Kaisers in den betreffenden Gebieten gekämpft haben, d. h., die Menschen dort im Namen des Kaisers vergewaltigt und ermordet haben, nun als Götter verehrt werden. Im Entwurf des Yasukuni-Gesetzes heißt es : „ Der Yasukuni-Schrein zielt darauf, die Kriegsgefallenen zu betrauern, ihrer zu gedenken und ihre große Tat auf ewig lobend anzuerkennen
Damit wäre der Invasionskrieg, bewusst oder unbewusst, total gerechtfertigt. Das ist das eigentliche Problem. Im Fall Yasukuni geht es also nicht nur um die Glaubensfreiheit im engeren Sinn des Wortes, sondern um den zukünftigen Weg Japans und nicht zuletzt auch um den Frieden in Asien und in der ganzen Welt.