20. August 2014
Mein erster Tag in Kangjeong
Nach einer guten Nacht bekomme ich ein internationales Frühstück für zwei. Die Hausdame und Vermieterin (es können in ihrem kleinen Haus bis zu 8 Personen übernachten!), KIM Mi-Ryang, die auch „Kangjeong’s daughter“ gerufen wird: ein Ei, ein Glas Yoghurt (mit Orangenmarmelade), ein Dumpling mit süßem Bohnenmus, dazu chinesischer Grünen Tee.
Ich kann nur die Hälfte essen. Morgen soll es ganz koreanisch zugehen.
Ich schreibe den Tagesbericht zum Sonntag fertig. Dann kommt gegen 10:30 Shaem, die Tochter von Dr. Song, dem Pfarrer, der in Heideberg studiert hat und nun im Zusammenhang mit Gangjeong schon mehrmals im Gefängnis saß. Sie hat in den Kinderjahren in Heidelberg gelebt und kennt noch ein paar Wörter und Sätze in Deutsch, der Rest geht in Englisch. Sie holt mich ab zur Messe vor dem Eingangstor zur Baustelle der Firmen Samsung und Taelim. Es regnet. Es wird den ganzen Tag regnen. Zwischendurch auch ein richtiges Gewitter. Und dann ein Wolkenbruch während des Gottesdienstes und auch später immer wieder. Eine Warnung der Polizei wird im Dorf-Rundfunk durchgegeben: der kleine Fluss sei am Überlaufen, wahrscheinlich gibt es Hochwasser. In diesem Regen machen wir uns auf den Weg- Bald sind die Hosen bis hoch zu den Knien nass, der Schirm hält zwar noch einigen regen ab, aber ich spüre die Nässe auf allen Seiten. Über die Straße läuft das Wasser in Strömen, die Sandalen sind durchtränkt, gut, dass ich heute keine Socken angezogen habe.
Schon von weitem hören wir die ersten Gesänge. Die Stimmen sind nicht so robust, aber die Lautsprecher dröhnen und der Choral ist auch auf der Baustelle zu hören. Als wir das schmale Zelt am Straßenrand erreichen, sind etwa 15 Personen schon da. Kaum sind wir da, kommt schon eine große Gruppe aus Yongdongpo in Seoul. Sie singen und halten ein paar kurze Reden, der Pfarrer spricht die Messetexte. Jetzt sind wir über 40 Leute. Ich verstehe kein Wort. Auch keine Übersetzung anwesend. Aber es ist schwierig überhaupt etwas zu verstehen. Die vorbeifahrenden Autos, darunter nicht wenige schwer beladene Trailer nehmen keine Rücksicht. Gott muss gute Ohren haben, wenn er bei diesem Gedröhne noch etwas von den Gebeten und Liedern zu seiner Ehre verstehen will. Und dabei regnet es unaufhörlich. Die Zeltdächer sind löchrig, die Spritzer von den LKWs reichen bis in die Gemeinde hinein. Nicht nur die Schuhe und die Hose, inzwischen sind auch die Hemden und Blusen nass. Wir singen weiter. Plötzlich gibt es auf der andern Straßenseite, etwa 50 m weiter, Bewegung. Wenn ich genau hinsehe tragen Männer in gelbem Regenschutz Frauen auf ihren Stühlen zur Seite: Polizei. Ein Konvoi von LKWs und PKWs wollen die Baustelle verlassen und die Demonstranten bleiben trotz mehrfacher Aufforderung der Polizei, zur Seite zu gehen, sitzen. Nachdem der Konvoi durchgefahren ist, verschwindet die Polizei vom Eingang und ganz schnell besetzen die Demonstrierenden wieder die ganze Öffnung am breiten Baustellentor. Die meisten halten einen Schirm in der Hand – er nützt nicht viel. Andere haben sich nur einen leichten Regenschutz übergeworfen. Sie wurden dennoch nass bis auf die Haut.
Diese Ein- und Ausfahrt der schweren Fahrzeuge wiederholt sich ständig. Auch während der Abendmahlsfeier. Daran nehmen auch die etwa 25 Personen, die im Tor sitzen, teil. Ihnen wird das Brot durch zwei Helfer geschickt und gereicht. Sie bekommen auch den ganzen Gottesdienst mit, der über Lautsprecher übertragen wird. Es sind Einwohner aus Kangjeong, andere kommen aus verschiedenen Städten Koreas oder aus dem Ausland wie Taiwan, Okinawa, Neu-Seeland, England, USA, Canada usw. „Friede sei mit Dir“, der ökumenische Friedensgruß wird weitergereicht, während die Polizei für freie Fahrt am Tor sorgt. Dann das Lied von der Titanic: „Näher mein Gott zu Dir...“, natürlich auf Koreanisch.
Nach dem Gottesdienst auf der Straße, bedrängt von LKW und Polizei, dazu heute noch der Wolkenbruch, gehen wir zu Fuß zum Mittagessen. Leute aus Kangjeong und Helfer aus dem ganzen Land bereiten täglich ein reichhaltiges Mahl für alle, die dazu kommen, vor. E schmeckt toll: Reis und Beilagen, Nudeln und Beilagen, Kimchi und Ähnliches, als Nachtisch reichlich Wassermelone. Um 14 Uhr trifft sich das internationale Team im Friedenszentrum, ich werde eingeladen. Der Papst war hier. D.h. er war eben nicht hier in Kangjeong, sondern „nur“ in Seoul. Die Leute hier haben sich so viel Hoffnung gemacht, dass Papst Franziskus auch nach Jeju kommt und ihnen damit Anerkennung zollt oder doch ein Gebet spricht und den päpstlichen Segen hinterlässt. Aber das hat nicht funktioniert: die Zeitungen war nicht bereit, die Kangjeong Kommune vorzustellen, die Vorbereitungen der Gruppe waren zu wenig durchdacht. Aber niemand hat mit der koreanischen Politik gerechnet, die im letzten Augenblick die Pläne der Leute von Kangjeong durchkreuzt hat. Die Präsidenten PARK Gun Hye kam höchstpersönlich und mit einem ganzen Tross von Getreuen zum Gottesdienst und besetzte die Plätze der Leute von Kangjeong. Sie mussten weiter hinten Platz nehmen und wurden so für Franziskus unsichtbar gemacht. So praktisch kann man hierzulande Politik betreiben. Die Leute nehmen an, dass dieses politische Manöver dem hohen Herrn aus Rom sicher nicht gefallen hat. Übrigens geschah die Auswertung im internationalen Team (wir waren wohl 15 Personen) per Skype mit zwei weiteren Freunden in Seoul.
Gegen Abend werde ich weitergeleitet zum Abendessen bei den Frontiers, deren Leiter, Pfr. Dr. SONG Kang Ho, leider nicht dabei sein wird, ist er doch derzeit in Seoul, wo ich ihn zu treffen hoffe. Ab 17 Uhr treffen die Freunde, einer nach dem andern ein – zum Kochen. Zur Zeit stehen 3 Frauen und ein Mann in der Küche: ein Neuseeländer, eine Frau aus dem Libanon, eine andere aus Australien und ?? aus Korea. Shaem Song telefoniert mit dem Office der Fähre, die ich am Freitag nach Mokpo nehmen werde. Das Abendessen wird also wieder international sein. Mein Magen verträgt glücklicherweise alles außer kaltem Wasser.