Laudatio zur Mirok-Li-Preisverleihung 2021 der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft

Laudatio zur Mirok-Li-Preisverleihung 2021 der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft

15.10.2021, You Jae Lee

Lieber Herr Pfarrer Paul Schneiss, lieber Lutz, sehr geehrter Herr Präsident, liebe Freundinnen und Freunde, meine Damen und Herren,

Der diesjährige Mirok-Li-Preis der Deutsch-Koreanischen Gesellschaft ehrt die Missionare Paul Schneiss und Lutz Drescher für ihre Lebensverdienste. Mit der Auszeichnung dieser beiden Herren wird auch die Deutsche Ostasienmission, in denen sie tätig waren und noch tätig sind ebenso geehrt. Es ist nur zu bedauern, dass wir Corona bedingt diese Feierlichkeiten online begehen müssen.

Die Ostasienmission wurde auf gemeinsamer Initiative von Deutschen und Schweizern im Juni 1884 in Weimar gegründet. Anfangs als „Allgemeiner Evangelisch-Protestatischer Missionsverein“ bezeichnet, teilte sich nach dem zweiten Weltkrieg in einen Schweizer (SOAM) und einen deutschen Zweig (DOAM) auf. Theologisch war die Ostasienmission liberal geprägt und war zunächst in China und Japan aktiv. Interreligiöse und interkulturelle Bemühungen zeichneten die Missionsaktivitäten aus. Statt aggressiver Bekehrungsmission standen indirekte Missionen im Vordergrund. Aktuelle Tätigkeiten in China u.a. die Unterstützung der Amity Foundation, einer von Christen gegründeten chinesischen Entwicklungs- und Hilfsorganisation. In Japan werden heute diskriminierte Minderheiten (Burkumin) und die Überlebenden in Fukushima unterstützt.

Die institutionellen Tätigkeiten in Südkorea beginnen erst in den 1970er Jahren mit der Gründung von Evangelischer Mission in Südwestdeutschland 1972 - seit 2012 in Evangelische Mission in Solidarität umbenannt (EMS), und des Berliner Missionswerks, an denen die DOAM als Gründungsverein beteiligt ist.

Die Kooperation zwischen deutschen und koreanischen Kirchen beginnen zu einer Zeit, als die evangelischen Kirchen in Südkorea stark durch konservative nordamerikanische Theologien und Kirchen beeinflusst im Wachsen begriffen waren. Andererseits war die politische Lage durch eine Militärdiktatur geprägt, die eine komprimierte Modernisierung des Landes voranbrachte. Diese Geschichte der deutsch-koreanischen Kirchenkooperation ist in der Forschung noch nicht aufgearbeitet worden. Jedoch lassen sich einige wichtige Charakteristika dieser Zusammenarbeit jetzt schon benennen. Erstens war es den deutschen Kirchen wichtig, in Korea eine institutionelle Grundlage für eine selbständige Theologie zu schaffen. Die Unterstützung der Minjung-Theologie, einer Theologie des Globalen Südens, ist das beste Beispiel. Zweitens lag der Schwerpunkt der Mission in der Diakonie, Armen- und urbanen Industriemission. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde also den sozialen Unterschichten geschenkt. Die Frauenbewegung wurde ebenfalls zu einem frühen Zeitpunkt für wichtig erachtet und unterstützt. Kirchliche Entwicklungshilfen konzentrierten sich auf die Arbeiten auf dem Lande. Drittens war die deutsche Kirche ein wichtiger Akteur in der transnationalen Demokratiebewegung für Südkorea. Später erweiterte man das Handlungsfeld auf die Vereinigungsbewegung. Ihr Einsatz für die Menschenreche in Zeiten der Diktatur ist in Südkorea auch allgemein anerkannt. Schließlich hatte die deutsch-koreanische Kirchenzusammenarbeit die seelsorgerische Betreuung der koreanischen Diaspora in Deutschland im Sinn.

Die beiden Preispräger in all diesen Punkten große Verdienste vorzuweisen. Daher werfen ihre Biographien ebenso Schlaglichter auf eine intensive Zusammenarbeit zwischen der deutschen und den koreanischen Kirchen.

Paul Schneiss wurde am 15. März 1933 als Sohn eines Missionars in der chinesischen Stadt Changsha geboren. Im Kindesalter kehrte er wieder nach Deutschland zurück. Seine erste Missionstätigkeit erfolgte von 1958 bis 1962 in Japan. Seit 1966 wurde er Mitarbeiter bei der DOAM, wo er 1968 zum Geschäftsführer aufstieg. Die wichtigen Vorgespräche und ersten Kontakte zu koreanischen Kirchen erfolgten in dieser Zeit. Mit der Gründung des EMS wurde er 1972 der erste Ostasienreferent in Stuttgart. In dieser Eigenschaft begleitete er die ersten Vertragsabschlüsse zwischen deutschen und koreanischen Kirchen und organisierte die ersten Kirchenkonsultationen zwischen den beiden Ländern, die bis heute anhalten. Die ersten koreanischen Pastoren kamen auch in dieser Zeit nach Westdeutschland, um die koreanischen Arbeitsmigrant_innen zu betreuen.

Nach dem Studium der Theologie in Heidelberg erfolgte 1975 seine zweite Missionsreise nach Japan, diesmal mit seiner 1963 geheirateten Frau Kiyoko Sakurai. Zwar arbeitete er als Mitarbeiter der Vereinigten Kirche Christi in Japan. Paul Schneiss unterstützte aber die kirchliche Demokratisierungsbewegung in Südkorea, indem er als einziger Ausländer mehreren Gerichtsprozessen gegen Regimekritikern beiwohnte. Obwohl er kein einziges Wort Koreanisch verstand, hat allein seine Anwesenheit als Vertreter des Ökumenischen Rat der Kirchen die Richter unter Druck gesetzt. Aufgrund seiner Solidaritätsaktionen mit der Demorkatiebewegung wurde ihm 1977 die Einreise nach Südkorea verwehrt. Diese Regelung hielt bis 1988 an. Paul Schneiss liess sich dennoch nicht einschüchtern. Nun übernahm seine Frau die Rolle der Verbindungsfrau zwischen Südkorea und Japan und der Welt. Als Kiyoko Schneiss im Mai 1980 auffällige Truppenbewegungen in Seoul beobachtete, meldete sie dies nach Japan. Paul Schneiss informierte den deutschen NDR-Reporter Jürgen Hinzpeter in Tokio über die jüngsten Entwicklungen in Südkorea und überredete ihn, nach Kwangju einzureisen. Der südkoreanische Spielfilm „Taxi Driver“ erzählt diese Geschichte, wobei Paul Schneiss‘ Rolle darin unerwähnt bleibt. Paul Schneiss sind solche Unaufmerksamkeiten nicht wichtig. Er ist von Grund auf bescheiden. Heldenhafte Selbstdarstellungen sind ihm fern. Dennoch wissen die damaligen Akteure von der Bedeutung seiner Rolle und die damit verbundenen Gefahren. Daher freut es mich, dass er dieses Jahr durch das May 18 Memorial Foundation’s special merit award von Koreanern geehrt wird.

Paul Schneiss kehrt 1984 nach Deutschland zurück und arbeitet seit 1991 als Vorsitzender und seit 2010 als Ehrenvorsitzender der DOAM. Der Aufbau und die Pflege der umfangreichen Homepage der DOAM, die schon fast den Charakter eines Online-Archivs angenommen hat, geht auf ihn zurück. Noch im hohen Alter hat Paul Schneiss 2000, 2004 und 2008 zum Teil federführend drei internationale Symposien in Japan, Deutschland und Korea organisiert. An dem Programm ist zu erkennen, was Paul Schneiss heute wichtig ist, nämlich Versöhnung, Frieden und menschliche Sicherheit.

Lutz Drescher wurde 1953 in Freiburg bei Breisgau als Sohn eines Försters geboren. Die einjährige Reise nach Indien nach dem Abitur prägte sein Leben. Dort erlebte er zwei Perspektivwechseln: Erstens eine Umkehrung des Eurozentrismus und zweitens die Aneignung einer Perspektive „von unten“. Diese sollten ihm auch später für Korea die Grundhaltung darstellen. Nach seinem Studium der Religions- und Sozialpädagogik arbeitete er ab 1981 als Gemeindediakon. Dort lernte er einen koreanischen Pfarrer kennen und über ihn die Verhältnisse in Kwangju und in Südkorea allgemein. 1987 kam Lutz Drescher als Missionar von EMS nach Korea und erlebte die Juni-Demokratiebewegung als Sprachstudent an der Yonsei University hautnah mit. Seine Missionstätigkeiten übte er in einer Minjung-Gemeinde in einem Armenviertel im Norden von Seoul aus. Diese Minjung-Gemeinde kam seiner Perspektive „von unten“ ganz nah, in denen Marginalisierte, sozial Geächtete und politisch Unterdrückte zusammen kamen und Gott suchten. Ethnologen würden sein Verhalten als „going native“ nennen. Koreaner würden sagen, in seinem früheren Leben muss er Koreaner gewesen sein. Denn Lutz Drescher wird, solange er in Korea ist, wie Koreaner leben und arbeiten. Dabei halfen ihm sicherlich seine Sprachkompetenz, auch die feinsten Nuancen im Koreanischen ausdrücken zu können und so die Nähe zu Koreanern zu finden. Die eigentliche Stärke ist jedoch seine Empathie, mit den Koreanern leiden und freuen zu können. Und niemals den Europäer raushängen zu lassen, sowohl als kulturell Überlegenen als auch positiv Diskriminierten. Obwohl die Verführung dazu in jedem Moment des Lebens eines weißen Europäers in Korea vorhanden ist. Lutz Drescher hat grundsätzlich eine lernende Haltung, keine belehrende. Das, was er in Korea gelernt hat, hat er auch gern und willig nach Deutschland ermittelt. In zahlreichen Artikeln und Abhandlungen hat er sehr einfühlsam und stets reflektiert über die koreanische Kultur, über das Christsein in Korea und die Minjung-Theologie geschrieben. Über den engen kirchlichen Kreis hinaus hat er so dem deutschen Publikum Korea nähergebracht. Lutz Drescher ist ein wichtiger Kulturvermittler zwischen Deutschland und Korea, der immer die menschliche Seite in den Vordergrund stellte.

Nach seiner Rückkehr 1995 nach Deutschland, und verstärkt als Ostasien-Referent des EMS zwischen 2001 und 2016 engagiert er sich für den Dialog zwischen Nord- und Südkorea und besucht viermal Nordkorea. Dabei ist Lutz Drescher kein blinder Anhänger der Wiedervereinigungsbewegung. Er plädiert vielmehr dafür, die historische Entwicklung seit der Teilung ernst zu nehmen und sowohl systemische als auch Mentalitätsunterschiede der Menschen im Norden und Süden zu berücksichtigen. In jedem Fall geht die Versöhnung und Frieden vor und dann die Wiedervereinigung. Im Ruhestand war ehrenamtlich als Vorsitzender und dann Ehrenvorsitzender des DOAM aktiv.

Wir ehren heue zwei Missionare, die für politische Courage und kulturelle Offenheit stehen. Sie haben durch ihre Aktivitäten in der deutsch-koreanischen Beziehungsgeschichte eine eigene Färbung verleiht. Ihr Glaube an einem Zusammenhang zwischen „Widerstand, Aufstand und Auferstehung“ mahnt uns heute, uns im Alltag und im Kleinen für Frieden, Demokratie und kulturelle sowie religiöse Diversität einzutreten. In diesem Sinne danke ich Paul Schneiss und Lutz Drescher für ihr Lebenswerk, dessen Nutznießer wir heute alle sind. Ich wünsche Ihnen viel Gesundheit und ein langes Leben.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

Mehr zur Preisverleihung finden Sie hier: https://www.doam.org/125-blog/5390-auszeichnung-zweier-lebenswerke-und-der-doam
Siehe auch die Pressemitteilung der Evangelischen Mission in Solidarität (EMS): PM_Mirok_Li-Preis.pdf

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