Hiroshima: Konsequenzen aus der Geschichte ziehen
Prof. Shinichi KOTABE, Tokyo
Gefunden auf der Homepage der Evang. Landeskriche in Bayern
http://www.bayern-evangelisch.de/www/informiert/gedenken-an-hiroshima.php
Gedenken an Hiroshima: Konsequenzen aus der Geschichte ziehen
Die Erinnerung an den Atomwaffenabwurf ist in Hiroshima mittlerweile traurige Tradition. Doch an diesem 6. August erinnerte Hiroshimas Bürgermeister, Kazumi Matsui, nicht nur an die schrecklichen Ereignisse vor 66 Jahren, sondern auch an die jüngste Vergangenheit. Und er forderte nicht nur die weltweite Abschaffung von Atomwaffen, sondern er rief auch dazu auf, Japans Energiepolitik neu zu bedenken.
Wir müssen noch einmal ganz neu aus unserer Geschichte lernen – das ist auch die Überzeugung des japanischen Pfarrers und Kirchenhistorikers Shinichi Kotabe. Kotabe, der in Hiroshima aufgewachsen ist und an der Tamagawa Universität in Tokio lehrt, hat jahrelang mit seiner Familie in Deutschland gelebt und beobachtet wach und mit Sorge die Ereignisse in seinem Land. Für bayern-evangelisch.de schildert er seine Eindrücke zum 66. Jahrestag von Hiroshima:
„Hiroshima gehört zu meiner Geschichte“
„Als die Atombombe über meiner Heimatstadt Hiroshima abgeworfen wurde, war meine Mutter dort in der zweiten Klasse der Grundschule. Aber sie und ihre Familie waren an diesem Tag nicht in der Stadt, so dass sie überleben konnten. Wäre meine Mutter damals in Hiroshima gewesen, wäre ich wahrscheinlich nie geboren worden. In diesem Sinne ist diese Geschichte ein Teil meines Lebens.
Aber das Problem der atomaren Strahlung gehört nicht nur zur Vergangenheit, sondern vielmehr zur Gegenwart meines Lebens. Heute bedroht uns die Strahlung nicht in Hiroshima, sondern in Ostjapan und auch in Tokio durch die Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima. Das zeigt uns, wie stark sich unsere Gesellschaft selbst überschätzt hat. Sowohl der Stromversorger als auch die japanische Regierung haben bisher immer nur wiederholt, dass die Atomkraftwerke in Japan ganz sicher seien. Wie viele Generationen von uns sollen aber nun an dieser Katastrophe leiden? Wer könnte dafür Verantwortung übernehmen?
„Wir haben die kritische Einsicht in die Atomenergie verloren“
Angesichts dieses Geschehens müssen wir uns noch einmal fragen, was in Hiroshima und Nagasaki vor 66 Jahren passiert ist, und seit wann und warum wir die kritische Einsicht in die Atomenergie verloren haben und wozu 200.000 Menschen in Hiroshima gestorben sind.
Seit meiner Kindheit erzählt meine Mutter ab und zu von ihren damaligen Erfahrungen. Sie berichtet beispielsweise, dass viele Überlebende starke Schuldgefühle hatten und auch jetzt haben. ‘Entschuldigung, dass ich überlebt habe und du sterben musstest’, so bekennen die Überlebenden immer wieder vor den Gräbern ihrer Familienangehörigen und Freunde. Aus dieser Geschichte hat ein japanischer Dramatiker, Hisashi Inoue, ein eindrucksvolles Theaterstück „Die Tage mit Vater“ geschrieben. Eine junge Japanerin, die den Abwurf der Atombombe auf Hiroshima überlebt hat, wird von Schuldgefühlen gequält. Sie wird aber durch die Begleitung ihres verstorbenen Vaters dahin geführt, ihr Leben wieder mit Freude zu leben. Inoue stellt den inneren Prozess einer Japanerin dar, die zunächst versucht, alles zu vergessen, die sich aber dann doch langsam an den Abwurf der Atombombe und das Sterben ihres Vaters erinnert.
Das Leben ist kostbar
Dieses Stück spiegelt meiner Meinung nach die damaligen Erfahrungen sehr gut wider. Ja, man könnte sich vorstellen, dass die Opfer der Atombombe für uns gestorben sind, damit wir, die Überlebenden und Nachkommen, verstehen, wie kostbar das Leben ist. Das soll den Tod nicht beschönigen, der Tod so vieler Menschen war ein sehr schmerzhaftes Ereignis. Trotzdem denke ich, dass man daraus etwas Wesentliches für die Menschen lernen kann.
Nach der Katastrophe im Atomkraftwerk Fukushima stehen wir nun in einem Moment des Umdenkens. Ob Fukushima das Erinnern an Hiroshima verändert hat, weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, dass Fukushima uns sicher veranlasst, uns mit der Geschichte von Hiroshima noch einmal intensiv zu beschäftigen. Es könnte noch einige Zeit dauern, bis wir einige Konsequenzen für die Gegenwart und Zukunft daraus ziehen werden. Aber der Prozess hat schon begonnen.“