Unterhauswahl 2012 - Große Stunde der kleinen Parteien
Security in Northeast Asia
Der Premier und sein Herausforderer kämpfen gegen das Desinteresse bei den Paelamentswahlen. Neue polirische Formationen haben so gute Chancen wie noch nie.
Große Stunde der kleinen Parteien
Sonja Blaschke
Seit wenigen Tagen winken sie wieder. Wo einen in Japan sonst die Sperrmüllhändler mit ohrenbetäubenden Lautsprecheransagen, die aus ihren dahin tuckernden Minivans plärren, aus der morgendlichen Schlaftrunkenheit reißen, sind es jetzt die wahlkämpfenden Politiker mit ihren Parolen. Ihr auffälligstes Erkennungszeichen sind weiße Handschuhe.
Solche tragen in Japan sonst nur Taxifahrer oder Hotelportiers. Doch bis zum 16. Dezember ziehen sie sich auch die Politiker und Wahlhelfer über, damit man ihren Versuch, die Wähler zu erreichen, besser sieht.
Nur half das bisher wenig, an der Politikverdrossenheit der Japaner zu rütteln.
Wollten vor drei Jahren noch mehr als 70 Prozent der Wähler zu den Urnen schreiten, sind es jetzt nur noch 60 Prozent. Vor die Wahl gestellt, den aktuellen Premierminister Yoshihiko Noda von der demokratischen Partei (DPJ) zu behalten oder Ex-Regierungschef Shinzo Abe von der Liberaldemokraten (LDP) wieder ins Amt zu holen, entschieden sich einer Umfrage des Fernsehsenders NHK zufolge 49 Prozent der Befragten für keinen der beiden.
Angesichts des Frusts der Japaner mit ihren Politikern könnte dieses Mal die große Stunde der neuen „dritten Parteien" schlagen. Die besten Chancen werden der Japan Restoration Party und der Tomorrow Party eingeräumt, in denen kürzlich mehrere kleinere neue Parteien aufgingen. Sie könnten eine Koalition mit der LDP eingehen, deren Wahlsieg zwar erwartet wird, aber die es vermutlich alleine nicht schafft, die künftige Regierung zu stellen.
Die Japan Restoration Party wird neuerdings spöttisch „Hash-Ish" genannt, eine Kombination der Namen der beiden skandalumwitterten Parteichefs. Der Parteigründer Toru Hashimoto, Bürgermeister von Osaka, geriet vor einigen Monat ins Gerede, weil er seinen StadtangestelltenTätowierungen verbat. Der 80-jährige Parteichef Shintaro Ishihara, ein Nationalist, der sich selbst als „aggressiven Alten" bezeichnet, hatte mit seinen Kaufabsichten der von China und Japan beanspruchten Senkaku-Inselgruppe die anhaltende diplomatische Krise zwischen den Nachbarn ausgelöst, die Japan einen wirtschaftlichen Schaden in Milliardenhöhe bescherte.
Die Tomorrow Party of Japanwurde erst vor gut zwei Wochen von Yukiko Kada, der Gouverneurin der Provinz Shiga, aus der Taufe gehoben. Die erklärte Atomkraftgegnerin, die als einzige Politikerin die Förderung der Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Wahlkampf thematisierte, plädiert für eine „Graduierung" vom Atomzeitalter in zehn Jahren. Ihre Partei habe dafür bereits einen „Stundenplan". Unterstützt wird sie von „Schatten-Shogun" und Politikveteran Ichiro Ozawa, der im Sommer mit seinen Unterstützern die DPJ verlassen hatte. In den letzten Monaten sank der Stern seiner „People's Life First"-Partei – und bewegte ihn zur Kollaboration.
Gewinnt die LDP wie erwartet, käme bald zwei Jahre nach Fukushima am 11. März 2011 eine Partei an die Macht, die Japan die Atomkraft nicht nur ins Land geholt hat, sondern sich auch trotz der anhaltenden Folgen der Atomkatastrophe weiter dafür ausspricht. Und das, obwohl mehreren Umfragen nach zwei Drittel der Japaner einen sofortigen bis baldigen Ausstieg wünschen. Parteichef Abe versucht diese Absicht hinter vagen Phrasen wie „Wir wollen die Abhängigkeit von der Atomkraft reduzieren" zu verstecken. Die LDP verfolge eine „realistische" Energiepolitik. Die noch regierende DPJ hatte erklärt, bis zu den 2030ern aus der Atomkraft aussteigen zu wollen – Hintertürchen inklusive.
Die Energiepolitik wird bei der kommenden Wahl entscheidend sein, ebenso wie die Fragen, ob Japan dem Freihandelsabkommen Trans Pacific Partnership (TPP) unter Federführung der USA beitreten und wie beschlossen die Mehrwertsteuer bis 2015 von derzeit fünf auf zehn Prozent erhöhen will.
Wer auf der Flucht vor Japans behandschuhten Politikern und ihren populistischen Sprüchen per Lautsprecher in den virtuellen Weiten des Internets auf Ruhe hofft, ist leider auf dem Holzweg. Auch wenn Wahlkampf per Internet in Japan verboten ist, kündigte der aufmüpfige Hashimoto an, weiter zu twittern. Er stehe ja nicht zur Wahl.
Quelle: Stuttgarter Zeitung, 8.12.2012.
Mit freundlicher Erlaubnis der Autorin.