Meditation: Johannes 4, 21

23.10.2011 – 18. Sonntag nach Trinitatis

in der Deutschen Botschaft Peking

Musikalische Gestaltung: Daniel Tappe (Orgel und Klavier)
Der biblische Wochenspruch zum 18. Sonntag nach Trinitatis lautet:

Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. 1. Johannes 4, 21

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Schwestern und Brüder,

der so genannte Arabische Frühling dauert an, aber während beim Frühling in der Natur überall neues Leben entsteht, sind die Kennzeichen des Arabischen Frühlings erst einmal der Tod von alten Diktatoren. Moammar Gaddafi war es gestern, und auf der Wikipedia Seite Arab Spring findet sich bereits heute das entsprechende update: http://en.wikipedia.org/wiki/Arab_Spring. Alle – auch die chinesische Regierung und Wirtschaft, die sehr stark in Afrika engagiert sind – hoffen, dass sich die Lage in Libyen nun wieder stabilisiert. Es wäre allerdings naiv, in dieser Phase von einer bevorstehenden Demokratisierung zu sprechen. Zu viele Stämme und islamische Richtungen gibt es, die unter Gaddafi mit Gewalt zu einer nationalen Einheit gezwungen wurden. Politologen geben zu bedenken, dass alte Bruderkriege wieder neu aufleben könnten.

Es scheint das Schicksal der arabischen Welt zu sein, dass Brüder nicht in Frieden miteinander leben können, und dieses Schicksal ist nahezu mythologisch: Es geht zurück bis in die Tage von Kain und Abel, von Isaak und Ismael, von Jakob und Esau und von Joseph und seinen Brüdern. Islamische Brüder bekriegen sich, und radikale Islamisten wollen Israels jüdische Bevölkerung „ins Meer werfen“.

Liebe und Frieden zwischen Brüdern? Auch durch die abendländische christliche Geschichte zieht sich der Unfriede zwischen Brüdern: als eine lange Kette von Konfessionskriegen.

Ganz anders klingt dagegen unser biblischer Leitsatz für die vor uns liegende Woche aus dem 1. Johannesbrief: Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass der auch seinen Bruder liebe. Ich möchte diesen 1900 Jahre alten christlichen Satz einmal mit etwas vergleichen, das man in China erstmals vor 2500 Jahren vorfinden konnte und das – parallel zu dem sich hier weiter ausbreitenden Raubtierkapitalismus – seit einigen Jahren verstärkt wieder entdeckt und gefördert wird. Konfuzius sieht in der Liebe zwischen jüngerem und älterem Bruder eine der fünf menschlichen Elementarbeziehungen (die anderen vier sind: Vater/Sohn – Herrscher/Untertan – Ehemann/Ehefrau – Freund/Freund). Innerhalb dieser familiären hierarchischen Beziehungen bestimmen idealerweise Menschenliebe (ren (2. Ton) 仁 ), Rechtschaffenheit (yi (1. Ton) 义 ) und Ehrerbietung (xiao (4. Ton) 孝) den Umgang miteinander. Ich betone: Innerhalb von familiären Beziehungen gilt dieser ethische Codex. Befindet man sich außerhalb der Familie oder eines familienähnlichen Verbandes, gilt oft das Gesetz des Dschungels: Fressen und gefressen werden. Deshalb sind, bis hinein in Business und Wirtschaft, familienähnliche Netzwerke in China überlebenswichtig – und primär erfolgsrelevant.

Ganz deutlich unterscheidet sich an dieser Stelle die konfuzianische von der christlichen Ethik. Jesus hat in seinem Reden und Handeln deutlich gemacht, dass sein Vatergott ein Gott für die ganze Welt ist, mit einer global gültigen Liebe für alle Menschen. Durch diesen Vatergott werden alle Menschen zu Geschwistern und somit zu Mitgliedern einer einzigen solidarischen großen Familie. Man könnte dies als eine Utopie bezeichnen , – wenn es diese weltumspannende Familie der Kinder Gottes nicht gäbe. Aber: Gott sei Dank, es gibt sie; seit jenem ersten Pfingstfest vor annähernd 2000 Jahren in Jerusalem.

Die Mitglieder unserer deutschsprachigen Gemeinden in Peking/ Tianjin, Changchun und Qingdao erleben diese internationale Familie immer dann, wenn sie mit Mitgliedern chinesischer Gemeinden oder mit Mitgliedern der anderen zahlreichen internationalen Gemeinden an diesen Orten zusammentreffen.

Christliche Gottesdienste und Gemeinden: das sind Lern-, Pflanz- und Wachstumsorte für die Nächstenliebe und für den Frieden in der Welt. Dazu passen die Worte, die nur wenige Verse vor unserem Wochenspruch (1. Johannes 4, 16) stehen, und die bei Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung seit alters her gern verwendet werden: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“

Gott ist die Liebe – 上帝是爱 – Shangdi shi ai.
Mit dieser Botschaft grüßt Sie, Ihr Karl-Heinz Schell

Gebet
(aus: Worship Book for the Sixth Assembly of the World Council of Churches)

Lord,
God of justice and peace
who stands with those who are poor,
who asks us to be the voice of the voiceless,
we call upon you
for those who have suffered the injustices of war and greed.
From the depth of our being we cry to you, Lord.
Amen.
Lied als Segen
(Evangelisches Gesangbuch Hessen und Nassau, Nr. 637)

Christlicher Frühling – Christian Spring

Alle Knospen springen auf, fangen an zu blühen.
Alle Nächte werden hell, fangen an zu glühen.
Alle Menschen auf der Welt fangen an zu teilen,
alle Wunden nah und fern fangen an zu heilen.

Wochensprüche

HEUTE, 8. Februar 2015, findet der Abschiedsgottesdienst von K.-H. Schell in Peking statt.
WIR DANKEN IHM FÜR DIE GEISTLICHE NAHRUNG, DIE ER JAHRELANG VERMITTELT HAT.

Die Wochensprüche werden von Pfr. Dr. Karl Heinz Schell in Beijing für seine dortige deutsche Gemeinde geschrieben.

 

Ev. Gottesdienste finden in der Dt. Botschaft statt.

Wochenspruch: alle Beiträge