Meditation: Jesaja 60, 2b

29.01.2012 Letzter Sonntag nach Epiphanias
Der Wochenspruch für den letzten Sonntag nach Epiphanias lautet:

Über dir geht auf der Herr, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.  Jesaja 60, 2b

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Brüder und Schwestern,

das Buch des Propheten Jesaja ist eine Sammlung von Prophetenworten aus verschiedenen Epochen des Volkes Israel und fast so etwas wie eine Prophetenbibliothek, also, modern und humorvoll gesagt - der Mensch braucht Eselsbrücken -, eine PDF (Prophets‘ Data File).

Der Prophet Jesaja in den ersten 39 Kapiteln des Buches wirkte in Jerusalem, der Hauptstadt des Reiches Juda, in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts vor Christus. Die Worte eines anderen Jesaja richten sich in den Kapiteln 40-55 an das Volk Israel, das in Babylon (unweit des heutigen Bagdad) im Exil lebte, im 6. Jahrhundert vor Christus. In den verbleibenden 11 Kapiteln finden wir, in einer Art Anhang, Heilsworte und Weissagungen aus der Zeit nach der Rückkehr des Volkes Israels nach Jerusalem (nach 538 v.Chr.). Im Unterschied zum zweiten Abschnitt, dem „Deuterojesaja“, wird dieser Abschnitt in der theologischen Forschung mit „Tritojesaja“  - dieser Begriff kann durchaus auch die Verfasserschaft mehrerer Propheten beinhalten - bezeichnet. Das gesamte Jesaja-Werk hatte, als es etwa im 4. Jh. v.Chr. abgeschlossen wurde, eine 400-jährige Entstehungsgeschichte hinter sich.

Der Dritte Jesaja mit seiner aufbauenden Botschaft ist wahrscheinlich eines der frühesten Beispiele Positiven Denkens, wobei diese Bezeichnung allerdings eher missverständlich ist und auf jeden Fall zu kurz greift, denn es geht in den Kapiteln 56-66 um anderes und um mehr. Es geht um Umdenken und Bekehrung zum lebendigen Gott; es geht um daraus hervorgehenden individuellen, geschichtlichen und politischen Wandel. Und es geht um die Souveränität Gottes, der die Welt lenkt (Kap. 59).

In Kap. 57 begegnen wir den Grundzügen therapeutischen Handelns (57, 15), in Kap. 58 finden wir den Rohentwurf eines Sozialstaates (58,7) und in Kap. 60 wird die endzeitliche Bestimmung des Glaubensvolkes Israel beleuchtet: als Ort der Offenbarung von Gottes Herrlichkeit, in einer Mittlerfunktion für die ganze Welt, zeitlich gesehen bis hin zum Vergehen dieser Welt und zur Erschaffung einer neuen Welt durch Gott (Kap. 65, 17).

Unser Kirchenjahr ist bereits zu einem Sechstel, das neue Sonnen- (= Kalender-) Jahr fast schon zu einem Zwölftel vergangen, und das neue Mond- (=Drachen-)Jahr hat gerade begonnen. Was mag wohl alles vor uns liegen in 2012? – Man könnte sich tatsächlich apokalyptisches Denken aneignen, wenn ich sehe, mit welchen Altlasten wir bepackt sind: Da sind die regionalen und globalen Folgen der atomaren Kernschmelzen in Tschernobyl und in Fukushima (Anstieg der Krebsraten). Da verschwinden unsere Gletscher als gigantische Süßwasserspeicher und wir werden Zeugen ungleicher Wasserverteilung weltweit (Überschwemmungen hier, Dürren dort). Monopolbildungen in der Wirtschaft  (insbesondere in der Land- und Lebensmittelwirtschaft) werden sich fortsetzen; unabhängige lokale und regionale Landwirtschaft wird somit an vielen Orten der Welt verhindert; Hunger und Armut werden zunehmen. Diese und ähnliche andere Entwicklungen werden gefördert von Menschen mit Gier und ohne soziale und globale Verantwortung.

Ob die Maya mit ihrer Prophezeiung (Ende der Welt am 21.12.2012 = Ende des Maya-Kalenders; vgl. http://www.21dezember2012.org/mayakalender.html) wohl Recht behalten? Das hängt davon ab, in welchem Maß wir, jeweils genau dort, wo wir leben und arbeiten, etwas tun für eine gerechte Gesellschaft und eine Welt, in der auch noch unsere Enkel und Urenkel gesund und erfüllt leben können.
Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere, das ist das täglich empfangene und gelebte Vertrauen auf den Gott den Vater Jesu Christi: Er hält unser Leben und die ganze Welt in seiner Hand.

Wenn denn eine/die neue Welt kommen sollte (Jes. 65, 17), dann wird es Seine Welt sein, und das ist nicht ein Grund zum Angstbekommen, sondern ein Grund zur Freude.

Dann passt auch der Wochenspruch, zum Abschluss zitiert ab Beginn des Verses 2:
Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker;
aber über dir geht auf der Herr und seine Herrlichkeit erscheint über dir.

In diesem Sinne:
Xin nian kuai le  新年快乐 – Ein frohes neues Jahr! und
Shangdi zhufu ni  上帝祝福你 - Gott segne Sie!
Ihr   Karl-Heinz Schell

 

Gebet

Gott des Wachsens und Reifens,
du hast Geduld mit mir,
du lässt mir Zeit, damit Kleines in mir groß werden
und sich zu der Gestalt entfalten kann,
die du in mich gelegt hast.
Hilf mir,
meine Lebenszeit so zu nutzen,
dass ich deinen Plänen mit mir entspreche
und in meinem Handeln
dein Reich durscheinend werden kann.
Amen.


Segen

Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist
segne die kleinen Anfänge und guten Absichten in deinem Leben.
Er segne dein Bemühen und dein Wachsen im Guten.
Er segne dein Leben,
dass es wie ein Baum seine Zweige weit ausstreckt
und Raum bietet für andere Menschen.
Amen.

 

Wochensprüche

HEUTE, 8. Februar 2015, findet der Abschiedsgottesdienst von K.-H. Schell in Peking statt.
WIR DANKEN IHM FÜR DIE GEISTLICHE NAHRUNG, DIE ER JAHRELANG VERMITTELT HAT.

Die Wochensprüche werden von Pfr. Dr. Karl Heinz Schell in Beijing für seine dortige deutsche Gemeinde geschrieben.

 

Ev. Gottesdienste finden in der Dt. Botschaft statt.

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