Meditation: Johannes 1,14a

24.12.2011 Heiligabend/ Weihnachten

Das Bibelwort für Heiligabend und Weihnachten lautet:
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit. Johannes 1, 14a

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Schwestern und Brüder,

welche Macht kann Sprache haben! Wie erlöst fühlen wir uns, wenn wir in einem schwierigen Gespräch endlich das passende Wort gefunden haben!

Welche Macht kann ein einzelnes Wort haben! Ein kurzes „Nein" z.B. kann schicksalsschwer entscheiden über die Wendung, die mein Leben nimmt; ein kurzes „Ja" kann Türen und neue Möglichkeiten eröffnen. Meistens vergessen wir, dass auch ein „Nein" neue Möglichkeiten schafft; - wahrscheinlich vergessen wir es, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind, zu verstehen, warum unser Wille nicht erfüllt wurde oder wie um alles in der Welt es sein konnte, dass sich andere mit ihren Interessen durchgesetzt haben.

Weihnachten ist eine der wichtigsten Gelegenheiten, wenn es in unserem Leben mal wieder an der Zeit ist, die Perspektive zu wechseln und eingefahrene Bahnen zu verlassen. Unterstützung finden wir dabei in der Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel bzw. in der Geschichte des Volkes Israel mit seinem Gott. Da war es z.B. der persische König Kyros, dessen Eigeninteresse dazu führte, dass Israel endlich aus Babylon in die Freiheit entlassen wurde. Dass Gott jemanden zur Ausführung seiner Pläne verwendet, der eine andere Religion hat, stört ihn, Gott, dabei nicht im Geringsten.

Wenn man weiß, dass selbst die Gegner, die man hat, Werkzeuge in der Hand Gottes sein können, sind Niederlagen keine Niederlagen mehr, ist ein „Nein" nicht mehr ein Ende, sondern eine – unter Umständen schmerzhafte, aber nötige und weiterführende – Richtungsänderung. (... nur ein Nebengedanke: Vielleicht sollen deshalb die Nachfolger Jesu ihre Feinde lieben?)

Neu ist eine solche Erkenntnis nicht. Wir könnten uns hierfür aus China eine Verstehenshilfe holen. Die findet man im  Taiji (taijiquan 太极拳), also in der „weichen" oder eher "inneren" Version (neijiaquan 内家拳) der chinesischen Kampfkunst Wushu. Taiji-Schüler lernen, die Kraft, die in den Angriffen des Gegners steckt, aufzunehmen und zum Aufbau der eigenen Kräfte zu nutzen. Wenn man diesen Ansatz auf Hindernisse anwendet, denen man im Leben begegnet, kann tatsächlich aus einem Nein ein Ja werden.

Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.

Eine der Eigenheiten in der Theologie des Evangelisten Johannes ist die, dass er – im Unterschied zu Matthäus und Lukas – keine Erzählung von der Geburt Jesu verfasst hat. Johannes ist ein eher „innerer" Theologe. Er macht sich Gedanken über die Hintergründe der Menschwerdung Gottes. Er kommt zu dem Schluss, dass alle Macht und alle Erkenntnis im Wort liegen. Das griechische Wort für „Wort" ist logos; logos ist das Stammwort für unser deutsches „logisch" und für alle „-logien", also Lehren.  „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort," so beginnt Johannes sein Evangelium.

Diesen großartigen Satz, dieses einmalige Glaubensbekenntnis muss man auf dem Hintergrund des alttestamentlichen Denkens sehen. Das hebräische Wort für „Wort" ist debar, und es bedeutet nicht nur das gesprochene Wort, sondern auch das geschehene, das materialisierte Wort, also die Tat. Dazu ein Beispiel: Wenn ein Bauherr seinen Arbeitern die Baupläne zeigt und sagt „Baut dieses Haus", dann setzen die Arbeiter den Entwurf in die Tat um, und zum guten Schluss sagt der Bauherr: „Dieses Haus habe ich gebaut".

Wenn Gott beschließt, aus der Geistsphäre in den Bereich des Menschlich-Vergänglichen und des Materiell-Körperlichen einzugehen (= „Fleisch zu werden" = Inkarnation), im vollen Bewusstsein aller Hindernisse, dann braucht er dazu nur ein einziges Wort. Dieses Wort heißt Jesus. Jesu Name auf Hebräisch lautet Jeshua; das bedeutet: „Gott hilft".

Heiligabend: Das ist die Geburt von „Gott hilft"; in unserem Krippenspiel am Samstag verkündigen es uns die Kinder unter der Überschrift „Der Friede-Fürst kommt".

Weihnachten: Das ist die Geburt der Erkenntnis: In Widrigkeiten und Gegnern stecken neue Möglichkeiten. Aus dieser Erkenntnis wird Wort, aus Wort wird Tat.

Der Lebenshorizont wird weit: .... und wir sehen seine Herrlichkeit.

Mit herzlichen Segensgrüßen zum Weihnachtsfest 2011 und für das neue Jahr 2012,
Ihr     Karl-Heinz Schell

Gebet
Du menschgewordener Gott,
ich danke dir,
dass du die Welt erleuchtest.
Ich bitte dich,
dass die Erde und alles, was lebt,
aufatmet durch deine Nähe.

Öffne mir die Augen:
für die Größe des Kleinen,
für die Heiligkeit des Menschlichen,
für die Würde des Verlorenen,
für die Verheißung des Leidens.

Denen, die hungern und frieren,
lass ein Licht aufgehen:
durch Augen, die sehen, - durch meine Augen;
durch Ohren, die hören, - durch meine Ohren;
durch Hände, die helfen, - durch meine Hände.
Amen.

Segen
Jesus Christus
wahrer Gott
halte wach in dir
das Verlangen:
nach dem Vollkommenen,
nach dem Ewigen.

Gott der Vater
wahrer Mensch
halte wach in dir
das Sehnen:
nach Barmherzigkeit,
nach Versöhnung.

Der Heilige Geist
wahre Kraft
halte wach in dir
das Suchen:
nach erfüllter Zeit,
nach erfülltem Leben.

So leite und bewahre dich
der dreieinige Gott,
jetzt, zur Weihnacht,
im neuen Jahr
und in Ewigkeit.
Amen.

 

 

 

 

 

Wochensprüche

HEUTE, 8. Februar 2015, findet der Abschiedsgottesdienst von K.-H. Schell in Peking statt.
WIR DANKEN IHM FÜR DIE GEISTLICHE NAHRUNG, DIE ER JAHRELANG VERMITTELT HAT.

Die Wochensprüche werden von Pfr. Dr. Karl Heinz Schell in Beijing für seine dortige deutsche Gemeinde geschrieben.

 

Ev. Gottesdienste finden in der Dt. Botschaft statt.

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