Meditation: Daniel 9,8

27.01.2012, Sonntag Septuagesimä (= der Sonntag „70 Tage vor Ostern“), 3. Sonntag vor der Passionszeit

 

Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine Barmherzigkeit.  Daniel 9, 18


Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Brüder und Schwestern,

der Prophet Daniel:
durchs Feuer gegangen, weitblickend.
Sein Glaube:
risikobereit, auf Zukunft aus.

Der babylonische König Nebukadnezar (604-562 v.Chr.) hatte 587 v.Chr. Jerusalem erobert und das Volk Israel (insbesondere ausgewählte Mitglieder der Oberschicht und Handwerker) ins Exil nach Babylon geführt.
Daniel, ein außergewöhnlich kluger und begabter junger Mann, wurde in der Zeit des Exils am Königshof erzogen und erhielt dort auch Leitungsaufgaben. In den ersten sechs Kapiteln des Danielbuches, das zu den so genannten Apokalyptischen Schriften des Alten Testaments gehört, erfahren wir von ihm und seinen Freunden, die gemeinsam durch das Festhalten am Glauben zahlreiche Gefahren überstehen. Manch einer von uns kennt vielleicht noch aus der Kindergottesdienstzeit die Geschichte von Daniel in der Löwengrube. Neidische Untergebene hatten sich gegen Daniel verschworen und bei dem König ein Religionsverbot erwirkt, um Daniel, der jeden Tag drei Mal treu betete, verklagen und vernichten zu können. Dieses Verbot war eines jener sprichwörtlichen Gesetze „der Meder und Perser“, also uneingeschränkt anzuwenden. Der König musste sich daher traurigen Herzens fügen und ließ Daniel gegen seinen Willen mit den Löwen einschließen. Daniel hatte ein reines Herz und war sich keiner Schuld bewusst. Er vertraute sich mit seiner ganzen Existenz Gottes Fürsorge an. Eingeschlossen in einem mit dem Ring des Königs versiegelten Raum verbrachte er die Nacht zusammen mit den Löwen, die ihn eigentlich fressen sollten. In der gleichen Zeit fastete der König. Am Morgen war Daniel noch unversehrt und der König heilfroh. Die Rädelsführer der Verschwörung wurden, so berichtet das Buch Daniel, mitsamt ihren Familien jenen Löwen zum Fraß in die Grube vorgeworfen, „…und ehe sie den Boden erreichten, ergriffen die Löwen sie und zermalmten alle ihre Knochen.“ (Daniel 6, 25b)

Unseren Wochenspruch findet man in der zweiten Hälfte des Danielbuches, in der wir von Daniels Visionen von den Weltreichen und vom Gottesreich erfahren. Manches davon hat seine neutestamentliche Entsprechung im Buch der Apokalypse des Johannes, dem letzten Buch der Bibel. Daniel spricht ein Bußgebet für die zerstörte Stadt Jerusalem, in dem es u.a. heißt: „Neige dein Ohr, mein Gott, und höre, tu deine Augen auf und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen genannt ist. Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine Barmherzigkeit.“ Aus der Geschichte wissen wir, dass Gott tatsächlich ein Einsehen hatte, denn das Volk Israel durfte ab dem Jahr 538 v.Chr. unter dem Perserkönig Kyros wieder nach Israel zurückkehren.

„Sieh an unsere Stadt“, das dachte ich in den vergangenen beiden Wochen hier in Peking des öfteren. Sieh an das Elend, Gott, das Menschen sich hier schaffen:
- Sie nehmen sich mit ihrem Kohlerauch aus Öfen, Fabriken und Kraftwerken und mit den Abgasen ihrer 5 Millionen Autos die Luft zum Atmen.
- Verantwortliche übertreten ungestraft bestehende Gesetze zur Luft- und Wasserreinhaltung. Das ist in ganz China so. Sie bestechen Kontrollbehörden und bauen Filter nicht ein oder bauen eingebaute Filter wieder aus. So werden einige reich – und viele andere krank.
- Wir Expats, wir machen und verdienen bei diesem Verbrechen gegen die Schöpfung mit.
- Und die Konsumenten in westlichen Ländern, die billig einkaufen wollen, machen ebenfalls dabei mit. Made in China – das bedeutet, im Vergleich mit Deutschland, Produktion, die fast immer mit wesentlich höheren Kosten für die Umwelt verbunden ist.
Auf breiter Front gibt es kaum jemanden, der ökologisch gerecht handelt. Es bleibt da eigentlich, quasi als Erste Hilfe, nur noch das Flehen um Gottes Barmherzigkeit, auch wenn es z.B. das Flehen um einen starken Nordwestwind ist, wie er dann gestern auch endlich kam. Danke, Gott! - Oder: Glück gehabt?

Wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine Barmherzigkeit. Das Bußgebet des Daniel heute ist der Anfang von Veränderung, und die beginnt im Kopf. Sie beginnt mit der Erkenntnis, die sich in diesem Land in Wort und Tat ganz schnell und mit rechtlichen (= gerechten) Konsequenzen ausbreiten müsste: dass wir für unsere eigene Umwelt die Anwaltschaft übernehmen müssen. Tun wir das nicht, stirbt zuerst sie und dann wir.
Natürlich könnte ich jetzt sagen: Wir brauchen viel mehr Verantwortung im globalen und lokalen Wirtschaften. Ich möchte es aber einmal anders formulieren:
Wie konnte es dazu kommen, dass Menschen dieselbe Erde, aus der sie geschaffen sind, und denselben Odem, der ihnen eingehaucht wurde, vergiften? Lieben sie sich so wenig?

Herr, erbarme dich – Kyrie eleison!

Nachdenklich, Ihr Pfarrer Karl-Heinz Schell

 

Prayer of praise for Creation 

(From: Sinfonia Oecumenica, 1999)

Before the world began,
when everything was shapelesss,
you were there.
Hovering over chaos,
planning the texture, the taste,
the sight and the sound of things,
balancing the opposites,
weaving the rainbow,
turning the random into the real.
For this we praise you.
Amen.

 

Segen

Möge das Reich Gottes jetzt, hier und heute,
in dir Gestalt annehmen.
Du darfst Jesus in allem vertrauen.
Du darfst ihn beim Wort nehmen und mit ihm bitten:
Dein Reich komme!
Amen.

 

 

 

 

Wochensprüche

HEUTE, 8. Februar 2015, findet der Abschiedsgottesdienst von K.-H. Schell in Peking statt.
WIR DANKEN IHM FÜR DIE GEISTLICHE NAHRUNG, DIE ER JAHRELANG VERMITTELT HAT.

Die Wochensprüche werden von Pfr. Dr. Karl Heinz Schell in Beijing für seine dortige deutsche Gemeinde geschrieben.

 

Ev. Gottesdienste finden in der Dt. Botschaft statt.

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