Meditation: Psalm 43,1

25.03.2012 5. Sonntag in der Passionszeit (Sonntag Judica)
Lat: Judica me, Deus – Verschaff mir Recht, o Gott (Psalm 43, 1)

Wochenspruch:
Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. Matthäus 20, 28

Liebe Leserinnen und Leser,
liebe Brüder und Schwestern,

China, das chinesische, am Stadtrand und auf dem Land:
An einer Bushaltestelle im Westen von Peking warte ich, zusammen mit einigen Chinesen, überwiegend Schüler einer Mittelschule, auf einen Bus, der mich zur U-Bahnstation bringen soll. Auf dem Boden liegt Verpackungsmüll. Nach einer Weile kommt ein Mann mit Schaufel und Besen und beseitigt den Müll. Ein Dienst für die Öffentlichkeit. Für 50 Eurocent die Stunde.

Szenenwechsel: Ein großer Teil der in China erhältlichen Waren wird im Süden produziert. Arbeiter und Arbeiterinnen  arbeiten oft für nur umgerechnet 200 Euro im Monat, 7-Tage-Woche, 10 Stunden am Tag. Nicht immer sind die Arbeitsbedingungen sicher; es gehen, z.B. in einer Näherei oder in einer Stanzerei, Fingernägel oder Finger verloren, manchmal auch eine Hand. Für eine Arbeiterin, die ausfällt, stehen schon viele in der Warteschleife. Ein Dienst fürs Volk, und ein (oft der einzige) Verdienst für die ganze Familie.

China, das internationale, in den Wirtschaftszentren des Landes:
Das Tempo von Veränderungen ist ungeheuer schnell. Westliches Knowhow wird gut bezahlt, aber es wird auch, so schnell es geht, kopiert. Eine ausländische Firma braucht gute Berater, um den Vorsprung zu behalten. Consulting als Dienstleistung. Was die Arbeiter in Südchina in einem Monat verdienen, verdient der Consultant in einer Stunde. Im dritten und vierten Sektor des Arbeitsmarktes - im dienst-leistenden Gewerbe und im Informationssektor – begegnet uns Dienen als Leistung, teurer bezahlt als manches Herrschen.

In diese beiden Kontexte gestellt, gewinnt der Satz Jesu an Brisanz: Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. Die Alternative zu „dass er diene" heißt interessanterweise nicht: „dass er herrsche", sondern „dass er sich dienen lasse." Offenbar hat nicht jeder, der sich (be)dienen lässt, auch Macht zum Herrschen. Und andererseits ist keinesfalls ausgeschlossen, dass kompetentes Dienen mit Macht zu tun haben könnte.

Kompetentes Dienen ist wahrgenommene Verantwortung, und wahrgenommene Verantwortung ist konstruktiv ausgeübte Macht.

Dienen ist eben nicht unbesehen gleichzusetzen mit Zeichen von Schwäche oder fehlender Kompetenz.

Jesu Dienen, die Hingabe seines Lebens an die Menschen und an Gott seinen Vater, bis in den Tod, war so mächtig, dass daraus neues Leben entstand. Im Mittelpunkt dieser Transformation steht diejenige Energie, die das Universum zusammenhält: die Liebe (griechisch:  agape, lateinisch: caritas).

Lassen Sie mich schließen mit einer Geschichte, die viele von Ihnen kennen:

Ein Schriftgelehrter kommt zu Jesus auf der Suche nach dem ewigen Leben. Er wird von Jesus gefragt, was die Thorah, die jüdische Bibel, diesbezüglich empfehle. Der Schriftgelehrte zitiert daraufhin aus dem 3. und 5. Buch Mose: „Du sollst den Herrn deinen Gott lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst." „Hervorragend geantwortet", sagt Jesus, dieser doppelten Aufforderung solle er dann auch nachkommen. „Wenn das so einfach wäre," erwidert der Theologe, „das Problem ist nämlich: Wer ist denn mein Nächster?". Jesus bietet ihm als Antwort eine um 180 Grad veränderte Perspektive an, eine Möglichkeit zu kompetentem (= liebevollem) und machtvollem Dienen: Er bittet den Schriftgelehrten, nach solchen Menschen Ausschau zu halten, denen er Barmherzigkeit erweisen kann, um auf diese Weise für sie der Nächste zu sein.

Eine weiterhin erfahrungsreiche und gesegnete Passionszeit wünscht Ihnen,
Ihr Karl-Heinz Schell


Gebetsbitten zum Sonntag Judica

(auch für Juristen geeignet)
aus der Liturgischen Agende der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

Entrechtete Menschen mitten unter uns –
zeig uns, wie wir ihnen zum Recht verhelfen können.

Entehrte Menschen mitten unter uns –
zeig uns, wie wir ihnen die Ehre zurückgeben können.

Ohnmächtige Menschen mitten unter uns –
zeig uns, wie wir ihnen in der Ohnmacht beistehen können.

Übermächtige Menschen unter uns –
zeig uns, wie wir beherzt ihre Macht begrenzen können.

Stolze Menschen mitten unter uns –
bewahre uns, am Ende selbst in Rechthaberei zu verfallen.
Amen.

 

Segen

Der dreieinige Gott,
Gott des Rechts und der Barmherzigkeit
- er ist es, der die Welt in seinen Händen hält -,
sei dir Licht in Dunkelheit und Gleich-Gültigkeit.
Er stärke dich in aller Wahrheit,
im Denken, Reden und Tun,
damit du ein freier Mensch bleibst.
Amen.

Wochensprüche

HEUTE, 8. Februar 2015, findet der Abschiedsgottesdienst von K.-H. Schell in Peking statt.
WIR DANKEN IHM FÜR DIE GEISTLICHE NAHRUNG, DIE ER JAHRELANG VERMITTELT HAT.

Die Wochensprüche werden von Pfr. Dr. Karl Heinz Schell in Beijing für seine dortige deutsche Gemeinde geschrieben.

 

Ev. Gottesdienste finden in der Dt. Botschaft statt.

Wochenspruch: alle Beiträge