Meditation: Psalm 73, 28

Evangelischer Gottesdienst
am Sonntag, den 12.01.2014 um 10.00 Uhr, in der Deutschen Botschaft Peking

Die biblische Jahreslosung für Anno Domini 2014 lautet:

Gott nahe sein ist mein Glück.  Psalm 73, 28

Liebe Leserin, lieber Leser,
liebe Brüder und Schwestern,

wie kann ich glücklich sein? Was bedeutet Glück für mich? – Vielleicht antworten auch Sie mit den Worten des Psalmbeters: Gott nahe zu sein. - Und was genau würde das für Sie bedeuten?

Die Neuvermessung des Menschlichen – Der moderne Homo sapiens zwischen Selbstoptimierung und Entschleunigung, so lautet die Überschrift des Neujahrsessays 2014 der in Koblenz erscheinenden Rhein-Zeitung, der mir am Jahresanfang in die Hände fiel.

Der Autor Andreas Pecht beschreibt die aus den USA stammende Lifestyle-Bewegung Quantified Self. Mit Hilfe akribischer digitaler Selbstvermessung soll der Mensch sich so selbst optimieren, dass er für die „Herausforderungen der Gegenwart“ gewappnet ist. Das Paradoxe ist allerdings: Die Zeit, die man durch den Einsatz ausgeklügelter Zeitmanagementmethoden gewonnen hat, verrinnt sogleich wieder, und alles wird noch schneller und noch mehr. „Ob auf der Arbeit oder privat: Weil jeder Angst hat, etwas zu verpassen, machen alle immer mehr Dinge (mit), die sie zuvor nie gebraucht hatten. … Das jüngste gewaltige Problemfeld erwächst aus der digitalen Revolution. Dauerüberforderung durch Multitasking, permanente Erreichbarkeit, stete Beschleunigung sämtlicher Arbeitsprozesse, Durchwucherung der Freizeit mit Job-Angelegenheiten hat zu einer explosionsartigen Zunahme von psychischen Störungen geführt. … Es häufen sich die Anzeichen, dass mit dem digitalen Hamsterrad des Immer-schneller und Immer-mehr die Kapazitätsgrenze der menschlichen Natur erreicht ist.“
Pecht erwähnt zum Schluss seiner Ausführungen, dass es ja auch eine Gegenbewegung gebe: ein Leben in Entschleunigung. Allerdings warnt er vor dem Trugschluss, „ein bisschen Yoga, Sport, Wellness, Achtsamkeit oder einige Tage im Kloster“ könnten das verlorene Gleichgewicht wiederbringen. Entschleuniger finden sich z.B. in der Slow Food Bewegung.

Auch in China ist diese Idee angekommen: In Stresszeiten trinke ich gerne meinen Kaffe aus einer Tasse – Geschenk eines fürsorgenden Gemeindemitgliedes - , auf der das Schriftzeichen für „langsam“ 慢 (man) bzw. „langsames Leben“ 慢生活(man shenghuo) steht.

In einem Gespräch in Deutschland erfuhr ich kürzlich von einem Buch, das die Optimierungsforderungen unserer Gesellschaft mutig ablehnt und trotzig das Bekenntnis zu sich selbst und zur eigenen Haut (aus der man bekanntlich nicht raus kann) stellt.

Der Spiegel-Bestseller von Rebecca Niazi-Shahabi hat den Titel Ich bleib so scheiße, wie ich bin (ja, sie haben richtig gelesen) und erlebte im vergangenen Jahr 13 (!) Auflagen. Auf dem Buchumschlag heißt es: „Ich bleib so scheiße wie ich bin macht Schluss mit der Selbstoptimierung, Schluss mit der Wahnsinnsidee, dass man das Leben besonders effektiv zu nutzen habe. Besser werden heißt wahnsinnig werden, also: Bleiben Sie dick, faul, jähzornig – und glaubwürdig.“ In einer A-Z Argumente-Liste am Ende des Buches liest man z.B. unter „vorbildlich sein“ die überraschenden Worte: „Wer sich stets korrekt verhält, dem wird so schlecht verziehen. Warum sich unnötig in diese Situation begeben?“. Die Autorin lädt ein zum Querdenken und -handeln.

Gott nahe zu sein ist mein Glück. Ich denke, in diesem jahrtausendealten Bekenntnis des Psalmbeters liegt die goldene Mitte zwischen einem „Immer weiter, immer schneller, immer mehr“ einerseits und einem trotzigen Rückzug auf eine Selbstverharrung andererseits.

Aus unserer Haut – um im vorher genannten Bild zu bleiben - können wir nicht, aber unsere Haut ist ein sehr flexibles Organ. Es ändert sich ständig; es kann sich dehnen und auch wieder zusammenziehen. Nur darf man die Haut nicht am Atmen hindern, denn dann muss ein Mensch sterben.

Das, was uns lebendig macht, Haut und alles andere, ist der Odem des Lebens (1. Mose 2, 7) - die Seele, die Beziehung zu Gott und die Sehnsucht nach ihm, die er selbst in uns gelegt hat. Deshalb ist es ein Glück, ihm nahe zu sein. Auf diesem unerschütterlichen Fundament und in Anlehnung an Psalm 139, 14 könnten wir dann ein Buch schreiben, das den Titel hätte: Wunderbar bin ich geschaffen.
Alles weitere folgt daraus, zum Beispiel: In diesem lebendigen Bewusst-Sein, 10 Minuten bewusst und tief ein- und ausatmend, den Tag beginnen. Spüren, dass wir getragen sind.

Mit hezlichen Grüßen,
Ihr     
Pfarrer Karl-Heinz Schell

Sendung und Segen

A Personal Great Commission
(nach Phil Bosmans; aus: Sinfonia Oecumenica)

And now go forth into the rest of your life.
You were not created for commerce and production lines,
For bank accounts or consumption.
You were created to be a human being.
You were created for light and joy
to laugh and to sing
to live in love –
and to share in the happiness of those who surround you.
You were created in the image of God
who is love:
with hands for giving,
with a heart for loving,
with arms long enough
to give someone a hug.

Amen.




Wochensprüche

HEUTE, 8. Februar 2015, findet der Abschiedsgottesdienst von K.-H. Schell in Peking statt.
WIR DANKEN IHM FÜR DIE GEISTLICHE NAHRUNG, DIE ER JAHRELANG VERMITTELT HAT.

Die Wochensprüche werden von Pfr. Dr. Karl Heinz Schell in Beijing für seine dortige deutsche Gemeinde geschrieben.

 

Ev. Gottesdienste finden in der Dt. Botschaft statt.

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